Körpergefühl im Schulzimmer

Um die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Zürich zu fördern, haben die städtischen Schulgesundheitsdienste ein neues Projekt lanciert, in dessen erstem Teil der Fokus auf dem Thema «positives Körperbild» liegt. Projektleiterin Alexandra Papandreou erklärt im Gespräch mit Leonie Staubli, was dahintersteckt.

 

Letzte Woche führten Sie eine Veranstaltung zum Thema «positives Körperbild» durch. Das Thema ist einer von drei Schwerpunkten im Projekt «Psychosoziale Gesundheit im schulischen Kontext». Was können Sie uns über das Projekt als Ganzes sagen?

Alexandra Papandreou: Wir führen alle fünf Jahre bei Jugendlichen eine Befragung zu Gesundheit und Lebensstil durch, was uns Hinweise darauf gibt, wo Bedarf nach Gesundheitsförderung oder Prävention herrscht, also was wichtige Themen sind, mit denen Jugendliche sich schwertun oder Probleme haben. Daraus ist das Projekt «Psychosoziale Gesundheit im schulischen Kontext» entstanden. Wir legten mithilfe der Ergebnisse der Umfragen drei Teilbereiche fest. Das ist zum einen eben das positive Körperbild. Die Umfragen zeigten, dass viele Jugendliche mit ihrem Körper unzufrieden sind. Ein Aspekt ist zum Beispiel, dass viele sich zu dick fühlen, obwohl sie es nicht sind. Der Druck bezüglich des Aussehens ist sehr hoch und gerade auf Jugendliche noch stärker.

 

Was sind die anderen Aspekte des Projekts?

Der zweite ist der «Schulabsentismus». Dabei geht es um das Schule-Schwänzen aus Unlust oder Gruppendruck bis hin zu Gründen wie Mobbing oder Diskriminierung. Dann hatten wir Umfrageergebnisse, die klar darauf hindeuteten, dass Depressionen und Angstzustände bei Jugendlichen vorkommen, also setzten wir dort den dritten Schwerpunkt. «Positives Körperbild» ist jetzt der erste Punkt, den wir mit einem Programm angehen.

 

Inwiefern ist das «positive Körperbild» bei Kindern und Jugendlichen ein Thema? Wer ist davon betroffen?

In der Gesundheitsbefragung der Stadt Zürich zeigte sich, dass etwa 40 Prozent der Mädchen sich zu dick fühlen, obwohl sie normal- oder untergewichtig sind; das ist ein sehr hoher Anteil. Auch 18 Prozent der Jungen sind davon betroffen, das ist auch recht viel – bei ihnen ist es auch häufig umgekehrt, nämlich dass sie sich zu dünn fühlen und gern muskulöser wären. Also ganz gemäss dem weiblichen bzw. männlichen Schönheitsbild, das über die Medien propagiert wird und dem sich die Jugendlichen anpassen möchten. Wir fragten auch, was die Jugendlichen gern an sich ändern würden, und über die Hälfte der Mädchen gab an, dass sie abnehmen möchten. Das ist eine sehr hohe Zahl von unzufriedenen Jugendlichen, dort möchten wir ansetzen.

 

Ist das Problem grösser als früher?

Es ist sicher nicht völlig neu – aber über die sozialen Medien wird der Trend viel stärker verbreitet, denn dort ist die Selbstdarstellung ein grosses Thema. Man will vorteilhaft aussehen und die Bilder werden entsprechend manipuliert und bearbeitet. All das setzt natürlich die Latte sehr hoch im Vergleich zu früher. Schönheitsideale gab es aber schon immer in der Gesellschaft, sie verändern sich bloss. Durch die sozialen Medien und die Gewohnheit, sich selber zu präsentieren, ist einfach der Druck auf die Jugendlichen grösser.

 

Würden Sie sagen, die heutigen Ideale mit Schlankheitswahn und übermuskulösem Körperbau sind ungesünder?

Die Ideale waren sicher früher weniger extrem. Zudem gibt es heute mehr Möglichkeiten: Wenn man Muskeln aufbauen möchte, kriegt man dafür auf dem Markt Präparate, die man sich leisten kann, und die auch Jugendliche einnehmen. Und die Ideale werden von der Industrie gefördert, das war vielleicht früher auch noch nicht so; diese Firmen sind daran interessiert, dass Menschen sich in ihrem Körper nicht wohlfühlen und dass sie damit Geld verdienen können.

 

Sind wir nicht auch als Gesellschaft sensibler gegenüber psychischen Problemen geworden?

