«Im Nachhinein ist man immer gescheiter»
Was muss der Kantonsrat nach dem Verdikt des Bundesgerichts zur Nicht-Umsetzung der Kulturlandinitiative ändern, und wie muss er das tun? Thomas Vogel, Präsident der FDP-Fraktion, und Ralf Margreiter, Vizepräsident der Grünen Fraktion, nehmen im Gespräch mit P.S. Stellung.
Dass der Kantonsrat auf die Vorlage des Regierungsrats zur angenommenen Kulturlandinitiative gar nicht eingetreten ist, gehe nicht, befand kürzlich das Bundesgericht. Müssen wir nun nochmals über die Kulturlandinitiative abstimmen?
Thomas Vogel: Sollte sich der Kantonsrat jetzt nicht bereit zeigen, sich der Initiative von sich aus anzunehmen, dann bräuchte es wohl eine neue Abstimmung. Das wird angesichts des Bundesgerichtsurteils indessen nicht passieren.
Ralf Margreiter: Die Stimmberechtigten sind das oberste gesetzgeberische Organ, und dieses Organ hat uns mit dem Ja zur Initiative einen Auftrag erteilt. Mit seinem Nichteintreten hat der Kantonsrat den Volkswillen übergangen. Der Aufgabenzyklus schliesst sich nicht. Nach aktueller Gesetzeslage ist gegen diese Arbeitsverweigerung nicht einmal ein Referendum möglich. Die Stimmberechtigten müssen aber die Möglichkeit bekommen, sich zu äussern. Sie sind Auftraggeber.
Thomas Vogel: Nach dem Entscheid des Bundesgerichts steht fest, dass die Stimmberechtigten das letzte Wort haben müssen – wenn sie es denn wollen. Uns ging es allerdings nie darum, den Volkswillen zu ignorieren.
Sondern?
Thomas Vogel: Wir sind bis zum Entscheid des Bundesgerichts davon ausgegangen, dass es nicht dasselbe ist, ob eine Volksinitiative ausformuliert wird oder in der Form einer allgemeinen Anregung gehalten ist. Trifft letzteres zu, dann wird die Arbeit und – davon sind wir ausgegangen – auch die Entscheidung, wie genau die Initiative ausformuliert und umgesetzt werden soll, an den Regierungsrat und ans Parlament delegiert. Dessen hätten sich die InitiantInnen bewusst sein müssen.
Ralf Margreiter: Das ist ein Missverständnis: Die Initiative und ihre Umsetzung sind nicht zwei völlig verschiedene Dinge, sondern zwei Phasen ein und desselben Gegenstandes. Das sieht auch das Bundesgericht so. Die fast schrankenlose ‹Freiheit› in der Umsetzung, die die Bürgerlichen für den Kantonsrat reklamierten, gibt es nicht.
Der Volkswille sollte also nicht ignoriert werden, aber die an den Rat delegierte Umsetzung der Initiative wollte er auch nicht leisten?
Thomas Vogel: Es hätte ganz einfach die Möglichkeit bestanden, dass die Mehrheit des Parlaments die Vorlage des Regierungsrats abgelehnt hätte, weil sie der Meinung war, dem, was die InitiantInnen forderten, sei mit der Revision des Richtplans bereits Genüge getan. Dort wurde ja das Siedlungsgebiet verkleinert. Getreu dem Motto, «was im Groben falsch ist, kann im Detail nicht stimmen», haben wir beschlossen, anstatt nun noch eine dreistündige Debatte zu führen, nur um die Vorlage dann abzulehnen, gar nicht erst darauf einzutreten. Das war ein Fehler – sagt jedenfalls das Bundesgericht.
