Kanti-Besetzung sorgt für rote Köpfe

Am Dienstag besetzten Schüler und Studentinnen die Kantonsschule Enge, um für ein ökologisches und soziales Bildungssystem zu demonstrieren. Die Aktion verlief friedlich, der Unterricht konnte uneingeschränkt stattfinden. Trotzdem fordern die bürgerlichen Parteien den Rücktritt des Rektors. 

 

Tim Haag

 

«Willkommen an der Schulbesetzung», begrüsst ein Plakat Schülerinnen, Lehrpersonen und Journalisten, die am Dienstagmorgen in die Eingangshalle der Kantonsschule Enge strömen. Mitglieder des Kollektivs «Erde Brennt» haben das denkmalgeschützte Schulhaus auf dem Freudenberg okkupiert und mit zahlreichen Transparenten ihre – breit gefächerten – Forderungen an Schule, Staat und Bildungsdirektion klargemacht: «Erde brennt, Schule pennt», «Schulische Hierarchien brechen» oder «Burn down the Cis-tem» lauten die Parolen, die bunt von Fenstersimsen und über den Saal gespannten Schnüren hängen. Erde-Brennt-Sprecherin Nora präzisiert: «Wir leben in einer Welt voller Krisen: Klimakatastrophe, Krieg, Pandemie oder die sich verschlechternde mentale Gesundheit.» Besonders Jugendliche seien von diesen Krisen betroffen, sie fänden aber im Unterricht viel zu wenig Platz. «Und wir fordern, dass dafür endlich Platz geschaffen wird», so die 17-jährige Kantischülerin. Mehr Platz, das heisst beispielsweise eine Einführung des Fachs Zeitgeschichte oder die Aufstockung psychosozialer Angebote für Schülerinnen und Schüler. 

 

Schule vorbereitet, Steiner nicht

Die Kantonsschule Enge ist auf die Aktion gut vorbereitet – schliesslich hat «Erde Brennt» in den vergangenen Wochen auf Social Media mächtig die Werbetrommel für die Besetzung gerührt. Man setzt auf Dialog, lässt den Aktivistinnen und Aktivisten Raum, um die geplanten Workshops und Vorträge durchzuführen. So werden am Dienstag am Boden der Eingangshalle Transparente gemalt, Journalistin und Aktivistin Anna Rosenwasser moderiert ein queerfeministisches Plenum und Juso-Präsident Nicola Siegrist referiert zum Thema «Wieso die institutionelle Politik an der Klimakrise scheitert». 

 

Ausserdem ist Bildungsdirektorin Silvia Steiner eingeladen. Die Mitte-Regierungsrätin bleibt der Aktion jedoch fern – aus terminlichen Gründen, wie sie per E-Mail an die Organisatoren und Organisatorinnen verlauten lässt. Sie stelle sich an einem anderen Tag aber gerne der Kritik der AktivistInnen. Das Mittagessen, Penne mit Tomatensauce und Kichererbsensalat, ist gratis – dafür solle man aber auch am darauffolgenden Infoplenum teilnehmen, fordert eine Aktivistin die KantischülerInnen per Megafon auf. Dort wird demokratisch das weitere Vorgehen besprochen: Soll man am Abend die Besetzung beenden oder versuchen, so lange wie möglich in den Schulzimmern zu bleiben? Eine Verschiebung in die Aula, wie sie die Schulleitung vorschlägt, wird schnell abgewinkt, ebenso der Vorschlag, von der Enge aus in andere Kantonsschulen zu expandieren – dafür sei der logistische Aufwand dann doch zu hoch. Nach einigen Abstimmungen ist der Plan klar: Die Aktivistinnen und Aktivisten wollen über Nacht in den Schulzimmern ausharren und diese erst am Mittwochmittag wieder für die Maturaarbeitspräsentationen freigeben. 

