Komplexe Neuberechnungen

Der Regierungsrat des Kantons Zürich will mittelfristig die Verbilligungen der Krankenkassenprämien reformieren und kurzfristig ab 2018 40 Millionen Franken einsparen. Dabei vermischt er diskutable Veränderungen mit seinem Sparprogramm.
Das Risiko: Die Prämienverbilligung entwickelt sich Richtung Fürsorge.

 

Der Titel der Medienmitteilung des Regierungsrats ist geschickt gewählt: «Verbesserung am Prämienverbilligungssystem». Im Prinzip will er mit der Änderung des Einführungsgesetzes zum Krankenversicherungsgesetz vom 13. Juni 1999 sechs Punkte ändern:
1.    Erwachsene Kinder in Ausbildung erhalten oft eine Prämienverbilligung, da diese aufgrund der eigenen Steuerrechnung errechnet wird. Hier soll das steuerbare Einkommen der Eltern und der Kinder zusammengezählt werden und daraus die Prämienberechtigung für die ganze Familie errechnet werden. Ersparnis 40 Millionen Franken.
2.    Die Verbilligung wird heute so berechnet, dass rund 30 Prozent der Bevölkerung in den Genuss kommen. Neu soll jede(r) einen gleichen Teil des Einkommens für die Krankenkassen verwenden (in der Botschaft wird mit 20 Prozent gearbeitet), den Rest bezahlen Kanton und Bund, wenn der eigene Anteil für die Prämie nicht ausreicht.
3.    Lohnerhöhungen müssen sofort statt erst bei der nächsten Steuereinschätzung gemeldet werden. Ersparnis 10 Millionen Franken.
4.    BezügerInnen von Ergänzungsleistungen erhalten nur noch, was ihnen fehlt und nicht mehr die ganze Verbilligung. Das ergibt Einsparungen von 18 Millionen Franken.
5.    Bei der Berechnung des steuerbaren Einkommens für die Berechnung der Verbilligung sollen die Abzüge zum Unterhalt von Wohneigentum und Einzahlungen in die Pensionskassen wegfallen. Zudem wird 10 Prozent des Vermögens ab der Höhe der Steuerbarkeit als Einkommen einberechnet. So werden 20 Millionen Franken gespart.
6.    Junge Erwachsene, die sich nicht in Ausbildung befinden, fahren heute schlecht. Sie sollen 30 Millionen Franken mehr erhalten.

 

Alle sechs Punkte sind auch aus linker Sicht diskutierbar, wobei der Teufel dabei im Detail stecken könnte. Das drängende Pro­blem beginnt bei der Vermischung mit der Sparübung LÜ 16. Von den mit den Reformen eingesparten 58 Millionen Franken will der Regierungsrat 40 Millionen abzwacken und nur 18 Millionen Franken im System belassen. Damit kann die grundsätzliche Umstellung der Berechnung zu einem Sparpunkt führen. Wieviel Geld die Betroffenen selber bezahlen müssen und wieviel die Verbilligung ausmacht, hängt von der zur Verfügung stehenden Gesamtsumme ab und wird vom Regierungsrat in einer Verordnung festgeschrieben.
Das hat zwei mögliche Auswirkungen: Erstens, wie die Alternative Liste in ihrer Stellungnahme ausführt: «Wenn nun der Regierungsrat die Kompetenz erhalten soll, den Bezügerkreis über die Verordnung zu definieren, dann besteht angesichts des permanenten Spardrucks die Gefahr, dass der Bezügerkreis eingeschränkt wird.» Die Grünen spitzen dies zu: «Damit wenigstens ein gewisser Ausgleich zwischen den Einkommensstufen geschieht, hat der Gesetzgeber die individuelle Prämienverbilligung als soziales Korrektiv eingeführt. Der Regierungsrat schwächt jetzt diesen Ausgleich und will die Prämienverbilligung auf die reine Armutsbekämpfung reduzieren.»