Ralf Margreiter: Das Problem ist doch, was Kommentator Stefan Hotz in der NZZ vom 6. Juni als «Herr-im-Haus-Gehabe» bezeichnete: Eine angenommene Volksinitiative ‹gehört› nicht dem Parlament, auch nicht den InitiantInnen übrigens, sondern den Stimmberechtigten. Wenn die Mehrheit auf die Umsetzungsvorlage nicht einmal eintreten will, entspricht das einem reichlich absolutistischen Parlamentsverständnis. Nach dem Urteil aus Lausanne nun zu sagen, diese Mehrheit habe den Volkswillen gar nie ignorieren wollen, ist ziemlich beschönigend: In Tat und Wahrheit bestand gar nie der Wille, den Volksentscheid in seinem Gehalt umzusetzen. Dafür haben die Bürgerlichen vom Bundesgericht eine schallende Ohrfeige erhalten – inhaltlich und formal.
Das Parlament hat also schlicht geschlampt?
Thomas Vogel: Hinterher ist man bekanntlich immer gescheiter, aber dennoch bin und bleibe ich der Meinung, dass eine ausformulierte Initiative punkto nachgelagertem Verfahren nicht dasselbe ist wie eine in Form einer allgemeinen Anregung gehaltene – und mit dieser Meinung waren wir ganz und gar nicht allein. Das sagt übrigens auch der ehemalige Justizdirektor Markus Notter im NZZ-Interview vom letzten Samstag.
Ralf Margreiter: Er sagte bei der Vorberatung des Gesetzes über die politischen Rechte aber auch, der Kantonsrat sei dazu verpflichtet, zu einer vom Volk angenommenen Initiative eine Umsetzungsvorlage zu verabschieden. Dieser Teil der Verantwortung liegt klarerweise beim Parlament.
Thomas Vogel: Der relevante Punkt ist doch der: Hat der Kantonsrat bereits formal korrekt gehandelt, wenn er auf die Vorlage des Regierungsrats eingetreten ist, oder muss er die Vorlage auch verabschieden?
Und? Wie lautet die Antwort?
Ralf Margreiter: Er muss sie in einer referendumsfähigen Form verabschieden.
Thomas Vogel: Bisher sind nur positive Entscheide des Parlaments referendumsfähig. Wir müssen demnach künftig auch noch differenzieren, ob es ein obligatorisches Referendum braucht oder ob das fakultative reicht.
Ralf Margreiter: Gemäss der früheren Regelung war es obligatorisch, wenn der Kantonsrat keine Umsetzung beschliesst, und so müsste es auch sein: Das fakultative Referendum greift aus formalen Gründen nicht, denn ein solches ist nicht möglich, weil bei einem negativen Parlamentsbeschluss kein Gegenstand vorliegt, gegen den man es ergreifen könnte.
Thomas Vogel: Die frühere Regelung gibt es aber nicht mehr…
Ralf Margreiter:… und wegen euch wird es sie auch nicht mehr geben.
Warum braucht es das obligatorische Referendum?
Ralf Margreiter: Mit dem obligatorischen Referendum bei Nichtumsetzung kämen wir aus der Sackgasse heraus, in der sich das Parlament bei der Kulturlandinitiative befindet: Kein Ergebnis, kein erneuter Volksentscheid dazu – und ein so nicht! des Bundesgerichts. Mit meiner parlamentarischen Initiative, die deine bürgerliche Mehrheit vorletzten Montag abgelehnt hat, haben wir Grüne euch eine goldene Brücke gebaut: Der Weg wäre offen gewesen, eine Vorlage in den Rat zu bringen, über die alle frei nach ihrem Herzen hätten abstimmen können, und es wäre zu einer neuen Volksabstimmung gekommen. Die Alternative ist, dass die Mehrheit contre coeur eine Vorlage, die sie nicht gut findet, verabschieden und gleichzeitig zur Ablehnung empfehlen muss, damit ein referendumsfähiger Entscheid vorliegt. Speziell elegant ist das nicht.
Thomas Vogel: Die andere Möglichkeit wäre die, das fakultative Referendum auch gegen ablehnende Entscheide des Kantonsrats zuzulassen.
