Windpark Verenafohren bei Schaffhausen (Bild: © Philip Holoch)

Im Winter macht Wind den Unterschied

«Fundierte Fakten zur Windenergie im Gesamtkontext der Energie- und Stromversorgung» bereitstellen, das will der Verein Pro Wind Zürich. Wie die Zukunft der Stromversorgung mit dem Fokus auf den Winterstrom aussehen könnte, hat er in seinem Medienartikel vom 31. März zusammengefasst, der diesem Artikel zugrundeliegt.

Geht es um die Zukunft unserer Energieversorgung, spielt die Sonne eine wichtige Rolle. Anders als noch vor zwanzig, dreissig Jahren ist unterdessen unbestritten, dass Photovoltaik funktioniert und einen wichtigen Beitrag zur Versorgung mit Strom leistet, der nicht nur im Inland verbraucht, sondern auch hier produziert werden soll. Doch ebenso klar ist, dass die Sonne nicht immer gleich gut durchkommt. Regenwetter oder schlicht der Winter im Mittelland mit der Hochnebeldecke über unseren Köpfen lassen den Ertrag sinken. Dann sind wir in der Schweiz noch mehr vom Ausland abhängig als sonst schon.

Daran erinnert Pro Wind Zürich in einem Beitrag, den der Verein am 31. März an die Medien verschickt hat. Bei der Energieversorgung sei die Schweiz zu 70 Prozent vom Ausland abhängig, heisst es mit Verweis auf die Gesamtenergiestatistik 2023, die auf der Webseite des Bundesamts für Energie abrufbar ist. Elf Prozentpunkte mache dabei die Versorgung unserer Atomkraftwerke mit russischem Uran aus, schreibt der Verein mit Verweis auf eine im August 2024 erschienene Kurzstudie der Schweizerischen Energiestiftung SES. Gemäss Gesamtenergiestatistik 2023 verbrannten wir zudem 47 Prozent der gesamten verbrauchten Energie in Form von Gas, Heizöl, Benzin oder Diesel in unseren Heizungen oder Fahrzeugen.

Das geht ins Geld: «Schweizer Verbraucher geben jährlich rund zwölf Milliarden Franken für fossile Energien aus, 2023 waren es sogar 18 Milliarden Franken», fasst Pro Wind zusammen. Doch der hohe Geldabfluss ins Ausland sei nicht das einzige Problem, schreibt der Verein mit Verweis auf die damit verbundene Abhängigkeit. Dadurch kämen wir nicht nur angesichts des Krieges gegen die Ukraine in eine moralische Zwickmühle. Auch die Ölländer im Mittleren Osten liessen sich nur mit viel Geld entlöhnen und würden sich zudem «jeglichen Forderungen zur Einhaltung der Frauen- und Menschenrechte» verschliessen.

«Die wirkungsvollste Energiesparmassnahme»

Demgegenüber können wir in der Schweiz bekanntlich Elektrizität ebenso selbst erzeugen wie (Fern-)Wärme aus Kehrichtverbrennungen, Holzheizungen oder Geothermie. Auch Gaserzeugung durch Biomassevergärung oder Synthetisierung sei in geringem Mass möglich, hält Pro Wind fest. Elektrizität sei jedoch «die flexibelste Energieform, da sich Strom sowohl für Mobilität wie auch zum Heizen» nutzen lässt. Doch das ist noch nicht alles: «Beim Ersatz einer Ölheizung durch eine Wärmepumpe sinkt der Primärenergieverbrauch auf rund ein Drittel. Ein Elektroauto ist ebenfalls rund drei Mal effizienter als ein vergleichbares Verbrennerfahrzeug.» Statt die vollen 60 Prozent fossile Primärenergie müssen wir somit nur noch 20 Prozent effektiv ersetzen: «Die Elektrifizierung ist die einfachste, wirkungsvollste Energiesparmassnahme, die unsere Gesellschaft ergreifen kann.»

Dazu liefert Pro Wind folgendes Beispiel: Der Heizwert von Öl liegt bei zirka zehn Kilowattstunden pro Liter. Eine Ölheizung wandelt folglich einen Liter Öl in zirka zehn Kilowattstunden Wärme um. Angenommen, eine Windenergieanlage liefert zehn Gigawattstunden Energie pro Jahr, und der Strom der Windenergieanlage wird für eine Wärmepumpe mit einer Jahresarbeitszahl (JAZ) von 3,5 verwendet. Die JAZ bezeichnet den gemittelten Wirkungsgrad der Wärmepumpe übers ganze Jahr gerechnet. Dann erzeugt diese Wärmepumpe mit zehn Kilowattstunden Strom nicht bloss zehn Kilowattstunden Wärme wie die Ölheizung, sondern 35 Kilowattstunden Wärme.

Was hilft gegen die Winterstromlücke?

Mehr Elektrizität muss also her. Doch wie soll das gehen? Mehr Kraftwerke bauen oder mehr Strom importieren, oder beides? «Um langfristig vom Öl loszukommen und die Schweiz unabhängig zu machen, benötigen wir rund ein Viertel mehr Elektrizität als heute», schreibt Pro Wind und rechnet für das laufende Jahr mit 63 Terawattstunden (TWh), für das Jahr 2050 mit 78 bis 91 TWh. Die Zahlen stammen aus dem Szenario 2050+ des Bundesamts für Energie. Sie decken sich plusminus mit den Zahlen, die während der Beratung des sogenannten Mantelerlasses im eidgenössischen Parlament genannt wurden (P.S. berichtete). «Im gut ausgebauten Zustand wird die Solarenergie nahezu an die Wasserkraft herankommen», schreibt Pro Wind weiter, «und zwar in erster Linie dank Photovoltaikanlagen auf bestehenden Gebäuden.»

