- Gedanken zur Woche
Katastrophen und Katzenvideos
Es ist so eine dieser Wochen, in denen man sich am Schluss nach Katzenvideos sehnt, nach Ablenkung, nach irgendwas, das nicht düster ist. Gute Nachrichten gab es nämlich höchstens im Fussball, aber das ist hier nicht die EM-Kolumne.
In der letzten Woche, in der Nacht von Donnerstag auf Freitag, wachte ich auf, schaute ungefähr eine Stunde der Debatte zwischen Joe Biden und Donald Trump zu und schaltete dann aus, weil es kaum auszuhalten war. Nur, der Schlaf ist mir danach auch vergangen. Auch das Wochenende brachte schlechte Nachrichten, schlimme Unwetter im Wallis und im Tessin und vor allem ein schlimmes Resultat an der französischen Wahlurne am Sonntag. Zum Hochwasser lässt sich nicht viel sagen, ausser dass man es für den Walliser SVP-Regierungsrat Franz Ruppen beinahe als Karma ansehen könnte, dass er, der sich gegen den Hochwasserschutz gewehrt hat, jetzt massiv unter Druck kommt. Nur hilft das den Opfern nur wenig. Immerhin kann man sagen, dass Unwetter nur schlecht kontrollier- oder vorhersehbar sind.
Bei den französischen Wahlen und der US-Debatte muss man hingegen sagen, ist man mit voller Absicht und sehenden Auges ins Debakel gelaufen. Und man fragt sich durchaus, wieviel das mit Hybris zu tun hat, also mit einer blinden Selbstüberschätzung. Emmanuel Macron hat nach den verlorenen Europawahlen ganz ohne Not Neuwahlen des Parlaments ausgerufen, auch wenn schon da absehbar war, dass dies wohl der Rechten nützen würde. Und so endet Macron nicht als jener, der die Rechte endgültig besiegt, wie er dies in seinen jeweiligen Präsidentschaftswahlkämpfen beschworen hat, sondern als der Präsident, der der extremen Rechten den Weg an die Macht ebnet. Der erste Wahlgang war nun tatsächlich so herausgekommen, wie erwartet. Das Rassemblement National von Marine Le Pen und seine Verbündeten hat die Wahlen gewonnen. An zweiter Stelle folgte das Bündnis der Linksparteien und erst an dritter Stelle Macrons Lager. Noch ist nicht alles verloren, denn es kommt zum zweiten Wahlgang. Das Linksbündnis hat angekündigt, überall dort, wo ihre Kandidierenden an dritter Stelle liegen, diese zurückzuziehen, damit sich die Gegner:innen des Rassemblement National nicht verzetteln. Macron und seine Verbündeten tun sich damit noch etwas schwerer. Zu einem Teil haben sich Kandidierende zurückgezogen, ein Teil will nur zurückziehen, wenn der Sitz nicht an Melenchons La France Insoumise gehen könnte. Das ist mit Verlaub doch ziemlich schwach. Bei allem Verständnis dafür, keine grosse Sympathien für Melanchon zu haben – man hat in der Vergangenheit auch darauf gebaut, dass Linke mit zugehaltener Nase am Schluss so wählen, dass die Rechte nicht an die Macht kommt. In der Stichwahl vom kommenden Sonntag wird sich zeigen, ob es noch einmal gelingen könnte, den Einzug der Rechten zu verhindern.
