«Jetzt geht es um Sicherheit. Basta!»

«Aktuell ist für Europa die Frage der Sicherheit absolut prioritär», sagt der ehemalige Aussenminister Deutschlands Joschka Fischer. Am SGA-Tag der Aussenpolitik am 14. Juni 2025 in Bern sprach er zu ausgewählten Welt-Unruheherden. Die Sicht des Machtpolitikers war zugleich spannend und ernüchternd.

Mit «Europa und der Beginn einer neuen Weltordnung» hat die Schweizerische Gesellschaft für Aussenpolitik (SGA) den diesjährigen Tag der Aussenpolitik überschrieben, den sie zusammen mit dem Forum Aussenpolitik «foraus» und der «Europäischen Bewegung Schweiz» organisiert hat. Joschka Fischer, ehemals linksradikaler Aktivist, einer der Köpfe hinter dem Widerstand gegen den atomaren Nato-Nachrüstungsbeschluss Anfang der 1980er-Jahre, später Vizekanzler und Aussenminister der ersten rot-grünen Koalition in Deutschland von 1998 bis 2005 unter Bundeskanzler Gerhard Schröder, zeigte in seinem einleitenden Referat deutlich auf, dass von einer «Ordnung» in den nächsten Jahren kaum die Rede sein kann. Vielmehr ist er der Ansicht, dass auf längere Zeit kaum Verlass auf völkerrechtliche Ordnungsinstrumente wie die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa OSZE, aber auch die Nato oder die UNO sein wird. «Was nicht bedeutet, dass wir nicht alles daransetzen sollten, das Vertrauen in diese In­strumente der Kooperation wieder zu stärken.» 

«Sicherheit» First

Heute betont der einstige Aktivist gegen atomare Aufrüstung, dass für Europa aktuell die Frage nach Sicherheit über allem stehe. «Sicherheit» ist für ihn primär eine Frage der militärischen Aufrüstung, der europäischen Kooperation und der Aufbau eines neuen Verhältnisses zur Dritten Welt, im speziellen Afrika. Der Angriff auf die Ukraine habe gezeigt, dass eine stärkere militärische Position dringend sei, um den langfristigen Strategien von Putin Paroli bieten zu können.

«Unabhängig davon, ob Trump oder jemand anderes im Weissen Haus sitzt, werden die USA die Sicherheit Europas nie mehr so garantieren, wie dies seit dem Zweiten Weltkrieg der Fall war.» Der Fokus der USA habe sich Richtung Ostasien und China verschoben. Dafür brauche es in Europa eine Aufstockung der Militärbudgets, allenfalls auch zu Lasten von Klimaschutzmassnahmen, Bildung oder sozialer Sicherheit.

Europa ist nach Ansicht Fischers seit dem Fall der Mauer und der friedlichen Transformation der Länder des ehemaligen Ostblocks zu naiv bezüglich der europäischen Sicherheit gewesen. Im Nachhinein sei nun erkennbar, wie frustriert die russische Elite über den Verlust des Grossmachtstatus gewesen sei. Diese Frustration und der Wille, dem mit allen Mitteln zu begegnen, wäre bei genauem Hinsehen erkennbar gewesen, sagte Fischer. Die Ukraine sei Teil einer längerfristigen Strategie. «Falls Putin in der Ukraine durchkommt, ist es absehbar, dass er mehr will …»

Für Fischer ist klar, dass dieser Strategie neben Abschreckung nur mit einer verstärkten europäischen Kooperation begegnet werden kann. «Und ich meine mit Europa dezidiert nicht einfach die EU, sondern ganz Europa, also u.a. auch die Schweiz und Norwegen.» 

Schliesslich plädierte Fischer dafür, auch ein neues Verhältnis zu den ehemaligen Kolonien europäischer Staaten zu erarbeiten. «Europas Chance ist ein neues Verhältnis zu den Ländern Afrikas, welches auf einem Dialog auf Augenhöhe statt der einseitigen Ausnützung basiert. Nicht zuletzt auch als Gegengewicht zu China.»

Die Schuldenbremse muss weg

Im Anschluss an das Referat Fischers diskutierte ein Podium die Situation aus Schweizer Sicht. Unter der Leitung der ‹Republik›-Journalistin Priscilla Imboden diskutierten die ehemalige Avenir-Suisse-Direk­torin Katja Gentinetta, der Chef Verteidigungspolitk im VBS Joachim Adler sowie SP-Nationalrat Jon Pult.

Überraschend einhellig kritisierten sowohl Gentinetta wie auch Pult die Schuldenbremse. «Die Schweiz muss nicht aufrüsten, sondern nachrüsten», betonte Gentinetta, und die Schuldenbremse führe dazu, dass die verschiedenen Politikbereiche gegeneinander ausgespielt würden. «Dazu haben wir im Moment keine Zeit», hielt auch Jon Pult fest, der aber auch meinte, dass militärische Sicherheit allein nicht genüge.

Einig war sich das Podium, dass in der aktuellen Situation eine stärkere Zusammenarbeit mit den westeuropäischen Staaten auch im militärischen Bereich entscheidend sei, und daher die Neutralitätsinitiative der SVP, die eine solche Zusammenarbeit verbieten will, abgelehnt werden müsse. «Die Initiative sieht zwar vor, dass im Kriegsfall eine Zusammenarbeit möglich sein soll. Dies ist aber nicht von einem Tag auf den anderen möglich», daher müsse diese Zusammenarbeit bereits jetzt aufgegleist und geübt werden, hielt Joachim Adler stellvertretend für das ganze Podium fest.

Joschka Fischer: Die Kriege der Gegenwart und der Beginn einer neuen Weltordnung. Verlag Kiepenheuer & Witsch 2025, 221 Seiten, ca. 35.90 Fr.

Mehr Respekt für Die Genfer Konventionen

Im Rahmen der Tagung hatte die SGA-ASPE den Bundesrat in einer Resolution aufgefordert, sich für die strikte Einhaltung des humanitären Völkerrechts «in den Kriegen in der Ukraine, in Gaza und anderswo, insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent» und deren Ahndung durch die internationale Strafjustiz einzusetzen.