Doch was machen wir im Winterhalbjahr, wenn die Sonne weniger stark scheint und es oft Hochnebel hat, während gleichzeitig der Stromverbrauch steigt, wenn die Wärmepumpen fürs Heizen angeworfen werden? Mehr Verbrauch und gleichzeitig weniger Produktion führen unweigerlich ins Minus beziehungsweise zu dem, was auch als Winterstromlücke bezeichnet wird. Sie betrug in den vergangenen Jahren jeweils rund vier TWh Strom, der aus dem Ausland importiert werden musste. «Bis zum Jahr 2050 würde diese Lücke trotz ambitioniertem Photovoltaikausbau aber auf rund neun TWh anwachsen, wenn wir weiter nichts unternehmen», hält Pro Wind fest.

Winterstrom, der auch finanziell rentabel ist, stammt zurzeit hauptsächlich aus den Speicherkraftwerken in den Bergen. Sie halten den Schnee, der im Frühling und Sommer schmilzt, als Wasser zurück, das im darauf folgenden Winter durch die Turbinen fliessen und dann Strom erzeugen kann, wenn wir Strom brauchen. Die derart gespeicherte Energiemenge lag 2023 bei 8,8 TWh. Der komplette aktuelle Winterstrombedarf liegt laut dem Szenario des Bundesamts für Energie bei 35 TWh. Es braucht also Stromerzeugungsarten, die vor allem im Winter zuverlässig liefern können.

AKW wären im Sommer abgemeldet

Die 16 Wasserkraftprojekte, die im Rahmen des Runden Tischs Wasserkraft diskutiert wurden (P.S. berichtete), liefern zusätzlich zwei TWh. Neue AKW könnten kaum vor 2050 ans Netz gehen, würden zudem Unsummen Geld kosten und das noch nicht gelöste Problem der nuklearen Abfälle zusätzlich verstärken. Kommt hinzu, dass Sommerstrom dank der Solarenergie künftig fast gratis erzeugt werden kann. Das würde dazu führen, dass ein AKW im Sommer defizitär arbeiten würde oder gleich ganz abgestellt werden müsste. Damit würde es noch längern dauern, bis ein teures AKW amortisiert wäre.

Auch fossile Reservekraftwerke seien keine gute Idee, schreibt Pro Wind weiter: «Die Anlagen kosten hunderte Millionen und würden eventuell nur einige Tage im Jahr genutzt. Das macht keinen Sinn.» Zumal wir dank den Speicher- und Pumpspeicherkraftwerken genügend flexible Kapazitäten hätten: «Voraussetzung ist allerdings, wir nutzen unsere eigenen erneuerbaren Stromquellen und schonen unsere Speicher, wenn genug günstiger Strom vorhanden ist.» Alpine Solaranlagen beispielsweise produzierten im Winterhalbjahr gleichviel Strom wie im Sommer. Sie befinden sich oft oberhalb der Hochnebelgrenze, und die Reflexion des Sonnenlichts im Schnee trägt ebenfalls zur Winterproduktion bei. Doch es kann passieren, dass solche Projekte entweder von den Standortgemeinden abgelehnt oder schlicht wegen der (zu) hohen Kosten gar nicht gebaut werden, und dann sind wir wieder gleich weit wie zuvor.

Ein guter Deal

Der Verein würde aber kaum Pro Wind heissen, wenn er für dieses Problem keine Lösung parat hätte, und so ist es auch: «Windenergieanlagen produzieren im Winterhalbjahr rund zwei Drittel ihrer Energie. In den letzten zehn Jahren wurden die Anlagen immer grösser und damit auch effektiver», schreibt der Verein. In der Höhe wehe der Wind deutlich stärker als am Boden: «Da die Windgeschwindigkeit in der dritten Potenz wirksam wird, kann auf 160 Metern Höhe rund das Sechsfache des Ertrags erzielt werden als auf 40 Metern Höhe.» Durch die grösseren Rotoren steige der Energieertrag zudem «nochmals massiv». Kurz: «Windenergie ist also der Joker, den wir jetzt ausspielen können.»

Die Schweiz bzw. der Kanton Zürich sind keine Windländer bzw. -regionen? Dass der Wind hierzulande nicht so stark bläst wie an den Meeresküsten, ist schon klar, aber: «Auch damit lässt sich sehr rentabel sauberer Strom erzeugen.» Eine einzige moderne Windenergieanlage könne in der Schweiz an einem Standort im Mittelland rund zehn GWh Strom erzeugen, «davon zwei Drittel in den Wintermonaten als ideale Ergänzung zur Photovoltaik auf den Dächern». Sie ersetzt damit rund 3,5 Mio. Liter Öl pro Jahr (siehe Beispiel oben).

Wir könnten die Schweiz in Energiefragen «wesentlich unabhängiger vom Ausland machen» und uns damit auch von der Abhängigkeit von den Fossilkonzernen lösen, schreibt Pro Wind und skizziert, wie das konkret aussehen könnte: Die Hauptenergiequelle bildet Photovoltaik auf bestehenden Dächern und an Fassaden. Laufwasserkraftwerke liefern die Bandenergie. Pumpspeicherkraftwerke sowie (Auto-)Batterien übernehmen die kurzfristige Lastregelung, also den Ausgleich über wenige Stunden bzw. Tage hinweg. Speicherkraftwerke dienen als saisonale Energiespeicher, und dank Windenergie- und alpinen Solaranlagen kommt soviel ergänzender Strom zusammen, dass die Kapazität der Speicherkraftwerke bis ins Frühjahr garantiert wird. Geld, das bisher an Ölscheichs ging, bleibt in der Schweiz, und den CO2-Ausstoss reduzieren wir obendrein. Wenn das kein guter Deal ist!

Weitere Infos siehe pro-wind-zh.ch