- Stadt Zürich
Klimakiller, Kulturgut, schädlich und essenziell?
Ein Wolf mit Hasenzähnen, eine Katze mit Hasenzähnen, ein Löwe mit Hasenzähnen, eine Schlange mit Hasenzähnen… und darunter versammelt: Gastrounternehmer Rolf Hiltl, dessen Restaurantkette die vegetarischen Raubtiere auf der Leinwand bewerben, Urs Spinner, Departementssekretär des Stadtzürcher Hochbauamts, Goldbach-Group-CEO Christoph Marty, und AL-Gemeinderat Michael Schmid. Anlass für das Podiumsgespräch im Restaurant Razzia von KS/CS, dem Dachverband der kommerziellen Kommunikation der Schweiz, hat ein Vorstoss aus der Küche seiner Partei gegeben: Ein Verbot von Aussenwerbung in Zürich. Und so soll Schmid im Raubtiergehege der Werber:innen als erstes erklären, was er und seine Partei eigentlich gegen Plakatwerbung habe. «Sie beeinträchtigt die Qualität des öffentlichen Raums, sie führt zu einer Verschiebung des Konsums von lokalen Anbietern zu nationalen oder internationalen Unternehmen, von CO2-armem zu CO2-intensivem Konsum und schliesslich hat sie eine negative Auswirkung auf die psychische Gesundheit.» Besonders digitale Werbescreens – sie machen rund einen Drittel der Plakatwerbungen der Goldbach Group aus – zögen zu viel Aufmerksamkeit auf sich. Bei dem Aufwand, den die Stadt für einen attraktiven öffentlichen Raum betreibe, sei es absurd, dieses Stadtbild mit Werbescreens zu «verschandeln». Matthias Ackeret, Verleger und Chefredaktor des Branchenmagazins ‹Persönlich› und Moderator der Diskussionsrunde, fragt darauf bei Urs Spinner vom Hochbaudepartement nach, was die Folge eines Verbots wäre. «Dann gäbe es keine Plakatwerbung mehr, so simpel ist das», lautet die Antwort. Das klingt ja relativ unkompliziert: Plakatwerbung ist schlecht für die Umwelt, für die Gesundheit, fürs Stadtbild, und ein Verbot würde sie ersatzlos entfernen. Fertigschluss.
Linker Populismus ohne Wirkung?
Aber Christoph Marty von der Goldbach Group widerspricht: Ein Verbot von Plakatwerbung führe nicht zu weniger Werbung, sondern zu Werbung an anderen Orten. «Die Kommunikationsindustrie würde eine Lösung finden», sagt er. «Die Werbung ist wie Wasser», pflichtet ihm Urs Spinner bei, sie suche sich ihren Weg. Dass in der jüngeren Vergangenheit eine ganze Reihe Vorstösse zum Thema Werbung im öffentlichen Raum im Parlament vorgebracht wurden, liege möglicherweise auch daran, dass die Idee eines Werbeverbots «populär» sei – oder anders ausgedrückt, dass hier von linker Seite «Politik gemacht» werde. «On the ground» sei der Effekt eines Verbots nämlich «gleich null». Dasselbe gelte übrigens für die positiven Folgen fürs Klima, die von der Befürworter:innenseite prominent angeführt werde. Und ausserdem, hier sind sich Hiltl, Stadtrat, Spinner und Marty einig, gehöre Werbung zum Stadtbild Zürichs, habe jahrundertlange Tradition, wie das Restaurant Hiltl oder das blaue Tram. Letzterem, genauer der VBZ, würden bei einem Werbeverbot jährlich etwa 14 Millionen Franken durch die Lappen gehen. Insgesamt beliefen sich die Einnahmeeinbussen auf knapp 30 Millionen Franken.
Ob es denn auch Werbung gebe die er selbst gut fände, fragt Ackeret bei AL-Mann Schmid nach: «Ja natürlich, die für die eigene Partei zum Beispiel», antwortet dieser. Seiner Meinung nach – und hier weicht er vom Vorstoss ab, der Werbung für lokale Veranstaltungen, zur politischen Meinungsbildung sowie zur Beschriftung von Geschäften und Informationen der öffentlichen Hand explizit erlaubt – bräuchte es im öffentlichen Raum aber auch diese nicht. Marty erinnert daran, dass bei einem allfälligen Verbot auch die «picobello» installierten Träger (Bildschirme und Plaktatwände) für ebenjene Bewerbung von politscher Meinungsbildung und Kultur fehlen. Die Folge wäre, dass vor Wahlen und Abstimmungen die Stadt mit politischer Werbung auf Privatgrundstücken – wie man es aus ländlichen Gebieten kennt – vollgekleistert würde. Schmid erwidert, dass für ihn auch ein Werbeverbot auf privatem Grund vorstellbar sei, um einen qualitativ hochstehenden öffentlichen Raum zu garantieren.
Philosophische Fragen
Die erste Frauenstimme, die in Form eines Publikumsvotums ganz zum Schluss der Diskussion zu Wort kommt, unterstützt Schmid, der bisher in Unterzahl agieren musste: «Für mich verkörpert Werbung, dass Bedürfnisse generiert werden, die vorher gar nicht existierten und die vielleicht langfristig gar nicht erfüllt werden können. Werbung verkauft den Menschen, dass sie etwas brauchen, was sie eigentlich nicht brauchen. Das Ziel der Werbung ist, den Konsum anzukurbeln, und die Folge ist Ressourcenüberverbrauch.» Rolf Hiltl kann sich mit dieser Aussage nicht so recht anfreunden: «Das sind jetzt philosophische Fragen.» Er betont, dass das Votum ein berechtigtes sei, aber: «Wir leben halt in einer Marktwirtschaft.» «Ich weiss nicht, ob Sie auch Unternehmerin sind» fragt er, und die Frage wirkt ein wenig rhetorisch, «aber irgendwie muss ich den Leuten in der Stadt ja sagen können, dass wir hier sind.» Gerade die Werbung auf Plakaten sei eine Art von Kunst, findet Hiltl, und er erinnert an die ersten Hiltl-Plakate von Hugo Laubi aus dem Jahr 1933, «die heute in Museen ausgestellt werden». Diese Plakatkunst sei essenziell für das Zürcher Lokalkolorit.
Der Vorstoss der AL wird vom Stadtrat einstimmig abgelehnt, der Gemeinderat hat sich dazu aber noch nicht geäussert, die Debatte ist also noch nicht beendet. Mit der Petition des Bündnisses «Zürich werbefrei», die bereits rund 1300 Unterschriften gesammelt hat, wird das Thema auch sonst auf der politischen Agenda stehen. Gleichzeitig bleibt die Frage, wie sich die Stadt langfristig zu digitalen Werbeflächen positioniert. Der Stadtrat hat einen weiteren Ausbau dieser Anlagen bis 2030 gestoppt – das liege aber nicht daran, dass wiedermal «die AL gebellt» habe, versichert Spinner.