Unser Bewusstsein hat auf vielen Ebenen zugenommen, das stimmt, sei es nun Gesundheit oder Krankheit. Wir haben viel mehr Wissen als früher und sind damit auch aufmerksamer. Ich würde das aber nicht spezifisch auf das Körperbild beziehen.

 

Das eigene Körperbild ist etwas sehr Persönliches. Wie kann eine Schule ein so empfindliches Thema überhaupt angehen?

Uns geht es darum, überhaupt einmal sensibilisierend aufzuklären. Wir wollen aufzeigen, was für Mechanismen dahinterstehen, wenn Bilder auf den sozialen Medien bearbeitet und geteilt werden und wie sie uns beeinflussen. Man weiss von Studien, dass das schon einen positiven Effekt zeigt. Die Aufklärung ist also ein Aspekt, bei dem die Schulen ansetzen können. Dann offerieren wir auch Unterstützung, zum einen etwa mit den «Bodytalks», das sind Workshops, die von der Fachstelle PEP (Prävention Essstörungen Praxisnah) angeboten werden. Dabei besuchen Fachleute die Schulklassen und sprechen dort im Dialog mit den SchülerInnen an, was diese beschäftigt, und hinterfragen auch Standards zum Thema Aussehen. Das soll eine kritische Denkweise anregen. Bei Jugendlichen kommt es häufig zu Diskriminierung und zum Ausschliessen aufgrund bestimmter Körpermerkmale, und auch das sprechen diese Leute an. Eine weitere Strategie ist, das Selbstwertgefühl zu stärken. Und was im Hinblick auf die Einstellung zum eigenen Körper ebenfalls helfen kann, ist ein gutes Körpergefühl und die Frage, wie man dieses fördern kann.

 

Geht es dabei darum, sich im eigenen Körper gesund zu fühlen?

Nicht nur das, sondern überhaupt den eigenen Körper zu spüren und ein Gefühl dafür zu haben, also Fragen wie: Was macht es mit mir, wenn ich mich anstrenge? Was passiert, wenn ich mich entspanne? Im Weiteren sind für die Entwicklung eines positiven Körperbildes ein gutes Selbstwertgefühl sowie ein konstruktiver Umgang mit Gefühlen und Emotionen wichtige Voraussetzungen. Wer Freude, Stress, Angst, Wut oder Hunger spüren und regulieren kann, kann auch besser Impulse, wie zum Beispiel den Drang zum Essen, kontrollieren. Studien zeigen, dass Menschen mit einem besser ausgebildeten Körpergefühl und einem höheren Selbstwertgefühl seltener Schönheitsidealen verfallen und auch weniger Massnahmen wie Diäten oder exzessives Muskeltraining ergreifen.

 

Was kann man tun, um das Körpergefühl zu fördern?

Sport und Bewegung ist natürlich eine Strategie. Man kann aber auch bestimmte Übungen gezielt in den Unterricht einbauen, wie etwa, dass ein Kind auf dem Boden liegt und ein anderes kleine Sandsäckchen auf ihm verteilt. Das Kind muss dann sagen, wo es diese Sandsäckchen und deren Druck spürt und so lernen, die einzelnen Körperteile wahrzunehmen.

 

Für welches Alter eignen sich solche Übungen?

Damit kann man schon sehr früh beginnen, der Umgang mit Emotionen ist bereits ab dem Kindergarten ein Thema; dazu gibt es auch Lehrmittel, die auf dieses Alter zugeschnitten sind. Aber das effektive Gespräch zu Aussehen und Körperbild und Schönheitsidealen empfiehlt sich erst ab dem Zeitpunkt, an dem es auch für das Kind zu einem Thema wird. Man sollte da auf keinen Fall proaktiv vorgehen und ansprechen, was noch überhaupt kein Problem ist, sondern darauf warten, dass mit der Pubertät auch eine Aussensicht auf den Körper stattfindet und das eigene Aussehen hinterfragt wird. Darum werden auch nicht nach dem Giesskannenprinzip über die ganze Stadt Präventionsmassnahmen ergriffen, sondern Lehrpersonen können sich anmelden, wenn sie glauben, dass bei ihrer Klasse Bedarf besteht und sie gern einen Workshop durchführen möchten.

 

Es sind also die Lehrpersonen, die Bedarf anmelden, und Leute von den Gesundheitsdiensten, die reagieren und vorbeikommen?