 

Zahlen
Im Jahre 2016 stehen für die Prämienverbilligung 804 Millionen Franken zur Verfügung, wobei der Kanton daran 350 Millionen Franken trägt, was 80 Prozent des Bundesbeitrags ausmacht. Dieser soll im Zuge der Sparbemühungen auf 70 Prozent reduziert werden, was die bereits erwähnten 40 Millionen Franken ausmacht. Der Beitrag wird für 2016 allerdings um 52 Millionen Franken höher sein, da der Regierungsrat einen entsprechenden Nachtragskredit beantragen muss. Die Ursache dafür ist klar: Der Regierungsrat hat bei der Berechnung der Verbilligung einen Spielraum. Er legt ihn so fest, dass rund 30 Prozent der EinwohnerInnen in den Genuss kommen und dass die zur Verfügung stehende Summe reicht. Hat er den Rahmen für das laufende Jahr festgelegt, besteht dafür ein individueller Rechtsanspruch. Hat sich die Regierung (oder der Kantonsrat beim Budget) verrechnet, muss dennoch ausbezahlt werden.
Von den 804 Millionen Franken werden 423 Millionen Franken an Personen ausbezahlt, deren Einkommen über dem Existenzminimum liegt. Die andere Hälfte geht an Personen,die Ergänzungsleistungen (238 Millionen Franken) und Sozialhilfe (99 Millionen Franken) beziehen. Dazu kommen 38 Millionen für die Übernahme von Verlustscheinen. Betrachtet man die Entwicklung seit 2000, fallen zwei Merkmale auf: Die Gesamtsumme erhöhte sich von gut 350 auf 800 Millionen Franken (seit 2010 recht konstant) und die Leistungen für die Ergänzungsleistungen (vor allem) und die Sozialhilfe nahmen absolut und anteilmässig zu, so dass für Personen mit einem tiefen Einkommen, aber über dem Existenzminimum relativ und teils auch absolut (das schwankt von Jahr zu Jahr) weniger zur Verfügung steht. Das widerspricht dem Sinne des Gesetzes:  Die Mehrheit wollte damals am System der Kopfprämie festhalten, aber dieses auch für den unteren Mittelstand mit Prämienverbilligungen akzeptabel gestalten. Die Änderungen verlagern in Richtung Armutsbekämpfung und entfernen sich vom Gedanken der Entlastung derjenigen in «bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen», die sich nicht nur knapp über dem Existenzminimum bewegen.
Ehrlicherweise muss noch hinzugefügt werden, dass ein Sparprogramm in der Dimension von 1,8 Milliarden Franken ohne Steuererhöhungen, wie es die politische Mehrheit will, ohne Eingriffe in die ganz grossen Budgetposten nicht möglich ist. Gleichzeitig zeigt wohl keine andere Sparmassnahme so deutlich, wie die Mehrheit im Kanton sparen will: Unten, aber nicht ganz unten wird die höchste Zeche bezahlt.

 

Teufel in den Details
In den oben aufgeführten sechs Punkten kommt es sehr darauf an, wie sie im Detail geregelt werden. Zum zeitlich dringendsten, der Neuberechnung von erwachsenen Kindern in der Ausbildung: Grundsätzlich stehen nach unseren Gesetzen die Eltern in der Pflicht, die Erstausbildung zu bezahlen, wenn sie dazu in der Lage sind. Es gibt keinen zwingend einleuchtenden Grund, die Krankenkassenprämien aus dem Unterhalt herauszunehmen. Ob der Weg über die Prämienverbilligung für die ganze Familie so glücklich ist, würde ich offen lassen. Sicher besteht die Gefahr, dass bei Familien, die nur recht verdienen, der Ausfall von bis zu 200 Franken pro Monat die Studienfreudigkeit beeinflussen kann.
Der Regierungsrat betont, dass die Prämienverbilligung ein Massengeschäft ist (481 000 Personen bezogen 2015 Verbilligungen), das nur funktionieren kann, wenn der Regelfall automatisiert abläuft. Zur Automatisierung gehört der Bezug auf das steuerbare Einkommen. Abzüge bei Wohneigentum, Pensionskasseneinlagen und Vermögen sind aus Gerechtigkeitsgründen durchaus angebracht – ebenso die raschere Berücksichtigung von Einkommensänderungen –, tragen aber auch den Ansatz der Bürokratie in sich. Das trifft  stark auf die Vorstellungen bei den Ergänzungsleistungen und vor allem bei der Sozialhilfe zu. Letztere ist in der Hälfte der Fälle immer noch eine kurzfristige Nothilfe, bei der man das Leben der Betroffenen nicht unnötig verändern sollte. Die grundsätzliche Umwandlung von 20 Prozent der Bevölkerung in einen Anteil gleichbleibender Eigenmittel und Subventionen ist eine Möglichkeit: Ihre gute Verwirklichung hängt vom zur Verfügung stehenden Geld und vom Schutz vor kurzfristigen Sparübungen ab.

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