Keiner zu klein, ein Trump zu sein

Seit zehn Jahren findet in Stäfa an der Sekundarschule der sogenannte Gender-Tag statt. Dabei geht es darum, dass Schülerinnen und Schüler Geschlechterrollen und Stereotype reflektieren, aber auch über Sexualität und sexualisierte Gewalt sprechen. «Geschlechter und Gleichstellung» ist auch als Thema im Lehrplan 21 verankert. Neun Mal also gab es einen Gender-Tag ohne Probleme, jetzt musste er abgesagt werden. Was ist passiert? Ein Reminder an die Schüler:innen gelang in die sozialen Medien und führte zu einem Shitstorm. Schule und Mitarbeitende wurden bedroht, es gab Bedenken, dass am Tag die Sicherheit nicht gewährleistet werden kann. Der zehnte Gender-Tag fällt also aus. Der Shitstorm kam nicht von heiterhellem Himmel, sondern wurde von Politiker:innen gezielt geschürt. Der Aargauer Nationalrat Andreas Glarner und die Zürcher Kantonsrätin Nina Fehr Düsel (beide SVP) veröffentlichten beide die Einladung zum Gender-Tag in den sozialen Medien, auf der auch die Telefonnummer der Schulsozialarbeiterin ersichtlich war. Versehen mit den Kommentaren «es ist genug mit dem Woke-Wahnsinn»  (Nina Fehr Düsel) und «wer greift durch und entlässt die Schulleitung» (Andreas Glarner). SVP-Nationalrat Roger Köppel warnt in seinem täglichen Weltwoche-Video vor der schädlichen linken Ideologie, die den Kindern da eingehämmert werde. 

Der Gender-Tag und seine Absage war dann auch Thema im Kantonsrat und gab Anlass zu einer Reihe von Fraktionserklärungen. Für die SP verurteilte Rafael Mörgeli die «rechte Hetze» und «rechte Cancel-Culture», die zur Absage des Gender-Tags geführt hätten. Die Politiker:innen, die diese Hetze geschürt hätten, sollt en sich bei der Schule entschuldigen. Auch Jasmin Pokerschnig (Grüne) verurteilte die Hetze und meinte: «Der Trumpismus hat in den Reihen unserer rechtsnationalistischen Ratskollegen definitiv Einzug gehalten.» Lisa Letnansky von der AL nannte das Ding beim Namen: «Transphobie und Queerfeindlichkeit.» Auch Yvonne Bürgin (Mitte) verurteilte die Hetze deutlich und sprach von «Tätern und Brandstiftern», die zur Verrohung der politischen Kultur führen würden. Susanne Brunner (SVP) verurteilte zwar im Namen der SVP die Drohungen, die an die Schule gerichtet wurden. Auch sei die SVP dafür, dass Geschlechterrollen an Schulen diskutiert würden. Aber, was nicht gehe sei, dass man den Tag «Gender-Tag» nenne, Gendersterne und das Transgender-Logo verwende: «Die Verantwortlichen in Stäfa haben Fehler gemacht.» Damit habe man, bewusst oder unbewusst, eine Ansage gemacht, die eben zu dieser Besorgnis geführt habe: «Gendersterne, Gendersprache und die Transgender-Thematik werden seit einiger Zeit von gewissen politischen Parteien, von Medienhäusern, kommunalen Behörden, von Schulen und Hochschulen mit einer Vehemenz vorangetrieben, dass es in der Bevölkerung zu Besorgnis, Unmut und zu Unruhe führt. Und wir wundern uns nun, dass der Seismograph in Stäfa ausgeschlagen hat!» Ins gleiche, wenn auch etwas mildere Horn blies Andre Müller (FDP): Er wehrte sich zwar im Namen der FDP auch gegen die Verrohung der Kultur, sah den Fehler aber auch in der Kommunikation der Schule in Stäfa. Der Titel des Tages und die verwendeten Gendersterne seien nicht «optimal», da hätten die Verantwortlichen (die Schulpräsidentin in Stäfa ist in der FDP) Fehler gemacht. So gibt also mindestens die SVP, zum Teil auch die FDP der Schule die Schuld, dass sie bedroht wurde. Weil man offenbar ideologische Sprache oder Symbole verwendet habe. Das ist doch eine relativ abenteuerliche Täter-Opfer-Umkehr. Selbst wenn man kein Gefallen an Gendersternchen findet, so gibt einem das noch lange keine Berechtigung, Lehrpersonen zu bedrohen. 

