(Bild: Bernhard Fuchs)

Karussell

Alte weisse Männer gegen die Versilberung der aussterbenden Heimat, so scheints…

Früher war alles besser, also zumindest waren Heinz (Matthias Kunz) und Ruedi (Rhaban Straumann) noch jung, knackig, kampfbereit. Jetzt sind sie aus dem Altersheim ausgebrochen, um ihren seit zehn Jahren geschlossenen Stammtisch gegen die Gentrifizierung zu verteidigen und schwelgen derweil – soweit es das Gedächtnis zulässt – auf der Wohlfühlwoge ihrer früheren Heldentaten. «Sitzläder» in der Regie von Anna-Katharina Rickert ist nach «Wolf» (P.S. vom 4.10.24) die zweite Strohmann-Kauz Einladung des Theater Ticino, in der allzumenschliche Schrulligkeit und gesellschaftspolitische Pointiertheit einen Wettstreit ausfechten, bei dem es nur Gewinner gibt. Für die zahllosen Facetten des Menschen als Deppen entwerfen sie eine Vielzahl von augenscheinlich genüsslich stark überzeichneten Stereotypen: Der kurzatmige, dafür schiesswütige Wirt, der digitale, dafür einfältige Jungspund, der pensionierte, dafür altersmilde Dorfpolizist, der getriebene, dafür kurzsichtige Spekulant. «Sitzläder» trägt starke Züge von Bauerntheater oder einem Kafi mit Schuss, wobei der Kafi auch weggelassen werden könnte. Es ist ein Gesellschaftskarussell, das gerade aus der vermeintlich als ungelenk verschrienen Perspektive des alten weissen Mannes eine feurige Zusatzwürze generiert. Die diesbezüglich medial hochgehängten Scheingefechte fallen nämlich alle flach, weil die bereits ewig verinnerlichte Menschenfreundlichkeit einen Alterungsprozess unbeschadet überdauert und weitaus flexibler anpassungsfähiger, also verlässlicher als die Knochengerüste ihrer Träger bleibt. Und darüber hinaus existieren tatsächlich effektive Nöte, deren Nichtbeachtung alias blinde Flecken eine gesamtgesellschaftliche Relevanz aufweisen. Hier werden sie wortreich, witzig und überraschend sowohl beklagt als auch verulkt, bis zur Kenntlichkeit überspitzt und der Lachhaftigkeit ausgeliefert. Eine Dada-Performanceeinlage aus früheren Zeiten belegt: Heinz und Ruedi waren ihrer Zeit immer schon voraus.

«Sitzläder», 4.4., Theater Ticino, Wädenswil.