Kein «endlich hört der Tubel auf…»

Acht Jahre lang stand Martin Naef als SP-Nationalrat und überzeugter Europäer im Dienst der Bevölkerung des Kantons Zürich. Woran er sich im Rückblick auf seine Zeit in Bern gern erinnert und was er als nächstes vorhat, erklärt er im Gespräch mit Nicole Soland.

 

Als Politiker muss man stets damit rechnen, nicht wiedergewählt zu werden – dennoch dürfte der 20. Oktober für Sie ein schwieriger Tag gewesen sein.

Martin Naef: Zwar wäre ich so oder so nicht noch ewig auf meinem Posten geblieben, doch ich wäre jetzt für zwei Jahre Präsident der Aussenpolitischen Kommission geworden. Dieses Amt hätte ich sehr gern übernommen. Vor allem hätte ich danach auch gern Zeit gehabt, um in Ruhe zu entscheiden und mich umzuschauen, was ich als nächstes machen will und könnte. Das Härteste an der Nicht-Wiederwahl ist, dass sie die fristlose Entlassung bedeutet – und dies, ohne dass man selber irgendetwas angestellt hätte. Von meiner nach vielen Jahren Politik jetzt noch 20-Prozent-Stelle bei der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde KESB der Stadt Zürich kann ich nicht leben; ich muss mir jetzt also erst mal einen neuen Job suchen.

 

Die SP hat in der Stadt Zürich stark verloren: Was halten Sie von Ihrem persönlichen Wahlresultat?

Sehr stark verloren haben wir im ganzen Kanton. Ich habe in der Stadt, aber auch im Kanton persönlich eigentlich ein gutes Resultat gemacht, habe sogar noch einen Platz auf der Liste der SP gutgemacht – und das als Mann. Letztes Mal habe ich aber 102 300 Stimmen gemacht, dieses Mal 76 300. Das sind die fehlenden Listenstimmen für die SP! Sogar die Beste auf unserer Liste, Jacqueline Badran, landete bei knapp 110 000 Stimmen, während sie letztes Mal noch auf fast 126 000 gekommen war. Kurz: Die SP hat etwa einen Fünftel ihrer WählerInnen verloren. Das muss uns zu denken geben.

 

Sie waren Mitglied der Aussenpolitischen Kommission. Die vielen Reisen ins Ausland werden Sie wohl vermissen?

Zuerst einmal war ich während der letzten eineinhalb Jahre auch noch Mitglied der Rechtskommission. Und was die Reisen betrifft: Diese müssen die Kommissonsmitglieder normalerweise selber zahlen. Es gibt eine einzige offizielle Reise der Aussenpolitischen Kommission pro Jahr, und daran dürfen 8 der 25 Mitglieder teilnehmen. Ich war dieses Jahr dabei, wir waren in Griechenland, auch im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos. Es sind diese Erinnerungen, die mir bleiben.

 

Was wird Ihnen denn am meisten fehlen?

Sicher nicht gewisse Debatten im Rat. Aber einige Menschen dort, die mir ans Herz gewachsen sind. Das Bundeshaus ist ein Biotop im positiven Sinne, ich habe dort mit vielen KollegInnen viel und eng zusammengearbeitet. Diese Zusammenarbeit, die politischen Diskussionen und Auseinandersetzungen werde ich vermissen.

 

Welches sind Ihre grössten Erfolge als Nationalrat?

In der Aussenpolitik ehrlich gesagt wenige. Bei der Entwicklungszusammenarbeit ist es uns immerhin gelungen, massive Kürzungen zu verhindern. Bei den Menschenrechten ist es der Job der Linken, den Bundesrat auf Trab zu halten. Ich habe beispielsweise als Co-Präsident der Parlamentarischen Gruppe Schweiz–Tibet viele Interpellationen geschrieben. Ich machte Vorstösse zu den Menschenrechten von Homosexuellen in Uganda oder Tschetschenien. Der Bundesrat lieferte oft ähnliche Antworten à la «ja, wir sehen das Problem; ja, es ist nicht in Ordnung, wie diese Menschen behandelt werden; ja, wir schauen, was sich machen lässt…»

 

Das tönt aber nicht sehr verbindlich.

Stimmt, doch einmal hat mich ein Vertreter der Menschenrechtsabteilung im EDA an einem Anlass gebeten, weiter solche Vorstösse zu machen, auch wenn die Antworten manchmal dürr ausfielen. Denn es helfe ihm und seinen KollegInnen sehr, wenn sie sagen könnten, «es gibt Druck aus dem Parlament». Und tatsächlich durfte ich in einem Fall erleben, dass ein Kulturschaffender, ein Tibeter, aus dem Zwangsarbeitslager entlassen wurde. Man kann auch mit Gesprächen, mit stetigem ‹Nachestüpfe›, etwas erreichen.

 

Was hätten Sie gern noch zuende gebracht?

Ein verlässliches und stabiles Verhältnis zu Europa! Aber auch in der Rechtskommission: An der «Ehe für alle» wird seit sechs Jahren gearbeitet. Es ist mir gelungen, noch im alten Parlament eine Mehrheit für ein Postulat zu erlangen, das den Bundesrat dazu verpflichtet, einen Bericht zum Stand der Diskriminierung in der Schweiz zu erstellen. Der Bundesrat hat diese Aufgabe ernst genommen und dem Schweizerischen Kompetenzzentrum für Menschenrechte der Universiät Bern den Auftrag dazu erteilt. Entstanden ist ein umfassender, relativ progressiver Bericht. Die Rechtskommission forderte daraufhin mit einer Motion einen Aktionsplan zur Umsetzung; für die Überweisung fehlte lediglich eine Stimme. Hier sollte das neue Parlament unbedingt dranbleiben. Denn es geht dabei nicht nur um die Strafbarkeit der Hetze gegen Homosexuelle – über die stimmen wir bald ab –, sondern um die Alltagsdiskriminierung, etwa im Miet- oder Arbeitsrecht.

 

Zu Ihrem Thema Europa haben Sie demnach alles abschliessen können, was Ihnen am Herzen lag?

Nein, wenigstens ist noch ein Postulat von mir hängig, das sich mit der Weiterentwicklung der europäischen Integration befasst. Über den Rahmenvertrag hinaus, wie wir uns denn die weitere Zusammenarbeit und Teilhabe an der europäischen Integration vorstellen. Es geht ja da nicht einfach nur um Markt! Grundsätzlich finde ich nach wie vor: Um die EU zu verändern, um sie mitgestalten zu können, müssten wir ihr beitreten oder zumindest das Rahmenabkommen mit den nötigen flankierenden Massnahmen abschliessen.

 

Welches politische Amt reizt Sie noch, und was packen Sie als nächstes an?

Zuerst einmal suche ich mir eine Stelle. Ein Job in einem politischen Kontext, beispielsweise bei einer NGO oder in der Bundesverwaltung oder auch wieder als Jurist in Zürich, würde mich reizen. Was die Politik betrifft, war ich Kantonsrat, Verfassungsrat, Nationalrat, Parteipräsident – ein weiteres politisches Amt ist nicht mein erstes Ziel. Ich schliesse das aber natürlich nicht aus. Seit dem Wahlsonntag bekam ich unzählige Reaktionen, aus meiner Partei und darüber hinaus. Das hat gut getan und mich sehr gefreut. Niemand fand, «endlich hört der Tubel auf»… So bin ich denn auch nicht wütend oder frustriert. Nur traurig – und mache nun erst mal eine Woche Ferien.

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