Joe Biden und sein Team hatten entschieden, nicht die üblichen drei Debatten durchzuführen, die sonst im September und Oktober stattfinden. Sie haben stattdessen Donald Trump zu einer frühen Debatten herausgefordert, schon im Juni. Die Überlegung war, dass man mit einer frühen Debatte etwas Bewegung ins Rennen bringen könnte. Die beiden liegen seit Monaten in den Umfragen praktisch gleichauf mit einem Vorteil für Trump. Viele Wähler:innen mögen Donald Trump nicht, sie sind aber auch nicht überzeugt von Biden. Gerade bei den Jungen beispielsweise hat Biden schlechtere Werte als bei den letzten Wahlen, auch Schwarze oder hispanische Wähler:innen unterstützen ihn weniger als vor vier Jahren. Das Ziel der frühen Debatte war also, hier eine neue Dynamik in den Wahlkampf zu bringen. Einerseits jene Bedenken auszuräumen, dass Joe Biden mit seinen 81 Jahren zu alt sei für vier weitere Jahre. Und zweitens den Menschen wieder einmal in Erinnerung zu rufen, warum sie Donald Trump vor vier Jahren abgewählt hatten. Dieser Plan ging vollständig in die Hose. Statt die Zweifel auszuräumen, wurden sie massiv verstärkt. Denn Joe Biden wirkte in dem Duell nicht nur alt, es machte auch immer wieder den Eindruck, als sei er tatsächlich so senil, wie die Republikaner seit einiger Zeit behaupten. Und seither herrscht Panik bei den Demokraten. Etliche prominente Journalist:innen haben gefordert, dass sich Biden zurückziehen möge. Falls Trump eine Gefahr für die Demokratie sei und darum nicht gewinnen dürfe, dann müsse man auch alles dafür tun, um zu gewinnen. Und dies könne man nicht mit einem Kandidaten, bei dem man nicht wisse, ob er den Wahlkampf prestieren könne. Biden und seine Verbündeten versuchen seither Zuversicht zu verströmen und die Zweifel zu zerstreuen. Das gelingt ihnen nur mit Mühe. Denn man kann den Leuten selten ausreden, dass das, was sie mit eigenen Augen gesehen haben, nicht wahr ist.
Es ist allerdings eine berechtigte Frage, ob man überhaupt noch wechseln kann. Ein chaotischer Parteitag und innerparteiliche Flügelkämpfe sind zu befürchten. Die Demokraten haben zwar die beste Ersatzbank seit Jahren, aber keine Zeit mehr, diese in Vorwahlen auszutesten. Am einfachsten wäre es also, auf Vizepräsidentin Kamala Harris zu setzen. Aber sie ist nicht unbestritten. Harris zeigte als Vizepräsidentin nicht immer eine glückliche Hand, wobei sie auch nicht die attaktivsten Aufgaben erhielt. Auch befürchten viele, dass sie in einem Wahlkampf mit Rassismus und Sexismus konfrontiert würde. Einige setzen daher ihre Hoffnungen in demokratische Gouverneure aus Swing States wie Gretchen Whitmer oder Josh Shapiro. Diese mögen elektoral gewisses Starpotenzial haben, sind gleichzeitig national noch ungetestet. Das heisst, keiner weiss, ob bei ihnen noch gewisse Leichen im Keller liegen. Sprich: Auch alle möglichen Alternativen zu Biden sind ebenfalls mit grossen Risiken versehen. Die Entscheidung liegt letztlich bei Biden, aber hängt auch davon ab, wie sich die Stimmung und die Umfragen entwickeln. Lange Zeit für einen Wechsel bleibt nicht.
Dazu hat noch der Supreme Court, der oberste Gerichtshof am Montag ein Urteil zu Trumps Immunität gefällt, das zu einiger Aufregung geführt hat. Im besten Fall ist dieses Urteil in seiner Auswirkung unklar, im schlimmsten Fall erhält künftig ein Präsident einen Blankoscheck für alle Schweinereien, solange er dies im Rahmen seines Amtes begeht. Richterin Sonya Sotomayor spekuliert in ihrer Minderheitsmeinung, dass ein Präsident demnach einem Militärkommando beauftragen, politische Rivalen umzubringen, oder einen Staatsstreich befehligen könne, ohne sich dafür vor einem Gericht rechtfertigen zu müssen. Keine beruhigenden Aussichten, also. Wo sind die Katzenvideos?