Ralf Margreiter: Als generelle Regelung ist das kein Weg. Die Konsequenz wäre, dass bei einer Ablehnung von was auch immer die im Parlament unterlegene Minderheit eine Volksabstimmung herbeiführen könnte. Das wäre ein schwerwiegender Verfahrenswechsel und indirekt auch eine teilweise Aushöhlung des Instruments Volksinitiative.
Thomas Vogel: Das ist absurd; mit der Initiative hat das überhaupt nichts zu tun: Mit einer Initiative stösst man etwas an, was man umgesetzt haben will, während man mit einem Referendum immer etwas verhindern möchte, was das Parlament entschieden hat. Nehmen wir an, die Umsetzung der Kulturlandinitiative wird nochmals diskutiert, der Vorschlag geht uns zu weit und euch zu wenig weit, wir lehnen die Vorlage miteinander ab – und jetzt soll das Volk zwingend nochmals an der Urne dazu Stellung nehmen? Worüber?
Ralf Margreiter: Wenn die Vorlage zu weit vom ursprünglichen Initiativanliegen entfernt wäre, hätte im Zweifelsfall halt das Bundesgericht auf dem Rechtsweg zu entscheiden. Es hat deutlich zum Ausdruck gebracht, dass es auch inhaltliche Kriterien prüft. Aber im politischen Prozess, im Abstimmungskampf könnten alle ein Nein empfehlen – wo ist das Problem?
Thomas Vogel: Ich hab’ keins damit; aber aus diesem Grund fände ich es sinnvoll, dass der Fall dann abgeschlossen ist, wenn niemand nach einem Entscheid des Parlaments das Referendum ergreift. Dann besteht offenbar kein Bedürfnis.
Ralf Margreiter: Nochmals: So wird das System nicht geschlossen. Es geht um einen Auftrag des Souveräns. Der kann doch nicht einfach mit einem Parlamentsentscheid aus der Welt geschafft werden.
Thomas Vogel: Ich verstehe ja, dass ihr euch hier als Gralshüter der Volksrechte aufspielen wollt, aber ich erinnere euch gerne daran, dass ihr beim PJZ im Rat gleich zweimal gegen einen Volksentscheid abgestimmt habt. Weil ihr das PJZ nicht wolltet, war das mit dem Volkswillen offenbar auch nicht matchentscheidend.
Ist die «allgemeine Anregung» zwingend nötig, oder könnte man sich auch auf die – leichter umsetzbare – ausformulierte Variante beschränken?
Ralf Margreiter: Um ein Anliegen in den Grundzügen zur Diskussion zu stellen, ist erstere ein gutes Instrument, das wir behalten sollten.
Thomas Vogel: Einverstanden, auch ich finde sie ein sehr wichtiges Instrument. Nur: Wer aus welchen Gründen auch immer nicht in der Lage ist oder sein will, einen ausformulierten Entwurf zu bringen, delegiert bis zu einem gewissen Grad auch die Ausführung und sollte entsprechend nicht allzu pikiert tun, wenn dann Regierung und Kantonsrat finden, der Vorschlag tauge nichts.
Ralf Margreiter: Das sieht das Bundesgericht offensichtlich anders. Und dass der Regierungsrat seine eigene Umsetzungsvorlage zur Ablehnung empfiehlt, ist nochmals eine andere Frage…
Thomas Vogel: Das ist in der Tat speziell.
Wie geht es jetzt weiter?
Thomas Vogel: Die Kulturlandinitiative wurde diese Woche bereits wieder auf die Traktandenliste gesetzt. Voraussichtlich Ende Monat, wenn die schriftliche Begründung des Bundesgerichts vorliegt, geht die ursprüngliche Vorlage der Regierung zusammen mit den Ergänzungen des Bundesgerichts erneut in die zuständige Kommission für Planung und Bau und später ins Parlament. Gleichzeitig muss sich die Geschäftsleitung darüber im Klaren werden, wie mit der Initiative formal weiter verfahren werden soll.
