Kantonsratskommission überrascht linke GemeinderätInnen
Der Kantonsrat könnte schon bald entscheiden, dass die Nationalitäten von Tätern und Opfern in Medienmitteilungen der Polizei genannt werden müssen. Das würde die Stadt Zürich dazu zwingen, ihre Praxis der «Nicht-Nennung» aufzugeben.
Thomas Loosli
Soll man sie nennen oder nicht nennen? Das Erwähnen der Nationalität von Tatverdächtigen in Polizeimeldungen bezeichnen die einen als populistisch und diskriminierend, während die Nicht-Nennung für andere einer unnötigen Zensur gleichkommt.
Vor vier Jahren hat der Gemeinderat der Stadt Zürich ein Postulat von Min Li Marti (SP) und Samuel Dubno (GLP) überwiesen, das forderte, dass die Nationalität von Tätern und Opfern bei Straftaten in Medienmitteilungen der Polizei nicht mehr zu nennen sei. Die SP, die Grünen, die AL und die GLP unterstützten das Anliegen. Stadtrat Richard Wolff setzte den Beschluss des Gemeinderats im November 2017 um. Der damalige Polizeivorsteher begründete die Praxisänderung damit, dass die Nennung der Nationalität einer Diskriminierung gegenüber AusländerInnen gleich komme und die eigentlichen Ursachen wie Armut, tiefes Bildungsniveau oder Drogensucht verdecke. Die SVP zeigte sich über diese «Zensur» empört und hat daraufhin im Mai 2018 eine kantonale Initiative eingereicht, die verlangt, dass bei Polizeimeldungen bei Tätern, Tatverdächtigen und Opfern Alter, Geschlecht und alle Nationalitäten bekanntzugeben seien. Zusätzlich fordert die SVP, dass auf Anfrage auch der Migrationshintergrund dieser Personen angegeben werden müsse. Der Gegenvorschlag des Regierungsrats sieht vor, dass die Nennung der Nationalität für die Behörden Pflicht wird, der Migrationshintergrund aber nicht angegeben werden muss.
Abstimmungskampf: Ja oder Nein?
Sich die Augen gerieben haben wohl einige, als man in einer Medienmitteilung des Kantonsrats Zürich Ende November dieses Jahres lesen konnte, dass die Kommission für Justiz und öffentliche Sicherheit den Gegenvorschlag des Regierungsrats einstimmig angenommen hat. AL-Kantonsrätin und Mitglied der Kommission «Justiz und öffentliche Sicherheit» Laura Huonker sagte auf Anfrage, dass die AL kein Interesse habe, dem Gegenvorschlag zuzustimmen, selbst wenn die SVP ihre Initiative zurückzieht. Das Abstimmungsverhalten hänge letztendlich von der Ratsdebatte ab. In der Kommission habe sie den Gegenvorschlag noch unterstützt, um gegen die SVP-Initiative zu wirken. «Ich bin innerhalb der Kommission für den Gegenvorschlag eingestanden, um einen elenden Abstimmungskampf zu vermeiden». SP-Kantonsrätin und Kommissionsmitglied Beatrix Stüssi sagte auf Anfrage, dass eine Mehrheit der SP-Fraktion für den Gegenvorschlag sei, auch deshalb, weil man einen schmutzigen Abstimmungskampf vermeiden wolle.
