KI: Fluch oder Segen?

Kinder und Narren sagen die Wahrheit. Als ich noch ein Kind war, warf der damalige Erdölkonzern Esso eines schönen Tages eine neue Benzinmarke auf den Markt und bewarb sie mit dem Spruch: «Tu den Tiger in den Tank.» Wir Gofen reagierten subito mit der Frage: Was nützt der schönste Tiger im Tank, wenn ein Esel am Steuer sitzt? Und wissen Sie was? Das ging mir in all den Jahrzehnten seither nicht mehr aus dem Kopf. Und warum? Weil das verflucht weise ist. Weil das unseren Umgang mit Technologien absolut auf den Punkt bringt. Wetten, dass auch der Hype um KI dem so folgen wird?

KI ist der neue heisse Scheiss und hat das Zeug, zur Jahrhunderttechnologie zu werden. KI soll die erste Technologie sein, die die bisherige Regel, dass der Mensch die Technik entwickelt und die Technik das entwickelte Objekt ist, durchbricht. KI ist lernfähig. KI soll auch autonomiefähig sein, will heissen: fähig dazu, nicht mehr seinem Erfinder gehorchen zu müssen. KI werde der gesamten Menschheit alles Wissen in Echtzeit zur Verfügung stellen. KI werde alle Arbeit, die wir nicht mögen, obsolet machen. Und so weiter. – Tolle Aussichten, toller Tiger! Aber der Flaschenhals ist der Mensch, nicht die Technik. Wir haben jetzt schon Zugang zu sämtlichem Wissen, und wir werden nicht klüger. Wir ersetzen jetzt schon doofe Arbeit durch Roboter, machen aber immer noch Bullshitjobs. Und wetten, dass die KI zuerst für die Entwicklung smarter Waffen und erst danach, falls dann noch jemand übrig ist, zur Entwicklung smarter Medikamente eingesetzt werden wird? Der Mensch ändert sich nicht so schnell, daher werden einige menschgemachte Regeln auch nicht so schnell ausser Kraft gesetzt. Wie etwa die, dass die «wertneutrale» Technik, die man so oder so einsetzen könne – notabene ein falsches Argument, aber das ist eine andere Geschichte –, immer auf dieselbe Art eingesetzt wird, welche durch die Gesetze der Gewinnmaximierung oder durch simple Interessen und Machtaspekte diktiert werden. Gerade falls KI «nur» eine Technologie sein sollte, wird sie nicht anders eingesetzt werden als sämtliche Technologien vor ihr. Also eher nicht zum Wohle der Menschheit. Ob KI selber das Zeug dazu hat, solche Gesetzmässigkeiten zu durchbrechen, (vulgo: klüger als der Mensch zu sein,) ist nicht klar. Ob wir das überhaupt wollen, noch unklarer.

«Fluch oder Segen» ist daher nur eine dumme und gefährliche Floskel, die überdeckt, dass KI erstens nicht ein Ding an sich ist, das sich fröhlich irgendwo hin entwickeln wird, sondern sich so entwickelt, wie das wir Menschen anordnen. (So wie jede Software, soweit ich weiss.) Und zweitens täuscht die Floskel eine Dichotomie vor, die so gar nicht existiert, denn was der einen ihr Fluch, ist dem andern sein Segen: Auch KI kann den Machtaspekt in gesellschaftlichen Entwicklungen nicht übersteuern. Das ist kein Kulturpessimismus, sondern a) Erfahrung und b) eine kapitalistische Regel, ganz nach dem (ebenso dummen wie unethischen) Motto: Wenn wir es nicht tun, machen es die andern.

Dass der Esel übrigens immer noch am Steuer sitzt, kann man zum Beispiel daran erkennen, dass das Silicon Valley, also das westliche Mekka der KI-Entwicklung und das Zentrum der Investitionen, mitten in ein Erdbebengebiet gebaut wurde, das äusserst aktiv und akut ist. Es braucht also nur ein «Jahrhundertereignis» (das übrigens in wenigen Jahrzehnten prognostiziert wird), und China freut sich. Das ist dann eher natürliche Dummheit, statt künstlicher Intelligenz.