Ist der Knatsch verdaut?

Die erste Delegiertenversammlung nach dem Rücktritt von Daniel Frei stiess am Montagabend auf grosses Interesse der Mitglieder und der Medien. Sie erlebten eine zuerst etwas aufgeregte und dann stinknormale Versammlung.

 

Wer auf grosse Worte, einen weiteren Schlagabtausch oder sonst etwas Aufregendes gewartet hatte, verliess den Abend im Zürcher Volkshaus nach gegen vier Stunden Sitzung in einem überfüllten Saal enttäuscht. Zuerst brodelte es noch, so stelle ich mir einen aufgeregten Hühnerhof vor, es waren sehr viele Delegierte da und sehr viel Prominenz. Die beiden RegierungsrätInnen fehlten ebensowenig (beide blieben still und unauffällig) wie die NationalrätInnen und Ständerat Daniel Jositsch. Er sprach als Fürsprecher von Rafael Mörgeli, der sich um einen Sitz in der Geschäftsleitung bewarb und sich schliesslich gegen vier MitbewerberInnen durchsetzte. Die Kantonsratsfraktion war auch deutlich zahlreicher als üblich vertreten, und die MedienvertreterInnen füllten die für sie reservierten Plätze – was sehr selten vorkommt. Sie alle erlebten nach der Anfangsnervosität eine sehr alltägliche Parteiversammlung.

 

Die Tradition der präsidialen Eröffungsrede übernahm Vizepräsidentin Andrea Arezina. Sie findet es ein Zeichen der Stärke, wenn man offen und auch öffentlich miteinander diskutiert. Dass daraus der Rücktritt von Daniel Frei kam, bedauern sie und die Geschäftsleitung.

 

Andi Daurù als anderer Vizepräsident verabschiedete Daniel Frei seitens der Geschäftsleitung. Er habe die Partei viereinhalb Jahre erfolgreich geführt: mit dem Höhepunkt der eidgenössischen Wahlen. «Darauf kannst Du stolz sein», sagte er ihm. «Schade, habe ich gedacht, als ich vom Rücktritt erfuhr», begann Kantonsratspräsident Rolf Steiner. Die Gründe müssen gravierend gewesen sein, fuhr er fort: «Das soll uns aber nicht hindern, Dir zu danken.» Er schilderte ihn als stillen Schaffer, der aber auch unaufgeregt Stellung beziehen kann und der unter der ruhigen Oberfläche grosse Sachkenntnisse besitzt. Zu seiner Rolle als Mitglied des bürgerlichen Gemeinderats von Niederhasli gehört, dass man weiss, wie man in der Minderheit hin und wieder auch einen Erfolg erreicht. Die Position auf dem Land prägt, und politische Niederlagen gehören dazu. Er erwähnte die manchmal fast zu gute Vermittlungsfähigkeit von Daniel Frei: «Welche Disziplinierungsmassnahmen hat ein Parteipräsident? Keine.» Er schloss mit der Hoffnung, Daniel Frei könne in der Politik noch viel bewegen. Der Applaus war langanhaltend und laut, es kam zu einer Standing Ovation. Hoffentlich ist dieser ehrlich gemeinte Dank für Daniel Frei eine Genugtuung und die an diesem Abend sichtlich bemühte Suche nach Harmonie (ohne falsche Töne) das Signal, das er mit seinem Rücktritt erzwingen wollte. Der Antrag von Daniel Jositsch und Moritz Spillmann, die Situation durch die Findungskommission analysieren zu lassen und über mögliche Verbesserungsschritte nachzudenken, wurde einstimmig überwiesen. Persönlich hoffe ich, dass sich die Partei an diesen Applaus am Tag erinnert, an dem sie beispielsweise die nächste Nationalratsliste aufstellt.