Ganz anders als die SP-Kantonsratsfraktion sieht es SP-Gemeinderat Alan Sangines. Er ist dezidiert gegen den Gegenvorschlag, da dieser den sozialdemokratischen Grundsätzen fundamental widerspreche. «Unsere WählerInnen erwarten, dass wir uns gegen einen falschen Zusammenhang zwischen Kriminalität und Nationalität wehren und nicht noch dazu beitragen, in Polizeimeldungen falsche Zusammenhänge zu suggerieren.» Ein hässlicher Abstimmungskampf sei kein Grund, in vorauseilendem Gehorsam ein Gesetz mit «widerlichem Inhalt» zu unterstützen und damit auch dafür verantwortlich zu sein. Studien würden laut dem SP-Gemeinderat klar beweisen, dass die Nennung der Nationalität Vorurteile schüren würde. Die SP-Gemeinderatsfraktion sei klar gegen einen gefährlichen Deal, mit dem man eine falsche Politik mittrage. «Ich bin ein wenig erschrocken, als ich gesehen habe, dass die Kantonsratskommission auf den Gegenvorschlag eingegangen ist», meinte auch der Gemeinderat der Grünen Luca Maggi, der sich das Verhalten der linken Kantonsratsabgeordneten nicht erklären kann. Der Gegenvorschlag sei kaum von der Initiative zu unterscheiden, da die Nennung des Migrationshintergrundes wenig praktikabel sei. Auch gegen den Gegenvorschlag ist Gemeinderätin Christina Schiller von der AL. «Die Nationalität hat nur in Ausnahmefällen etwas mit der Straftat zu tun», meinte sie. Auch sie ist der Ansicht, dass man nicht aus Angst vor einer Abstimmung für diesen Gegenvorschlag stimmen solle.
«Den Spiess umdrehen»
Bis etwa zur Jahrtausendwende war die Nennung der Nationalitäten in Pressemitteilungen wenig verbreitet. Laut eines Artikels von Jürg Meier im ‹Infosperber› aus dem Jahr 2015 hat der nationalkonservative Diskurs der SVP die Koordinaten von Politik und Medien weit nach rechts verschoben. In den letzten Jahren wurde die Tendenz zur Nationalitäten-Nennung im Kanton Solothurn deutlich, wo eine SVP-Initiative für die Nationalitäten-Nennung im Jahr 2012 von 70 Prozent der Stimmbevölkerung angenommen wurde. Die Stadt Zürich ging ein paar Jahre später einen anderen Weg. «In jener Zeit sind viele Initiativen eingegangen, welche die Nationalitätennennung forderten, also beschlossen wir den Spiess umzudrehen», sagte die heutige Nationalrätin Min Li Marti. Seit der Einführung der neuen Praxis habe man in der Stadt Zürich damit gute Erfahrungen gemacht, bekräftigte Alan Sangines.
Kriminalität als Schichtenproblem
Der Schweizer Presserat wies auf Anfrage darauf hin, dass JournalistInnen selber entscheiden sollten, ob die Nennung der Nationalität in Presseberichten gerechtfertigt sei. In einer Stellungnahme des Presserats über Rassismus in der Kriminalberichterstattung aus dem Jahr 2001 heisst es, dass JournalistInnen immer kritisch hinterfragen sollen, ob die Nennung der Nationalität, Ethnie oder Religion im Einzelfall verhältnismässig erscheint. Nina Fargahi, heutige Chefredaktorin von ‹Edito›, schrieb in der ‹Medienwoche› vom 9.11.2017, dass Kriminalität «kein Ausländer-, sondern vor allem ein Schichtenproblem ist». Die medial hergestellte Ethnisierung der Straftaten sei irreführend und biete populistischen Kreisen einen Nährboden. Anderer Meinung ist der Strafrechtsprofessor Martin Kilias. Er hat am 7.11.17 im ‹Blick› geäussert, dass er der Meinung ist, dass das Weglassen der Nationalität Misstrauen in der Bevölkerung schüre.
Die Nennung der Nationalität in Polizeimeldungen kann man mit dem Wunsch nach Transparenz in Verbindung bringen. Dass sie aber auch einen politischen Zweck verfolgt, ist wohl kaum bestreitbar. Der Kantonsrat muss jetzt entscheiden, ob er die Staatsangehörigkeit neben dem Alter und dem Geschlecht tatsächlich festschreiben und sich den Zielen einer SVP-Initiative beugen möchte.