Ist der Zopf zu alt?

 

Mit 94 zu 67 (SVP, EDU, EVP) Stimmen beschloss der Kantonsrat für die BezirksrichterInnen ein Rechtsstudium als Berufsbedingung zu verlangen. Dagegen kündigte die SVP das Behördenreferendum an. Ein dringliches Postulat zur Flüchtlingshilfe scheiterte.

 

«Es gibt die normative Kraft des Faktischen», meinte Markus Bischoff (AL) zur Frage, ob LaienrichterInnen nach wie vor eine Notwendigkeit seien. LaienrichterInnen werden immer seltener, in den Städten amten nur noch RichterInnen mit einem abgeschlossenen Rechtsstudium, in einigen Landbezirken richten noch rund 20 Laien. «Andelfingen wird ein Biotop bleiben», stellte Markus Bischoff fest. Wenn die Politik nicht eingreift und es den WählerInnen überlässt, ob sie weiterhin Laien als RichterInnen wählen wollen oder nicht. In den Städten hatten sie in den letzten Wahlen keine Chance mehr. Seine Partei habe die Frage nach der Berechtigung der LaienrichterInnen nicht gestellt, beantworte sie aber klar. Die AL ist für ein Jusstudium. Bischoff wehrte sich als Jurist gegen den Vorwurf, seine Berufsgattung sei lebensfremd und stünde nicht mitten im Leben. Und sie hätte kein Einfühlungsvermögen – was den Laien von den BefürworterInnen pauschal zugebilligt wird. Nicht nur Markus Bischoff sah nicht ein, warum der gesunde Menschenverstand in einem Jusstudium abhanden kommen sollte.

 

Berufliche Anforderungen

Céline Widmer (SP), die mit ihrer Parlamentarischen Initiative die Diskussion in Gang gesetzt hatte, hielt wie einige RednerInnen nach ihr fest, dass sich die Gerichtspraxis geändert habe. 96 Prozent der Fälle an den Bezirksgerichten werden von EinzelrichterInnen entschieden. Beat Bloch (CSP, Grüne) schilderte 14 Tage aus seiner sehr breit gefächerten Praxis als Bezirksrichter: Die meisten seiner Entscheide trifft er im schriftlichen Verfahren. Einfühlungsvermögen und Verhandlungsgeschick mit den Parteien sind in einzelnen Fällen nützlich, aber in den meisten Fällen kommt es schlicht und einfach auf die juristischen Sachkenntnisse an, die in einer juristischen Form so festgehalten werden müssen, dass sie bei einem Rekurs vor der nächsten Instanz bestehen können. Den Einwand, Laien hätten ja erfahrene Gerichtsschreiber auf ihrer Seite, liess er nur sehr bedingt gelten: Die Realität sehe so aus, dass die Tätigkeit eines Gerichtsschreibers ein typischer Ausbildungsjob sei. «Im Durchschnitt sind GerichtsschreiberInnen 1,5 Jahre im Amt und verlassen es meist vor dem 30. Lebensjahr.»

Praktisch geht man mit den LaienrichterInnen so um, dass sie juristisch einfachere Fälle erhalten und sie intensiver mit juristischem Personal versorgt werden. Sie amten nicht als HaftrichterInnen. Etliche RednerInnen machten darauf aufmerksam, dass dies teuer sei. Beat Bloch ergänzte, dass dies eine unzulässige Differenzierung sei: «Bei den Wahlen werden nur vollwertige Mitglieder des Bezirksgerichts gewählt. Die spätere Unterteilung ist ein Spiel, das eigentlich nicht geht.» Man kann es auch praktisch ausdrücken: Ein Einzelrichter, der nicht selber ein juristisch korrektes Urteil verfassen kann, hat es als Einzelrichter ausgesprochen schwer. Er ist dann auf den Gerichtsschreiber angewiesen, und damit ist seine Unabhängigkeit zumindest gefährdet. Oder um es umgekehrt zu sagen: Wer schreinert, muss sein Handwerk kennen und kann das Meisterdiplom nur nach einer Lehre erwerben. Richten ist gerade heute auch ein Handwerk, und warum sollen hier andere Massstäbe gelten?

Martin Sarbach (SP) hielt geographisch fest, dass von den sechs Nachbarkantonen nur der Aargau und der Thurgau noch LaienrichterInnen kennen und diese nur in Fünfer-Gremien einsetzen, also nicht als EinzelrichterInnen. Er erläuterte, dass viele Parteien vor Bezirksgericht ohne Anwalt erscheinen, also darauf vertrauen, dass die Richterin ihr Anliegen juristisch korrekt würdigt. Erscheint eine Partei mit Rechtsanwalt, ist die andere darauf angewiesen, dass der Richter sich fachlich mit dem Anwalt auf Augenhöhe trifft.