 

In den anderen Klassenzimmern findet indes der Unterricht ungehindert statt, wie Rektor Moritz Spillmann bestätigt – entgegen einer eilig abgesetzten Medienmitteilung der SVP, in der es heisst, Schülerinnen und Studierende hätten «den Unterricht lahmgelegt» und dass solchen Aktionen «umgehend Einhalt zu gebieten» sei. Auch sonst ist das Echo der Besetzung in der Politik – wohl auch bedingt durch den bevorstehenden Wahlsonntag – laut: So spannt die Junge GLP Zürich mit den Jungparteien der SVP, Mitte und Freisinnigen zusammen und veröffentlicht eine gemeinsame Medienmitteilung: Man sei empört über die Besetzung und das Verhalten der Schulleitung und Lehrerschaft, die «zum Teil aktiv am Geschehen» mitmache. Das sieht auch die Zürcher FDP so und fordert gar den Rücktritt Spillmanns. 

 

«Ein Polizeieinsatz wäre nicht verhältnismässig gewesen»

Der Rektor begründet das Vorgehen seiner Schule so: «Unsere Strategie war, die Besetzung deeskalierend, ohne Gewalt und unter Sicherstellung des Schulbetriebs zu tolerieren.» Deshalb habe man den Dialog mit Aktivistinnen und Aktivisten gesucht und ihnen einige Klassenzimmer für Workshops und Vorträge bereitgestellt. «Inhaltlich habe ich für gewisse Themen durchaus Verständnis», findet der Alt-Kantonsrat der SP, «besonders da, wo es um Themen wie Leistungsdruck oder Gesundheit der Schülerinnen und Schüler geht.» Spillmann kritisiert aber, dass das Bild, das von der Schule skizziert werde, nicht ganz korrekt sei: «Der Klimawandel ist im Unterricht selbstverständlich ein Thema, und auch bezüglich Ausbau der Schulsozialarbeit haben wir viel Aufwand betrieben.» Ausserdem stört sich der Rektor daran, dass die Schule für «Forderungen, die eigentlich nichts mit der Schule zu tun haben, instrumentalisiert» werde. «Eine Eskalation mit Polizeieinsatz», so Spillmann, «wäre für die 1100 Schülerinnen und Schüler im Schulgebäude aber gefährlich und aufgrund der begrenzten Dimension des Protestes nicht verhältnismässig gewesen.» 

 

Bürgerliche Empörung

Das will Hans-Jakob Boesch, Präsident der Zürcher FDP, nicht so stehen lassen: «Der Rektor hat den Aktivistinnen und Aktivisten quasi den rot-grünen Teppich ausgerollt und damit den im Gesetz festgeschriebenen Grundsatz der politischen Neutralität an Schulen verletzt. Und wenn ein Schulleiter ein Problem mit diesem Grundsatz hat, hat er in seinem Beruf nichts verloren.» Er mutmasst, dass die Reaktion Spillmanns wohl sehr viel härter ausgefallen wäre, wenn Personen vom anderen Ende des politischen Spektrums an der Kanti eine ähnliche Aktion durchgeführt hätten, beispielsweise die Junge SVP zur Ausländerkriminalität und Zuwanderung. Notfalls hätte Boesch eine Auflösung der Aktion durch die Polizei begrüsst: «Wenn wir solche Aktionen mit der Begründung der Deeskalation tolerieren, ist das der Anfang einer Diktatur, in der der Stärkere die Richtung vorgibt und alle anderen ihre Meinung nicht mehr äussern dürfen.» Dass anscheinend die Gefahr einer Gewalteskalation bestand, zeige aber auch, dass es sich keinesfalls um friedliche Demonstranten gehandelt habe, die den Dialog mit Andersdenkenden gesucht hätten, sondern um gewaltbereite Aktivisten, die ihrer politischen Haltung notfalls auch mit roher Gewalt Gehör verschafft hätten.

 

Zur Eskalation kommt es glücklicherweise am Ende nicht: Die Schülerinnen und Studenten akzeptieren nach einigem Hin und Her die Forderungen des Rektorats und verlassen das Gelände am Dienstagabend. Ein versöhnlicher Schluss, mit dem alle zufrieden sind, finden beide Parteien. Einziger Wermutstropfen für die Aktivistinnen und Aktivisten: Der auf 22 Uhr angesetzte Häkel- und Strickworkshop muss abgesagt werden. 

 

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