Kalt entsorgen

Es gibt sie, die Gnade der frühen Geburt. Man wird weise und milde und hat alle Schuldebatten schon mal erlebt. Nach 26 Jahren Bildungspolitik kenne ich so ziemlich jede Äusserung darüber, was die Volksschule soll und will und nicht soll und nicht darf. Und das, bitteschön, in einer nicht einfachen Partei, denn: Drei Grüne, sechs Meinungen, und nicht etwa nur leicht abweichende, oh nein, happig widersprüchliche, freudig kontroverse, erbittert deutliche. Zoff bis zum Abwinken, anders kenne ich meine Leute gar nicht, wenn’s um die Schule geht, denn: wo Schule, da lauter Expertise. Ich war Leiter von gefühlten zwei Dutzend Arbeitsgruppen Schule, aber ich hab sie alle überlebt.

 

Darum bin jetzt sogar ich baff ob dem Beschluss der PräsidentInnen-Konferenz der Schulpflege in Zürich, der schon vor fast einem Jahr gefällt und in einer Weisung zur Schulbehördenreorganisation vom Dezember dann leise und schüchtern öffentlich wurde. Den Kreisschulpflegen wird mit diesem Beschluss der Einfluss auf die MitarbeiterInnen-Beurteilung entzogen plus weitere kleine Gemeinheiten, welche in summa dazu führen, dass die Behörde quasi blutt im Regen steht und eigentlich keinen Sinn mehr macht. Nur noch Deko und Feigenblatt für das System Volksschule.

 

Déja vu. Wer wie ich in der Bezirksschulpflege war (ein Gebilde aus grauer Vorzeit, es handelte sich um eine Aufsicht der Aufsicht, denn das war mal Standard und Konsens), der weiss, dass deren Abschaffung haartupfengenaugleich von sich ging: Schritt eins, Reduktion der Pflichten zwecks Professionalisierung; Schritt zwei, Gemecker, weil die Behörde ja gar nichts mehr tue; Schritt drei, Halbierung der Mitgliederzahl, weil die Behörde ja keinen Impact mehr habe; Schritt vier, Gemecker, dass diese Behörde nun ja viel zu klein und schnusig sei; Schritt fünf: konsequenterweise abschaffen. Man nennt das im Volk Salamitaktik, und diese Wursterei funktioniert ja deswegen so gut, weil man bei jedem verschwundenen Rädli mit hoher Berechtigung sagen kann, was habt ihr denn, tut doch nicht so blöd, es ist ja NUR ein Salamirädli.

 

Nun, ich würde der PräsidentInnenkonferenz natürlich nie unterstellen, dass sie die Kreisschulpflege abschaffen will. Nur sollte sie sich dann auch so benehmen. Ihr Beschluss ist unglaublich, da untransparent, undemokratisch und ungesetzlich.

 

Zu «untransparent»: Es ist ein Vorstoss im Gemeinderat hängig, der die Beschlüsse dieses Gremiums öffentlich machen möchte, so wie wir das kennen und lieben bei den Stadtratsbeschlüssen, was strukturell ungefähr vergleichbar ist und normale demokratische Praxis. Noch nicht mal alle SchulpflegerInnen haben bis anhin von ihrer kalten Entmachtung erfahren! Und auch der Gemeinderat musste den Beschluss erst anfordern.

 

«Undemokratisch», weil man einen solch weitreichenden Beschluss, der auf die materielle Enteignung einer Behörde hinausläuft, nicht ohne Volksabstimmung machen darf. Man kann und darf sich, siehe oben, sehr gerne über Sinn und Ziel der Volksschulpflege unterhalten, aber nicht nur in Dunkelkammern, sondern bitteschön öffentlich.

 

Und «ungesetzlich» ganz einfach, weil das kantonale Volksschulgesetz und die Lehrpersonalverordnung aber sowas von oberglasklar genau das verbieten, was der Beschluss vorsieht.

 

In diesem Sinne ist das letzte Wort wohl auch noch nicht gesprochen. Aux armes, mes amis! Die Schlacht um die Volksschule geht weiter.

 

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