Zürichs zwei Gesichter: Idaplatz (Bild: Horst Eisterer) und Altstetten (Bild: Juliet Haller / Baugeschichtliches Archiv).

Innere Verdichtung und lebensfreundliche Stadtbau­entwicklung

Wie soll sich Zürich weiterentwickeln?

Alle sind sich grundsätzlich darüber einig, die Stadt müsse sich möglichst menschen- und umweltgerecht weiterentwickeln. Und alle wünschen sich lebendige, sozial durchmischte Wohn-, Lebens- und Arbeitsquartiere mit angenehmen, Geborgenheit vermittelnden Aussenräumen. Zudem brauchen wir dringend mehr preisgünstige oder wenigstens bezahlbare Wohnungen.

1. Wie könnte der Mangel an preisgünstigen oder wenigstens bezahlbaren Wohnungen entschärft werden?

Es ist unzumutbar und richtet grossen volkswirtschaftlichen Schaden an, dass immer mehr Menschen über die Hälfte ihrer Arbeitszeit damit verbringen müssen, sich ein Dach über dem Kopf leisten zu können. Wenn auf politischer Ebene weiterhin nicht mehr gegen steigende Bodenpreise unternommen wird und sich die Mieten nicht an den tatsächlichen Kosten orientieren – selbstverständlich mit angemessener Rendite (Kostenmiete Plus) – wird die Situation noch desaströser.

Dass Investoren mehr und erleichtert bauen wollen, ist begrüssenswert. Die Förderung der Bautätigkeit durch die Lockerung des Lärmschutzes, durch vereinfachte Verfahren, mit (meistens kostspieligen) Aufstockungen etc. wird einerseits die grosse Nachfrage langfristig nicht stillen können. Andererseits werden diese, den Marktgesetzen folgenden Mieten der neuen Wohnungen für niedrige Einkommen immer unerschwinglicher. Deshalb sehen sich immer mehr Menschen gezwungen, die Stadt zu verlassen. 

Auch die durchaus notwendige und nach dem Raumplanungsgesetz (RPG) vorgeschriebene innere Verdichtung als Zaubermittel stösst an ihre Grenzen, weil wir nicht ohne ausreichenden Freiraum – wie z.B.  in Singapur, Wuhan oder Shanghai – leben wollen. Dass Investoren Ausnützungsboni erhalten (§49b Planungs- und Baugesetz PBG) und diese verpflichtet werden, im Gegenzug einen Teil der Wohnungen in Kostenmiete zu vergeben, ist nur so lange unbedenklich, als ein Overcrowding vermieden wird. Der Bewohnerschaft muss genügend Freiraum zustehen, um sich begegnen zu können. Auch die Kinder mit ihrem natürlichen Bedürfnis nach Bewegung dürfen wir nicht vergessen. Wenn wie im von der Stadt durch einen Gestaltungsplan geförderten Projekt der Tellco AG an der Heinrichstrasse nach Bau- und Zonenordnung (BZO) statt 230 Prozent sogar 450 Prozent Ausnützung zugestanden wird, die nur mittels eines Hochhauses möglich ist, um auch einen Teil preisgünstiger Wohnungen einfordern zu können, so ist dieser Deal «toxisch» und gegenüber der Umgebung rücksichtslos. (Die Ausnützungsziffer AZ ist das Verhältnis von Wohnfläche zur Landfläche. Bei einer AZ von 200 Prozent oder 2,0 kommen auf 1 m2 Landfläche 2 m2 Wohnfläche, was allgemein bereits als dicht gilt.) Solche Hotspots, nur mit einem Hochhaus realisierbar, sind städtebaulich höchst problematisch und hinsichtlich der Nachbarschaft ungerecht. Sie widersprechen auch dem Sinn des §283 PBG und Beteuerungen des Amtes für Städtebau, Hochhäuser würden nicht zur übermässigen Verdichtung eingesetzt.

Der Boden ist bei genauer Betrachtung auf Grund seiner Eigenschaften keine x-beliebige Ware, und das Bodenrecht müsste solche Missbräuche verhindern. Dafür muss der Boden – ‹ein rotes Tuch› – nicht verstaatlicht oder veröffentlicht werden. Regulierungen würden genügen, um unsere Ziele zu erreichen. (Einschränkungen von Verfügungsrechten über Eigentum sind nichts Neues – man denke allein schon an die Baugesetze, das Waldgesetz, u.v.a.). Dass das Geld primär mit Arbeit und Leistung verdient werden sollte, ist eine durchaus liberale Forderung und steht im Widerspruch zu den leistungslosen Gewinnen in Milliardenhöhe im Immobilienmarkt. Nur ein gesellschaftliches und politisches Umdenken könnte die desolate Entwicklung wirklich verändern:  Die Bodenpreise wären öffentlich und demokratisch festzulegen (Basis Istzustand). Zudem ist die Kostenmiete, selbstverständlich mit einer zugesichert attraktiven Rendite, durch griffige Gesetze vorzuschreiben. 