 

Gegen Privatisierung

 

Die Nein-Parole der SP zur Bildung einer Aktiengesellschaft mit dem Kantonsspital Winterthur und der Möglichkeit einer Privatisierung nach fünf Jahren stand nie zur Diskussion. Es ging also darum, die Delegierten mit Argumenten zu versehen, wozu ein Referat von Heidi Hanselmann, der zuständigen Regierungsrätin im Kanton St. Gallen, beitrug. Der Kanton erlebte 2004 eine Abwahl des Gesundheitsdirektors, weil er versuchte, Spitäler zu schliessen. Bis dahin waren die neun öffentlichen Spitäler in vier Spitalregionen zusammengefasst, die miteinander kaum verkehrten. Ihr gelang es, die vier Regionen einem einzigen Verwaltungsrat zu unterstellen, den sie von Amtes wegen präsidierte. So konnten die Regionen ihre Grundversorgung erhalten, zumal man die Technik nutzte, um im Kantonsspital ein Notfallzentrum zu installieren, das rasch Befunde für die anderen Spitäler übermittelt. Sie findet es unverständlich, dass der Kanton 55 Prozent der Fallpauschalen bezahlt, aber nichts dazu zu sagen haben soll. Wie sich dies auswirken könne, erfahre derzeit der Gesundheitsdirektor von Appenzell Ausserrhoden (Genosse Matthias Weishaupt). Ohne dass er je eine Stunde im Verwaltungsrat mitbestimmen konnte, muss er nun den Kopf für das grosse Defizit hinhalten. Auch in St. Gallen ist die Gesundheitsdirektorin im Verwaltungsrat nicht mehr erwünscht, sie hat aber mit der Spitalliste noch ein wirksames Instrument in der Hand, und die Spitäler stehen nicht in so direkter Konkurrenz zueinander wie in Zürich. Wichtig sind für sie wenigstens halbwegs gleich lange Spiesse zwischen öffentlichen und privaten Spitälern, falls diese auf die Spitalliste wollen. Sie müssen nicht nur Ausbildung ermöglichen, sondern mindestens 58 Prozent AllgemeinpatientInnen versorgen. Wer auf die Spitalliste will, muss also diese auch aufnehmen, wenn nur noch Betten in Privatzimmern unbesetzt sind. So wie es das Krankenversicherungsgesetz verlangt, stellte sie fest, müssen die Spitäler einen Gewinn erzielen. Für sie ist die Frage, ob sie damit Dividenden auszahlen oder in Infrastruktur und Personal investieren. Ihr Schluss: Verselbstständigung Ja, Privatisierung nein.

 

Die Podiumsdiskussion kam zeitlich zu spät und anderseits war sie zu kurz, um die Nuancen zwischen GenossInnen herauszuarbeiten. Der Arzt und Nationalrat Angelo Barrile sieht eine Überversorgung mit Spitälern und vor allem ein Wettrüsten bei rentablen Eingriffen wie etwa beim Kaiserschnitt. Die Stadtzürcher Gesundheitsvorsteherin Claudia Nielsen ist betreffend Überversorgung kritisch. Ökonomisch treffe es zu, aber wenn man selber oder ein Verwandter krank sei, wolle man die Hilfe sofort. Sie ist nicht an sich gegen den Wettbewerb, aber er bringe erstens keine Verbilligung und zweitens ist das Hauptproblem für die beiden Zürcher Stadtspitäler, dass sie für ihre vielen Mehrfachkranken eine zu tiefe Entschädigung erhalten. Esther Straub erinnerte daran, dass das Bundesgericht entschied, dass die Zusatzversicherten durch Kantonsbeiträge tiefere Prämien bezahlen sollten und nicht wie real vor allem die Privatspitäler mehr Gewinn für Dividenden erzielten. Heidi Hanselmann möchte mit einer wirklichen Steuerung weiterfahren: Im Bewusstsein, dass dies zu weiteren Rekursen bis vor Bundesverwaltungsgericht führen wird.

 

Nach einem Referat von Moritz Spillmann beschlossen die Delegierten fast einstimmig die Nein-Parole zur Initiative für nur noch eine Fremdsprache an der Primarschule.

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