Genau – die Leute von der Fachstelle PEP führen zum Beispiel die Workshops zu den Bodytalks durch. Im Gesamtprogramm haben wir aber noch mehr Angebote, da gibt es auch Weiterbildungen für Lehrpersonen, in denen sie das Thema und entsprechende Lehrmittel schon kennenlernen, bevor es für die Kinder relevant wird, damit sie rechtzeitig reagieren können. Zudem haben wir ein Angebot für die Betreuung, denn das Thema Körperbild kommt auch im Zusammenhang mit dem Essen auf, wie etwa bezüglich der Förderung eines gesunden Essverhaltens, das wiederum ein gesundes Körperbild unterstützt. Das Hunger-Sättigungs-Gefühl ist zum Beispiel sehr wichtig, das muss man bei Kindern unbedingt zulassen und darf es nicht unterdrücken. Und dann gehören auch Elternabende dazu, denn je breiter ein Präventionsprogramm abgestützt ist und je mehr Ebenen man damit anspricht, desto mehr Wirkung erzielt es. Aber es ist alles auf Freiwilligenbasis.

 

Inwiefern liegt das Thema «Positives Körperbild» überhaupt im Aufgabenbereich der Schule?

Es gibt natürlich für die Schulen brennendere Themen. Aber wenn Jugendliche mit dem körperabhängigen Selbstwertgefühl stark beschäftigt sind, beeinflusst das auch ihre Konzen-tration auf den Schulstoff. Ein Kind muss bis zu einem bestimmten Grad unbefangen sein und sich wohl fühlen, um überhaupt den Stoff aufnehmen zu können. Wenn man da also Druck wegnehmen kann, verbessern sich oft auch die schulischen Leistungen.

Zweitens kann das Körperbild zu einem grossen Mobbing-Thema werden, sei es wegen dem Körpergewicht oder einem bestimmten Aussehen. Und in diesen Fällen hat die Lehrperson die Verantwortung einzugreifen, sonst wird das Unterrichten in der Klasse schwierig. In diesem Sinne gehört das Thema durchaus zur Schule, auch wenn es nicht unbedingt oberste Priorität hat. Ausserdem hat der Eingriff über die Schule für uns von den Schulgesundheitsdiensten den Vorteil, dass wir so sehr viele Jugendliche erreichen – das wäre andernorts nicht der Fall. Gerade in der Gesundheitsförderung erreicht man häufig nur diejenigen, die ohnehin schon sensibilisiert sind, und nicht die, die eigentlich betroffen wären. Die Schule ist da ein breiteres Setting.

 

Sie arbeiten in der Elternbildung auch mit Femmes-Tischen und Väter-Foren. Was ist das?

Das ist ebenfalls ein Gesundheitsförderungsangebot, das gesamtschweizerisch besteht. Es geht darum, eine Gesprächsrunde aus Leuten aus dem gleichen, nicht-schweizerischen Kulturkreis herzustellen, weil diese meist schwieriger zu erreichen sind als Schweizer Familien. Es gibt bei einem Femme-Tisch zum Beispiel eine Moderatorin, die zu verschiedenen Themen aus einer grossen Palette geschult wird. Sie wählt davon eines aus, sucht eine Gastgeberin und lädt aus dem eigenen Bekanntenkreis Frauen ein, die sich dann treffen und sich etwa eine Stunde lang über Gesundheits- und Erziehungsthemen austauschen. Die Väter-Foren funktionieren nach dem gleichen Prinzip. Es geht einfach darum, dass diese Eltern über Dinge sprechen können, die sie in ihrem Alltag beschäftigen, und Hinweise und Hilfestellungen erhalten, die sie zurück in die Familie bringen können. Zum Thema Körperbild haben uns die Mütter und Väter dieser Runden oft gesagt, sie hätten ein ganz anderes Schönheitsideal als hier in der Schweiz herrscht. Wenn ein Kind das Schweizer Schönheitsideal über FreundInnen oder das Internet übernimmt und zuhause thematisiert, kann das zu einem Konflikt führen.

 

Werden in diesen Runden auch die anderen Schwerpunkte, «Schulabsentismus» und «Depressionen und Angstzustände» ein Thema sein?

Das ist bisher nicht geplant, aber die Möglichkeit steht uns offen. Die Themen dieser Runden sind ja beliebig erweiterbar, man könnte das also noch dazu nehmen. Beim Schulabsentismus sind wir bisher mit einer Bedarfs- und Situationsanalyse bei den Fachleuten gestartet, in deren Rahmen wir erst einmal abklären, was es in den Schulen überhaupt braucht. Dann werden wir uns sinnvolle Massnahmen überlegen.

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