Die bisherigen und in Aussicht genommenen Bemühungen, ausreichend preisgünstigen Wohnraum zu fördern und zu schaffen, sind für die Befriedigung des Bedarfes fürs nächste Jahrzehnt völlig unzureichend. Es braucht dringend weitere Anreize und politische Beschlüsse, um den Bedarf nach den Kosten angemessenen Wohnungen zu decken. Bei einer breiter angelegten Subventionierung wäre darauf zu achten, dass dies nur Wohnungen mit Kostenmiete Plus betrifft, damit wir nicht mit unsern Steuergeldern Vermieter ohne Gegenleistung weiter bereichern.

2. Wie sollte sich die menschen- und umweltgerechte Stadt baulich weiter entwickeln?

Wir alle wünschen uns lebendige, sozial durchmischte Wohn-, Lebens- und Arbeitsquartiere mit angenehmen, Geborgenheit vermittelnden Aussenräumen. Wir vermissen leider in Zürich eine öffentliche Diskussion über diesbezüglich vorausschauende Konzepte, die bauliche und gedeihliche Weiterentwicklung unserer Stadt. Das Bauamt fokussiert die Debatte leider auf die Regulierung und Förderung des Hochhausbaues mit neuen Richtlinien. In welcher Richtung müsste sich demgegenüber unsere Stadt entwickeln, damit die Menschen sich wohl fühlen und die Umwelt möglichst geschont wird? 

a) Wir brauchen eine vielfältige soziale und funktionale
Durchmischung:

  • Die Nähe des Wohnens zu den Arbeitsplätzen («15Minuten-Stadt»),
  • das Miteinander unterschiedlicher Menschen, Bildungs- und Einkommensschichten,
  • Dienstleistungen und Handwerk.

Warum werden immer noch langweilige und unstädtische Wohnsiedlungen mit Abstandsgrün gefördert und gebaut, zudem wie zusammenhangslose und isolierte Inseln? Oder Hochhäuser, welche die Menschen vom Boden und unter sich und zur Nachbarschaft trennen? Die traditionellen Strukturen der Stadt haben alle Eigenschaften, die wir uns wünschen. Sie sollten erhalten und weiter entwickelt werden, wie seit Hunderten von Jahren. 

b) Öffentliche Räume: Wir brauchen schöne, angenehme Aussenräume und Orte mit Raum­geborgenheit

Unsere Altstädte sind eine über Jahrhunderte entstandene Ablagerung menschlicher Arbeit und Handfertigkeit. Sie sind transformierbar, sehr dicht und lassen sich im Unterschied zu Hochhausstädten den Bedürfnissen der Zeit anpassen. Die Parzellierung für Klein- und Einzeleigentümer schafft gute Chancen und Voraussetzungen für eine wünschbare Stadtentwicklung.

Warum halten wir uns gerne in alten Städten auf? Häuser mit ‹Adresse› und verschieden gestaltete Fassaden  in geschlossener Bauweise bilden komplementär die Stadträume: Strassen, Gassen, Plätze und Stadtparks mit vielen Bäumen, in Alleen oder als Baumgruppen gegen den Klimawandel und zur Hitzeminderung, zur Beschattung – auch der Fassaden, mit bodenwurzelnden Pflanzen. Es steht dem nichts im Wege, diese Typologien weiter zu verwenden. Massenwohnungsbau mit oft banalen, sehr langen Fassaden eignet sich wenig für die Bildung von angenehmen Aussenräumen.

c) Halbprivate oder halböffentliche Aussenräume

Blockrandbebauungen und ähnliche Siedlungstypen eignen sich ökologisch, ökonomisch und soziologisch besonders gut für die Stadtbildung. Wohnungsnahe, gut definierte und baumreiche Aussenräume resp. Wohnhöfe mit den entsprechenden Einrichtungen fördern die Kontakte zwischen der Bewohnerschaft und bilden insbesondere geschützte Räume für die Kinder, um sich selbstständig sozialisieren und entwickeln zu können. Je nach Grösse dieser Räume sind auch gemeinschaftlich, gewerblich genutzte Räume, Ateliers und dergleichen erwünscht. Städtische Parkanlagen allein befriedigen diese Bedürfnisse nicht. Unterflurbauten, wie sie meist grossflächig mit Hochhäusern einhergehen, verhindern grosskronige Bäume.

Es versteht sich, dass die Wohnungen je über einen privaten Aussenraum in Zimmergrösse verfügen sollten. Auch Dachgeschosse können durch begrünte Terrassen, Unterbrechungen oder Zurücksetzungen zu hoher Wohn- und Lebensqualität beitragen.

d) Klimawandel und Biodiversität

Die oben vorgeschlagenen Leitsätze, zusammen mit einfacher Bautechnik (Material, Tragwerk, Haustechnik) sind in besonderer Weise geeignet, dem unbestritten dringlichen Klimawandel mit geringem CO2-Ausstoss zu begegnen und die Biodiversität zu fördern. Dies betrifft den Energieverbrauch für die Erstellung, den Betrieb, Unterhalt und Rückbau.

e) Hochhäuser müssen fortan die stringent begründete Ausnahme bleiben.

