- Stadt Zürich
Kolonialismus in Zürich
Die erste Bank von Zürich hatte ihren Standort im Rathaus. Während sich im Obergeschoss das politische Geschehen abspielte, wurden rechts im Erdgeschoss die Geschäfte der Bank Leu abgewickelt. Die 1755 gegründete Bank hatte vor allem den Zweck, das Geld der reichen Zürcher:innen als Kredite ins Ausland zu vergeben. Unter anderem wurden mit diesen Krediten auch französische und dänische Sklavenhandelsfirmen finanziert. Besonders über Finanzinstitute seien diese Investitionen in die Sklaverei erfolgt, sagt Monique Ligtenberg, Historikerin und Präsidentin des Vereins Zürich Kolonial im Gespräch mit P.S. Das Beispiel des Rathauses ist eine von 19 Stationen auf der Webseite, mit denen der Verein die Rolle von Zürich in kolonialen Geschäften illustriert.
Die Schweiz und Zürich hätten sich schon früh am transatlantischen Dreieckshandel beteiligt. Als Beispiel dafür nennt Ligtenberg die Zürcher Textilindustrie, die im 18. Jahrhundert gross geworden ist. Um ihre Textilien herzustellen, waren die Textilfirmen auf Baumwolle angewiesen, die auf Plantagen in Süd- und Nordamerika hauptsächlich von versklavten Menschen gepflückt wurde. In der Schweiz wurde das Material beispielsweise zu «Indiennes» verarbeitet, Baumwollstoffe, die mit vermeintlich indischen Motiven bedruckt wurden. Von Zürich wurden die Stoffe wiederum nach Afrika gebracht, um sie gegen weitere Menschen zu tauschen, die dann auf den Plantagen versklavt wurden. Die Schweizer Banken beteiligten sich an der Finanzierung der Schiffsfahrten und Zürcher Versicherungen versicherten die Schiffe. «So entstand ein globaler Markt, der eng mit der Versklavung von Menschen verwoben war. Das hatte einen Einfluss auf verschiedenste Bereiche der Wirtschaft und der Gesellschaft», sagt Charlotte Hoess, ebenfalls Historikerin und bei Zürich Kolonial aktiv. Auch die Stadt Zürich hielt im Jahr 1727 nachweislich Aktien eines britischen Sklavenhandelsunternehmens. Dass die kolonialen Verstrickungen der Schweiz im kollektiven Bewusstsein trotzdem lange wenig präsent waren, habe unter anderem vor allem mit dem Selbstbild als neutraler Staat zu tun, sagt Ligtenberg: «In der Schweiz wird die Wirtschaft und deren Tätigkeiten beispielsweise immer als neutral verstanden.»
Privatarchive führen zu Dunkelziffern
Insgesamt seien Schweizer:innen an der Versklavung von etwa 172 000 Menschen beteiligt gewesen, was etwa 1,5 Prozent der weltweit versklavten Menschen ausmache, schreibt Zürich Kolonial auf ihrer Webseite. Diese Zahl sei gar noch konservativ gerechnet, sagt Ligtenberg. Viele Unternehmen, die an der Sklaverei beteiligt gewesen seien, halten ihre Archive weiterhin unter Verschluss. Jene der eingangs erwähnten Bank Leu sind nur deshalb öffentlich, weil die Bank bis 1798 staatlich war und somit der Öffentlichkeit verpflichtet. Die UBS, die mit der Credit Suisse auch deren koloniale Verstrickungen übernahm, verhindert heute noch Untersuchungen mit Verweis auf das Bankgeheimnis. So sei es schwierig, ganz genaue Zahlen von Betroffenen zu nennen, sagt der Historiker Philipp Krauer, der sich ebenfalls bei Zürich Kolonial engagiert. Die Zahlen seien für ihn aber sowieso sekundär, so Krauer. «Grundsätzlich ist jedes versklavte Leben eines zu viel. Und wichtig ist auch, dass man die ganzen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Zusammenhänge versteht.»
Wie alle Mitglieder arbeitet auch Krauer ehrenamtlich für Zürich Kolonial. Einzig für die Beiträge auf der Webseite kann der Verein kleine Honorare bezahlen. Die virtuellen Stadtführungen auf der Webseite werden mittlerweile auch real durchgeführt. In Zusammenarbeit mit der Anny-Klawa-Morf-Stiftung führen an sechs Daten Stadtrundgänge mit Fokus auf Wirtschaft oder Kultur durch das koloniale Zürich. «Wir sind alle Historiker:innen und haben dadurch Wissen aus der Fachliteratur, das wir versuchen, mit der Webseite und den Stadtrundgängen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen», sagt Ligtenberg.
Die physischen Stadtrundgänge finden vom
29. März bis am 13. Juni statt. Den virtuellen Rundgang finden Sie auf zh-kolonial.ch.