Irrungen, Verwirrungen

Eine knappe Mehrheit von 51,2 Prozent stimmt der Burkainitiative zu. Das ist wesentlich knapper als ursprünglich befürchtet, gereicht hat es dennoch nicht. So knapp, dass ich mir durchaus die Frage gestellt habe, ob die SP oder ich auch persönlich mehr hätte tun sollen. Nun war ich durchaus anderweitig beschäftigt, aber ich hatte auch immer wieder gemischte Gefühle während des ganzen Abstimmungskampfes. Man darf nicht den Fehler machen, die Sozialen Medien mit der Realität zu verwechseln. Doch da war ich ständig konfrontiert mit Leuten, die sich engagiert und eloquent aufs Dach gaben, obwohl sie eigentlich ja grundsätzlich auf der gleichen Seite stehen müssten. Und so hatten beide Seiten manchmal recht und manchmal auch wieder nicht, was mich wohl auch abgehalten hat, mich hier einzuklinken. 

 

Im Prinzip war man sich ja einig, dass die Vollverschleierung ein Problem ist, das die Schweiz höchstens am Rand betrifft, da es in der Schweiz kaum Frauen gibt, die einen Niqab tragen. Der radikale Islam ist ein Problem, hat aber mit der überwältigenden Mehrheit der Schweizer Muslime nichts zu tun. Die Vollverschleierung ist aber dennoch ein durchaus problematisches Symbol. Sie ist Ausdruck einer Ideologie, die Frauen als Individuen zum Verschwinden bringen will und die im weiblichen Körper und der weiblichen Sexualität etwas Grundgefährliches sieht. Es ist daher eigentümlich, sie zum Symbol einer weiblichen Selbstermächtigung emporzustilisieren, wie dies teilweise geschah, selbst wenn die meisten Frauen in der Schweiz den Niqab freiwillig tragen. 

 

Die französische Soziologin Agnes dé Feo hat in ihrer qualitativen Forschung festgestellt, dass die Niqab-Trägerinnen den Schleier aus Gründen der Rebellion tragen. Sie haben in der Regel keinen religiösen Hintergrund, sind Konvertitinnen, haben oft auch eine problematische Vergangenheit mit Sucht- oder anderen psychischen Problemen. Das deckt sich mit vielen Biographien radikalisierter JihadistInnen und scheint daher plausibel. Diese Frauen tragen also den Niqab durchaus selbstgewählt. Eine feministische Tat ist es deswegen nicht. Wir sind im Jubiläumsjahr des Frauenstimmrechts. Der Kampf wurde damals geführt, um den  Frauen politische Teilhabe zu ermöglichen. Sie können diese auch nutzen, um am ‹Marsch fürs Läbe› teilzunehmen. Das ist ihr gutes Recht, aber beileibe kein emanzipatorischer Akt. 

 

Dasselbe zeigt sich in den Interviews, die mit den wenigen Niqab-Trägerinnen – oder Möchtegernniqabträgerinnen – geführt wurden. Diese vertreten ein konservatives Welt- und Frauenbild, auch wenn sie ihre Verschleierung teilweise mit feministischer Rhetorik begründen. Das zeigt eher den Erfolg der Frauenbewegung, wenn auch die Gegenseite Argumente und Rhetorik der Bewegung benützen. Inhaltlich haben sie aber nichts gemein. Die Vollverschleierung lässt sich daher kaum von der Ideologie dahinter entkoppeln. Auf der anderen Seite spielt eben der Kontext der Befürworter auch eine Rolle. Dass das Egerkinger Komitee etwa so viel für Frauenrechte übrig hat wie der Islamische Zentralrat, lässt sich nun einmal nicht wegdiskutieren.  Nun kann man sich durchaus einmal auf eine unheilige Allianz einlassen, wenn es der Sache dient, nur muss man sich gerade als Linke oder Liberaler gut überlegen, ob dies hier der Fall ist.

