Junge erobern die Städte

 

Zürich & St.Gallen. Obwohl knapp eineinhalb Stunden voneinander entfernt, haben die beiden Städte momentan etwas Gemeinsames. Während andere Städte wie Luzern, Basel oder Bern Jungpolitiker in ihren Parlamenten haben, rütteln hier zwei «freche SchnuferInnen» der Juso an der Exekutive. 

 

 

Julian Büchler

 

 

Ich treffe Andri Bösch und Nina Hüsser in St.Gallen, wo der Zweitwegmaturand mit «blonden Haaren, violettem Pulli und karierten Pluderhosen», wie ihn kürzlich das SRF beschrieb, lebt und politisiert. Von Anspannung keine Spur. Auf die Frage, woher dieses Selbstvertrauen kommt, sich mit 20 Jahren in den Stadtrat wählen lassen zu wollen, antwortet er lässig: «Viel davon kam im Wahlkampf selber. Jetzt glaub ich es mittlerweile auch, wenn ich den Leuten erkläre, dass ich das als 20-Jähriger auch könnte.» Vor seinem ersten Podium habe er grossen Respekt gehabt, er habe ja keine Ahnung gehabt, was auf ihn zukomme, ob die ihn total auseinandernehmen und er sich blamieren werde. «Dann stand ich da oben und merkte, dass ich inhaltlich ohne Probleme mithalten konnte. Das war ein wunderbares Gefühl. Es ist sehr speziell für diesen Wahlkampf, dass die Leute, die sich zuerst wunderten, warum ich das überhaupt mache, sich jetzt fragen müssen, warum nicht?» Der Fokus liege nicht mehr nur auf seinem Alter und der Frage nach der Erfahrung, sondern darauf, dass ein Umdenken stattfinde, warum er es eigentlich nicht können sollte. «Es ist absurd, dass ich mich wegen meines Alters rechtfertigen muss, der CVP-Kandidat aber nicht dafür, dass er nicht mal in der Stadt wohnt.»

 

Szenenwechsel. Zürich. Nina Hüsser hat noch etwas mehr Zeit, bis der Wahlkampf bei ihr in die entscheidende Phase geht. «Auch ich habe diese Momente, wo ich mich ernsthaft frage, warum ich das tue.» Aber dieser Nervenkitzel gehöre dazu. «Ich weiss, dass wir etwas zu sagen haben, etwas sehr Wichtiges.» Das sei viel entscheidender. «Es geht um die Sache, und diese Sache ist mir viel wichtiger, als dass ich es aus Angst nicht machen würde. Aber ja, ich wurde schon etwas ins kalte Wasser geworfen.»

 

Nina Hüsser war es denn auch, die Andri Bösch zur Politik brachte. «Das war super, ich habe damals geholfen beim Spendentelefon und habe gleich einem Nationalrat 500 Stutz abgeschwätzt (lacht).» Dass er zur Juso kam, sei eher ein schleichender Prozess gewesen. «Ich machte mir für mich selber immer viele Gedanken über unsere Welt und stellte fest, dass so vieles falsch läuft, bis ich eines Tages merkte, dass ich mich für eine bessere Welt engagieren will.» Etwas, das ihn sehr prägte, war und ist die Flüchtlingskrise. «Es ist für mich unverständlich, dass gewisse Menschen nur aufgrund ihres Passes mit dem Boot übers Mittelmeer kommen müssen, wobei viele von ihnen sterben, während andere einfach in ein Flugzeug steigen können.»

 

In ihrem Wahlkampf sei das erste aller Argumente immer, dass sie zu wenig Erfahrung hätten, beklagt Nina Hüsser. «Filippo Leutenegger hat zwar langjährige Erfahrung, schafft es aber nicht mal, Sonnenschirme anzuschleppen, die dem Wind standhalten. Was ich sagen will: Erfahrung schützt vor Unfähigkeit nicht, und umgekehrt. Was zählen sollte, ist der Inhalt. Mich ärgert es, dass Politik sowas Elitäres hat. Du sollst möglichst viel Erfahrung haben, persönlicher Erfolg und am besten noch eine Jus-Professur. Wieso? Ich habe all dies nicht, aber ich habe etwas zu sagen, bin motiviert und habe Lust, Verantwortung zu übernehmen. Wieso sollen solche Leute keine Chance haben? Das ist schade, da uns damit sehr viele Ressourcen ungenutzt verloren gehen.»

 

Und eine kleine Chance gebe es immer, ergänzt Andri Bösch. «Nur schon das reicht mir, um es einfach zu probieren.» Dazu komme, dass es in erster Linie darum gehe, gehört zu werden. «Die Kandidatur bietet eine super Plattform, um unsere Themen anzusprechen und eine Diskussion auszulösen. Viele Junge interessieren sich nicht für Politik, weil sie glauben, dass sie da eh nichts verloren haben. Mit meiner Kandidatur kann ich jungen Menschen zeigen, dass man nicht 50 sein muss, um bei diesem Spiel mitzuspielen. Darum habe ich eigentlich jetzt schon gewonnen.»

 

«Ich glaube, dass wir Juso sehr losgelöst politisieren können. Wir müssen uns nicht darum kümmern, was andere Leute denken. Die Sache, für die wir kämpfen, ist uns viel wichtiger als unser Ruf. Zudem sind wir so stark, dass wir selber Initiativen lancieren können und so die Leute zwingen können, über gewisse Themen zu diskutieren», fügt Nina Hüsser an.

 

 

Ausblick

 

«Bei einer Nichtwahl werden wir total frustriert den Kopf in den Sand stecken, weil wir uns so viele Wahlchancen ausgerechnet haben (beide lachen).» Nein, es laufe genau gleich weiter wie bisher. Die Juso würden weiterhin viel politisches Engagement zeigen. Momentan sei eine neue Initiative in Planung, mit der eine neue Grundsatzdebatte ausgelöst werden soll.

 

Nina Hüsser weist darauf hin, wie viel die Juso bereits erreicht haben. «Als wir damals über die 1:12-Initiative abstimmten, haben wir eine grosse Debatte provoziert. Bei der Service-Public-Initiative haben bereits Mitteparteien eingeräumt, dass es Lohnobergrenzen geben sollte. Oder auch beim Thema Feminismus. Ich finde es grandios, wie es BH-Verbrennungsaktionen oder Jolanda Spiess-Hegglin schaffen, das dieses Thema in den Medien dauerpräsent ist. Dass wir so Thema um Thema in die Gesellschaft einbringen können, wird sich mit der Zeit lohnen.»

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