Rico Brazerol (BDP) fasste seinen Erkenntnisweg folgendermassen zusammen: «Noah baute die Arche Noah, Profis die Titanic. Wer soff ab? Trotzdem überzeugte mich die Kommission, dass es ohne Ausbildung heute nicht mehr geht. Oder reicht es Ihnen, wenn Sie von einer erfahrenen Krankenschwester operiert werden?» Regierungsrätin Jacqueline Fehr stellte folgende Frage: «Wenn Sie sich juristisch helfen lassen, suchen Sie einen Anwalt mit Ausbildung auf. Warum soll dies für die RichterInnen nicht gelten?»

 

Demokratiefrage

Sind die BefürworterInnen also hoffnungslos Gestrige, die an einem alten Zopf festhalten und meinen, gesunder Menschenverstand existiere nur unter Laien? Ganz so einfach ist es doch nicht. Gerhard Fischer hielt fest, dass in der Praxis auch LaienrichterInnen erfolgreich als Einzelrichter amten. Michael Welz (EDU) wehrte sich vehement gegen die Beispiele aus Uster, wo LaienrichterInnen ihr Amt wegen Überforderung verliessen. Er stellte fest, dass die nachfolgenden Profis es dort auch nicht länger aushielten. Claudio Schmid (SVP) erinnerte zunächst daran, dass der Kantonsrat die Frage vor fünf Jahren zum letzten Mal entschied und dass sich seither in der Gerichtspraxis nicht viel änderte. «Wenn Juristen unter sich bleiben, wird die Qualität nicht besser, gerade bei uns im Unterland haben die Laienrichter ein gutes Ansehen.» Berufsfremde können in allen Berufen den Blick der Fachleute erweitern.

Hans-Peter Amrein (SVP) sieht im verlangten Studium eine Einschränkung der freien Wahl, die Errichtung einer Expertenkaste, die die Justiz beherrscht. Auch wenn man es nicht so drastisch sieht – die Volkswahl der BezirksrichterInnen ist allseitig unbestritten –, hat die Frage, ob man eine Wahl einschränken soll, ihre Berechtigung. Die Stimmberechtigten wählen einen Laien nicht versteckt, sie wissen, was sie tun. Zudem spielt die Rolle der Bezirke eine Rolle, wie es Konrad Langhart (SVP) erläuterte: Wenn sein Bezirk Andelfingen noch mehr Milizämter verliert, kann er als Bezirk schwer überleben.

Unbestritten ist, dass amtierende LaienrichterInnen sich weiterhin zur Wahl stellen können. Sehr wahrscheinlich werden die LaienrichterInnen von sich aus verschwinden. Auch wenn die SVP zusammen mit der EDU nun das Referendum ergreift. Faktisch wird in dieser Volksabstimmung entschieden, ob ein paar LaienrichterInnen als ExotInnen existieren dürfen oder ob das Ende abrupter erfolgt. Die Zukunft wird aus BerufsrichterInnen bestehen.

 

Doppelt ärgerlich

Der Morgen begann mit einer ausführlichen und ärgerlichen Debatte zur Flüchtlingshilfe. Céline Widmer (SP) hatte mit einem dringlichen Postulat die Regierung aufgefordert, zusätzliche Hilfsmassnahmen zu überlegen. Mario Fehr war von der Regierung ermächtigt, das Postulat entgegenzunehmen. Er führte aus, dass ein Ja zum Postulat in der Praxis zu einem Kredit in der ungefähren Höhe von 500 000 Franken führen werde, mit dem Hilfswerke in den Krisenregionen vor Ort die Not etwas lindern können. Für die SVP verstand Barbara Steinemann das Postulat absichtlich falsch und sprach davon, dass man mit besseren Bedingungen nicht noch mehr Flüchtlinge in die Schweiz locken soll. Hans-Jakob Bösch führte als Grund für das Nein der FDP aus, dass hier der Bund zuständig sei.

Mit 86 zu 80 Stimmen sagte der Kantonsrat schliesslich Nein zum Postulat. Damit verweigerte die Mehrheit, was zumindest ein Teil von ihr will: Hilfe vor Ort, damit weniger Leute fliehen. Und Mitte-Links muss sich den Vorwurf gefallen lassen, durch eine deklamatorische Taktik den mehrheitsfähigen Kredit erschwert zu haben.

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