 

Agnes dé Feo, die in gewissen Interviews auch etwas die kritische Distanz zu ihren Forschungssubjekten verloren zu haben scheint, argumentiert auch damit, dass ein Verbot kontraproduktiv ist, weil es eher zur Radikalisierung führt. Auch das scheint plausibel, denn wie wir bei der Drogenpolitik sehen, führt ein Verbot nicht zwangsläufig zur Abschreckung. Eine säkulare und laizistische Grundhaltung wie in Frankreich mag mir in vielem eigentlich nahe sein, ob dies im Umgang mit religiösen Wirrköpfen aller Art wirklich eine so erfolgreiche Strategie ist, ist zumindest fraglich. Letztlich hat für mich erstaunlicherweise der ehemalige SVP-Nationalrat Claudio Zanetti vor ein paar Jahren im ‹Tages-Anzeiger› das überzeugendste Argument gebracht: «Wer, wie ich, unsere westliche Zivilisation, die unter anderem den Rechtsstaat und wundervolle kulturelle Werke hervorbrachte, für überlegen hält, weil sie dem Einzelnen in seinem Streben nach Glück den grösstmöglichen Freiraum gewährt, der weiss, dass unsere Kraft nicht in der läppischen Demonstration von Macht liegt, sondern im Überzeugen als Vorbild.» Die läppische Machtdemonstration ist nun gelungen. Passieren wird wohl nicht viel. Es wäre aber nun an der Zeit, dass sich jene, die sich für Frauen- und Menschenrechte und für die Werte von Demokratie und Aufklärung einsetzen, zusammenraufen, die Ebene der Symbolpolitik verlassen und an echten Lösungen arbeiten.

 

Bei der Abstimmung über die E-ID war der Fall erfreulich schnell klar. Sie wurde klar mit 64,4 Prozent der Stimmen und in allen Kantonen abgelehnt. Das war ein deutliches Verdikt gegen diese Lösung, die die Privatisierung einer hoheitlichen Aufgabe vorgesehen hat. Die Mehrheit wollte die digitale ID nicht Privaten überlassen. Es gab schon weit vor dem Abstimmungskampf mehrere Umfragen, die gezeigt haben, dass eine grosse Mehrheit die E-ID vom Staat und nicht von Privaten will. Die BefürworterInnen wollten dieses Pro­blem mit einer verwirrenden Taktik lösen. Zum einen, indem sie ständig davon sprachen, dass es sich nicht um eine ID, sondern bloss um ein Login handle, aber auch, indem sie sagten, das Login sei staatlich überprüft. Eine Verwirrungstaktik mag sinnvoll sein, wenn man eine Vorlage bekämpft – die gleiche Taktik wurde von den gleichen Playern ja auch bei der Konzernverantwortungsinitiative angewendet – aber kaum, wenn man Vertrauen für eine Vorlage schaffen will. Sie haben es damit auch verpasst zu sagen, warum irgendein Mensch eine solche E-ID überhaupt braucht. Jetzt stehen aber die Chancen gut, dass eine mehrheitfähige Lösung aufgegleist werden kann. 

 

In der Frage zum Handelsabkommen mit Indonesien war die SP gespalten. Das Abstimmungsresultat ist aber eine ausgezeichnete Ausgangslage für weitere Abkommen. Denn es ist jetzt klar, dass künftige Abkommen nur mehrheitsfähig sind, wenn soziale und ökologische Kriterien zur Anwendung kommen, die auch durchgesetzt werden. Für die Grünen, die das Nein praktisch allein vertreten haben, ist es ein Achtungserfolg. Für die SP ist das Resultat auch gut, denn eine Arbeitsteilung zwischen SP und Grünen, in der die Grünen die eher grundsätzliche und die SP – oder Teile der SP – die eher pragmatische Linie vertreten, scheint mir sinnvoll.     

Dieser Artikel, die Honorare und Löhne unserer MitarbeiterInnen, unsere IT-Infrastruktur, Recherchen und andere Investitionen kosten viel Geld. Unterstützen Sie die Arbeit des P.S mit einem Abo oder einer Spende – bequem via Twint oder Kreditkarte.