Tatsächlich handelt es sich hier um eine importierte Debatte, wie Jacqueline Badran in der ‹Sonntags-Zeitung› treffend festhielt. In den USA tobt dieser Kulturkampf schon seit längerer Zeit. Besonders profiliert dabei hat sich Floridas Gouverneur Ron DeSantis, der seinen eigenen Staat damit anpreist, dass hier der Ort sei, «wo Woke stirbt». Dabei stehen verschiedene Massnahmen im Programm, vom Verbot an Schulen, über Geschlechteridentitäten zu informieren, bis zum Verbot gewisser Bücher in Schulen, unter anderen Werke von Toni Morrison, Margaret Atwood und Arundhati Roy. Die vorgeschobene Begründung ist, dass man Kinder vor pornographischen oder unangebrachten Inhalten schützen will, in Wirklichkeit geht es wohl eher darum, unliebsame Ansichten zu zensieren. 

Die SVP übernimmt schon lange die greatest Hits der US-Republikaner. Bis vor Kurzem glaubte ich allerdings, dass die ganz schrill fundamentalistischen in Europa und in der Schweiz nicht funktionieren würden. Das gilt im Prinzip auch für ihren Kampf gegen die angebliche «Transgender-Ideologie», die suggeriert, dass es irgendwie ansteckend sein könnte, wenn sich Kinder mit verschiedenen Geschlechtsidentitäten auseinandersetzen. Nun ist die Hatz auf trans Personen auch in den USA nicht mehrheitsfähig, genauso wenig wie das Quälen von queeren Kindern. Nur: Eine kleine, aber laute und aggressive Minderheit kann hier viel Schaden anrichten. 

Die Absage des Gender-Tages war ein Erfolg für die Hetzer. So freute sich denn auch Nina Fehr Düsel auf Twitter über die Absage (den ersten Tweet mit der Telefonnummer der Schulsozialarbeiterin hat sie mittlerweile gelöscht). Das Ziel von Shitstorms und Hetze ist die Einschüchterung. Und diese Methode hat leider auch Erfolg. Hassrede führt dazu, dass sich Personen aus der Diskussion zurückziehen, sich nicht exponieren wollen. Im schlimmsten Fall führt es gar wie bei alt-Kantonsrätin Sarah Akanji (SP) zum Rückzug aus der Politik. Die vielbeschworene Freiheit soll nur gelten für jene, die der Norm entsprechen, formuliert es Lisa Letnansky in der AL-Fraktionserklärung treffend. Und der zweite Effekt ist ebenso gefährlich. Personen, die nicht den Geschlechternormen entsprechen, sind häufiger Gewalt und Anfeindungen ausgesetzt. Kinder und Jugendliche sind besonders verletzlich, sind anfälliger auf psychische Erkrankungen und haben höhere Suizidraten. 

Wir sind an einen Punkt angekommen, wo wir leider nicht mehr nüchtern oder auch ironisch über Sinn und Unsinn von Gendersternen oder Unisextoiletten debattieren können, auch wenn man darüber tatsächlich diskutieren könnte. Sondern an einem Punkt, wo die offene Gesellschaft, die Meinungsfreiheit und die gesellschaftliche Vielfalt bedroht sind. Es ist an der Zeit, dieser destruktiven Hetze entschieden entgegenzutreten. Und es ist zu hoffen, dass sich hierfür eine breite Allianz finden lässt. 

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