Kindergeburtstag

Ich hatte diese grossartige Idee, den Kindergeburtstag meines Sohnes in der Lasertag-Arena in Zürich zu verbringen. Nicht, dass es mir selbst eingefallen wäre, aber mein Sohn wünschte sich das für sich und seine Freunde. Ich war schwach und verzweifelt, denn die Geburtstagsfeier vor einem Jahr war coronabedingt ausgefallen, Schnitzeljagden oder bräteln im Wald sind komplett ausser Mode mittlerweile, und so geschah es dann also. Eine Lasertag-Arena ist ein Ort, an dem man in einem dunklen, verwinkelten Raum mit einer brachial-futuristisch anmutenden, furchtbar unbequemen Weste, die vorne und hinten neonfarbig blinkt, herumgeht und versucht, mit einer Laser-Plastikwaffe so auf die Westen der anderen zu schiessen, dass man sie trifft. Schafft man das, bekommt man Punkte und der oder die Getroffene verliert Punkte. Man versteckt sich hinter Wänden, schaut durch Luken, Fenster und Ritzen und eine undefinierbare Geräuschkulisse, die knapp gerade nicht nach Schüssen tönt, dröhnt aus den Wänden. 

 

Ich hatte also die Idee, das an einem Mittwochnachmittag mit acht Schulkollegen meines Sohnes zu machen und natürlich war das aus mehr als einem Grund keine besonders gescheite Sache. Als Mutter, die ihren Kindern die beliebten Spielzeugwaffen namens Nerf daheim verbietet, ist es an und für sich hochgradig inkonsequent, an so einen Ort zu gehen. Erstens. Zweitens, wie soll ich sagen, ist ja gerade Krieg. Ist das der Moment, um mit Kindern das Schiessen als Geburtstagsspass zu zelebrieren?

 

Wo ich aber nun schon mal da war, machte ich eine halbe Runde mit. Ich zog mir so eine Weste über, gab mir den Kampfnamen Kugelblitz (man muss sich einen Namen geben, ist so), nahm die Waffe und ging mit allen zusammen in diese sogenannte Arena. Und ich stellte nach sehr wenigen Minuten, in denen ich bereits unzählige Male getroffen worden war, fest, dass ich das nicht kann. Ich kann nicht als Heckenschützin auf Kinder schiessen. 

 

Nun kann man freilich sagen, dass das grundsätzlich keine schlechte Eigenschaft sei. Das stimmt. Trotzdem drückte mich diese Erfahrung mit einer Wucht an die Wand, dass ich eine Weile brauchte, um zu begreifen. Während Kinder Kinder sind und dieses Spiel in keinem anderen, grösseren Zusammenhang sehen, ist mir als Erwachsene ein so unbeschwerter Zugang gerade jetzt einfach unmöglich. Der Krieg ist ja da, in meinem Leben war er erst ganz selten so nah. Und ich hatte plötzlich eine leise, kleine Vermutung davon, wie es sein könnte, wenn man von heute auf morgen mit einer Waffe in der Hand zwischen Häusern stehen und schiessen muss. Auf Menschen, richtige Menschen, die dasselbe tun müssen, wenn sie mich sehen. Mich streifte ganz, ganz kurz eine bodenlose Kälte, wie ich da hinter einer Mauer kauerte, die Waffe im Anschlag, die Sichtverhältnisse miserabel. Habe ich Deckung oder kann jemand von hinten zu mir hin und was tue ich dann?

 

Eine Erfahrung, die UkrainerInnen und RussInnen genau in diesem Moment auch machen und das war eine derart irre zeitliche Koinzidenz, dass ich auf die Knie ging. So, wie UkrainerInnen und RussInnen genau auch, in diesen Minuten, zwischen ihren Häusern, hinter Mauern, in ihren Strassen. Versteckt, geduckt, die Waffe im Anschlag, die aber nicht aus Plastik ist, und es gibt auch keine Musik aus Lautsprechern oder so albern blinkende Westen. Denn es ist kein Kindergeburtstag, es ist echt. Da sind Menschen, die genauso unerwartet und unvermittelt in einem Nahkampf sind. Auf Leben und Tod. 

 

Ich ging raus, da war Licht und frische Luft. Ich wartete auf die Erleichterung.

 

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