Welche Möglichkeiten gibt es?
Thomas Vogel: Eine Gesetzesänderung wäre sicher die saubere Lösung, aber auf die Schnelle könnte man wohl für diesen einen Fall auch den Bundesgerichtsentscheid als formale Grundlage nehmen. Früher oder später kommt das Parlament aber nicht darum herum, die Sache per Gesetz zu regeln.
Und es ändert wohl nichts daran, dass Ihre Seite erst den Weg über die berühmte ‹goldene Brücke› finden muss, damit es eine Lösung gibt: Wie könnte diese aussehen?
Thomas Vogel: Für uns steht kein obligatorisches, sondern ein fakultatives Referendum im Vordergrund: Wer nicht zufrieden ist mit dem, was bei einer angenommenen Initiative in der Form einer allgemeinen Anregung herausgekommen ist, soll selber aktiv werden und das Referendum ergreifen.
Ralf Margreiter: Wenn der Kantonsrat eine Umsetzungsvorlage beschliesst, ist das heute schon so. Da besteht gar kein Problem. Und nochmals: Sollte die Vorlage dem ursprünglichen Initiativanliegen zu wenig gerecht werden, würde gegebenenfalls das Bundesgericht darüber entscheiden. Bei der Kulturlandinitiative hat der Kantonsrat aber gerade keine Umsetzungsvorlage beschlossen. Solche Fälle sehe ich entschieden anders: Wer mindestens 6000 Unterschriften für eine Initiative gesammelt hat, die sodann durch Regierung und Parlament musste, wer anschliessend einen Abstimmungskampf geführt und eine Mehrheit für sein Anliegen gewonnen hat, der soll bei einem Nullentscheid sicher nicht nochmals Unterschriften für ein Referendum sammeln müssen.
Thomas Vogel: Angenommen, wir haben einen negativen Entscheid, und weiter angenommen, dieser sei zustande gekommen, weil die Mehrheit im Parlament diese Art der Umsetzung nicht will: Sollen wir dann diese untaugliche Umsetzungsvorlage dem Volk unterbreiten?
Ralf Margreiter: Gemäss der alten Bestimmung musste dem Volk in einem solchen Fall sowohl die Umsetzungsvorlage der Regierung präsentiert werden als auch ein allfälliger Gegenvorschlag des Parlaments. So könnte es über die Tauglichkeit immerhin selbst entscheiden.
Thomas Vogel: Und wenn er erstere so schlecht fand, dass er sich zu keinem Gegenvorschlag durchringen konnte? Was soll man dann dem Volk vorlegen? Und wer macht den Vorschlag?
Ralf Margreiter: Fest steht, dass das Parlament nicht die Freiheit hat, gar nichts umzusetzen und stattdessen einfach in etatistischer Manier zu sagen, «wir machen nur, was uns passt».
Wenn also das Volk das letzte Wort hat: Worüber genau soll es abstimmen?
Thomas Vogel: Das ist noch offen; ich sähe einen Ausweg aber darin, dass der Rat zu einem positiven Ergebnis kommen muss, das Grundlage für eine neuerliche Abstimmung sein könnte, also eine Art Verabschiedungspflicht stipuliert wird.
Ralf Margreiter: So bin ich einverstanden, denn so entfällt auch der aktuelle Fall, dass gar nichts mehr vorhanden ist, über das man erneut abstimmen könnte.
Thomas Vogel: Hier könnten wir uns vielleicht finden: Wir müssen künftig auf solche Umsetzungsvorlagen erstens eintreten und sie zweitens auch verabschieden. Damit wäre der Fehler, den wir bei der Kulturlandinitiative gemacht haben, behoben – und wer unzufrieden ist, kann immer noch aktiv werden und darauf reagieren.