Dies entspricht den gut durchdachten bestehenden Hochhausrichtlinien. Der sich eingebürgerte Pragmatismus, Hochhäuser als Instrument einzusetzen, wenn Grundstücke eine etwas ungünstige Geometrie haben, widerspricht anerkannten Regeln guten Städtebaues. Die Willkür der Standorte und Zufälligkeit von Hochhausstandorten erinnert im Luftbild schon jetzt an karzinogene Strukturen. Hochhäuser beanspruchen für das Tragwerk, die Haustechnik, die Erschliessung und den Brandschutz deutlich mehr Bauvolumen als gewöhnliche Gebäude in einfacher Bauweise. Wegen der hohen Kosten leisten sich oft betuchte Menschen solche Wohnungen, die viel Wohnfläche beanspruchen – was letztlich viel Kubatur und wenig Verdichtung bedeutet!

Warum soll der in der Erstellung, im Betrieb und Unterhalt teuerste, umweltbelastendste und der soziologisch problematische – die Durchmischung erschwerende – Bautypus des Hochhauses durch neue Richtlinien gefördert werden? Weil Investoren es so wünschen, um aus den obersten Geschossen eine überdurchschnittliche Rendite zu erwirtschaften? Wie glaubwürdig ist die Beteuerung aus dem Amt für Städtebau, Hochhäuser seien nicht zur Verdichtung gedacht? – abgesehen davon, dass sie zur Verdichtung nicht notwendig sind. Aus wissenschaftlicher Sicht ist es entgegen des sogar in Fachkreisen vertretenen Narratives nicht so, dass man zum Verdichten in die Höhe bauen muss. 4- bis 6-geschossige Bauweise ermöglicht eine sehr hohe Dichte, wie sie auch in bekannten Weltstädten erreicht wird. Die Ursache dafür ist die mathematisch nachweisbare, überproportionale Abnahme des Freiflächengewinnes bei weiterem Stapeln von Geschossen. Ab sechs Geschossen wird der Freiflächengewinn unbedeutend. Dies relativiert die Behauptung, man könne durch hohes Bauen wirksam Grünraum ‹freispielen›. Es ist überdies zu bedenken, dass dieser Grünraum wegen der Unterbauten für Autos meistens nicht mit Bäumen bepflanzt werden kann und zur Hitzeinsel wird. Aus den genannten Gründen lässt sich mittels Hochhäusern eine bedarfsgerechte Verdichtung und transformierbaues Bauen kaum erreichen. Hochhäuser isolieren die Menschen vom Boden und von der Umgebung. Die soziale Durchmischung von ‹oben nach unten› wie jene zum Quartier ist behindert. Die Aussenräume in der Umgebung von als Baumasse dominierenden Hochhäusern sind meistens Resträume, mit Sichtbehinderungen, Fallwinden, Beschattung. Ungebunden vermitteln sie nicht die gewünschte Raumgeborgenheit. Wir sind übrigens trotz aller – vor allem ökologischer Bedenken – durchaus der Meinung, an gut begründeten Standorten könnten Hochhäuser, die einen massstäblichen Bezug zu ihrer Umgebung bewahren, gebaut werden. Sie eignen sich allerdings in ihrer Dominanz eher für öffentliche Nutzungen, für Arbeitsplätze und weniger für das Wohnen.

Fazit

Die Sachkommission Hochbaudepartement, Stadtentwicklung des Gemeinderates befasst sich derzeit mit den vom Amt für Städtebau vorgelegten neuen Hochhausrichtlinien. Diese erleichtern und fördern, entgegen der bestehenden Richtlinien (2011), den Bau von Hochhäusern. Damit wird eine willkürliche Entwicklung fortgesetzt, die nachweislich wenig Rücksicht auf die Menschen und die Umwelt nimmt: ökologisch, ökonomisch, klimatisch, soziologisch und städtebaulich. 

Neue Hochhauszonen verhindern, und das bestätigen die international bekanntesten Städtebauer und Fachleute, die so dringend notwendigen preisgünstigen Wohnungen mit Bodenbezug auf den entsprechenden Arealen – zwar mit hoher Ausnützung, aber ohne die dazu nicht notwendigen Hochhäuser – in einfacher, gesellschaftsfreundlicher und umweltgerechter Bauweise. Hochhäuser ja, aber sie müssen zukünftig – und nicht wie in der bisherigen Praxis – die begründete Ausnahme sein. Die mit den Hochhausrichtlinien befassten Politiker mögen sich auf eine lebensfreundliche Stadtentwicklung besinnen, wie sie hier versuchsweise grob skizziert wird.

Siehe auch das ASAZ-Merkblatt: «Sieben Leitsätze zur inneren Verdichtung und lebensfreundlichen Stadtbauentwicklung».