Initiative aufgegleist
Der Verein Noigass hat am Mittwoch eine Initiative lanciert, die sich für den Bau von ausschliesslich gemeinnützigen Wohnungen auf dem SBB-Areal Neugasse ausspricht. Zu diesem Zweck soll die Stadt das Areal aufkaufen.
Leonie Staubli
Ein Drittel der Wohnungen in der Stadt Zürich sollten bis 2050 gemeinnützig sein, also ohne Gewinn zu den effektiven Kosten vermietet werden; darüber hat die Bevölkerung 2011 abgestimmt, mit einem Ergebnis von 76 Prozent Ja-Stimmen. Dieses Ziel sieht der Verein Noigass bedroht, denn die SBB tragen mit den Bauten auf ihren Arealen nicht dazu bei. Stattdessen treiben sie mit Zonen wie der Europaallee und dem Bereich um den Bahnhof Altstetten die Bodenpreise in die Höhe. Kleine Gewerbe werden auf diese Weise von Ketten verdrängt und die Wohnungen, die gebaut werden, liegen meist im Hochpreissegment – wie ebenfalls am Beispiel Europaallee zu sehen ist: «Bei der Abstimmung über die Europaallee versprach der Stadtrat 500 Wohnungen; gebaut wurden 396 Wohnungen im Luxussegment, die fehlenden 104 Wohnungen wurden mit den Hotelzimmern des ‹25hours› herbeigezaubert», schreibt Evtixia Bibassis vom Noigass-Vorstand in ihrem Statement zur Initiative. Diese soll dafür sorgen, dass so etwas nicht auch im Neugasse-Areal passiert und fordert darum den Aufkauf des Areals durch die Stadt Zürich, damit 100 Prozent davon gemeinnützig genutzt werden können.
Laut den InitiantInnen ist der Kreis 5 besonders von ‹neuer Biederkeit› betroffen. Seit die Industrieflächen 1995 dem Dienstleistungsgewerbe geöffnet wurden, sei das Quartier zum Dienstleistungsstadtteil für Besserverdienende geworden; nur die Kreise 7 und 8 hätten einen tieferen Anteil an gemeinnützigen Wohnungen. Zur geringen Durchmischung trägt bei, dass in den letzten Jahren bloss Wohnungen im oberen und obersten Preissegment gebaut wurden. Noigass-Vorstandsmitglied Regula Weiss findet, dass das Stadtleben hier nur um den Bahnhof Hardbrücke und den Escher-Wyss-Platz herum zu finden sei. Komme man weg von diesen Gebieten, sei das Quartier kahl und grau und nur von Leuten belebt, die dort arbeiten. «Nach Büroschluss ist fertig, dann gehört die Stadt den Autos», sagt Weiss.
SBB stellen sich quer
Der Plan der SBB klingt anders als die Bedürfnisse des Vereins Noigass. Sie planen, die Fläche in 25 Prozent Gewerbe und 75 Prozent Wohnungen aufzuteilen, wobei nur ein Drittel der Wohnungen gemeinnützig sein sollen. Daher hatten die Noigass-Mitglieder im November eine Petition für die 100-prozentig gemeinnützige Nutzung eingereicht, woraufhin allerdings nichts passiert sei. In einem kurzen Gespräch mit Stadträtin Corine Mauch und André Odermatt, Vorsteher des Hochbaudepartements, sei nicht genug Zeit gewesen für eine substanzielle Debatte. Die SBB bestanden indes darauf, nicht mehr als einen Drittel der Wohnungen im Niedrigpreissegment zu bauen und drohten, dass sonst mit dem Areal überhaupt nichts passieren würde. Über die Forderungen des Vereins könnten sie nicht verhandeln; diese gehörten in die Politik. Darum doppelt der Verein Noigass nun mit der Initiative nach.
Die nötigen 3000 Unterschriften möchte der Vorstand möglichst schnell sammeln, obwohl dafür sechs Monate Zeit wären. Er befürchtet nämlich, dass bei zu langer Verzögerung das ganze Projekt scheitern könnte. Vorstandsmitglied Res Keller glaubt nicht, dass der Gemeinderat und die Stadtbevölkerung den Plänen der SBB zustimmen werden und will daher die Initiative auf den Tisch bringen, bevor sich die Behörden mit diesen Plänen auseinanderzusetzen beginnen: «Das Projekt kommt um uns Menschen in der Stadt nicht herum. Deshalb schlagen wir lieber jetzt ein Rezept für die Suppe vor, als später hineinzuspucken.» Keller könnte sich vorstellen, dass die Stadt beim Kaufen der Neugasse mit Genossenschaften oder anderen Gemeinnützigen zusammenspannt. Die private Nordostbahn, Vorgängerin der SBB, hatte das Areal vor über 150 Jahren gratis von der Stadt Zürich erhalten, wobei im Vertrag von 1846 festgehalten worden war, dass es wieder an die Stadt zurückgehen sollte, wenn es nicht mehr für Bahnzwecke genutzt würde. All dies änderte sich mit der Umwandlung der SBB in eine Aktiengesellschaft; aber angesichts der enormen Renditen, die sie an der Europaallee und am Bahnhof Altstetten erzielen, würde ein Beitrag zum zahlbaren Wohn- und Gewerberaum in Zürich ihr gut anstehen, findet der Vorstand.