Im Januarloch

«I‘ve been down so very damn long that it looks like up to me» sang Jim Morrison im Vorschlag­hammer-Blues «Been Down So Long» in den frühen 1970er-Jahren. Das kommt vielleicht nicht nur mir anlässlich der aktuellen Lage bekannt vor. Wir sitzen kollektiv im Loch, in einem ausgewachsenen Januarloch (das eigentlich schon im März 2020 angefangen hat): Hat man schon normalerweise nach Weihnachten kein Geld mehr, um die schlechte Winterlaune zu vertreiben, so fehlen heuer auch noch die Gelegenheiten, weil die Orte, wo man üblicherweise hingeht, um sich etwas Gutes zu tun – vom Hammam über Restaurants, Museen und Kinos bis zum Skigebiet – wegen Zu geschlossen sind. 

 

Das Januarloch 2021 ist aber auch eine  Kippfigur, wie sie Jim Morrison besungen hat: Manchmal ist es richtig übel, weil der Ausnahmezustand schon so lange andauert. Und manchmal ist es gar nicht mehr so schlimm, weil man sich schon fast daran gewöhnt hat und es zum neuen Normal-Null geworden ist. (Das gilt wohl nicht für Menschen, die ihre Existenz verlieren, weil sie im Kultur- oder Gastrobereich arbeiten, oder jene, die vor Überlastung bald umfallen, etwa Ärztinnen oder Pfleger, oder jene, die liebe Menschen verloren haben).

 

Im ersten Kippmodus («übel») sind mir ein wenig die Durchhalteparolen ausgegangen. Das Jahr 2020 kam mir vor wie ein steter Sinkflug. SchülerInnen, die immer noch ständig ihre Nase entblössen, werden übellaunig angeraunzt. Habe ich Kopfschmerzen, kriege ich Panik. Mir selbst gut zureden ist zwecklos, denn der Stress ist längst in den seelischen Untergrund abgetaucht und treibt jetzt als Psychosomatik Blüten. Ich funktioniere nur noch auf Halbmast… 

 

Im zweiten Kippmodus («halb so schlimm») fühle ich mich ehrlich gesagt privilegiert: Dass ich als Volksschullehrerin einen krisensicheren Job habe, einen systemrelevanten, und erst noch auf der Sekundarstufe, wo meine Klientel Maske trägt, den man aber auch im Homeoffice erledigen kann, sollte es hart auf hart kommen. Manchmal empfinde ich auch eine Art Genugtuung. Ich wäre ja eigentlich lieber Künstlerin, Schriftstellerin, Restauratorin oder Schauspielerin geworden. Das sind alles eher brotlose Jobs, die man meist als Selbstständige ausführt, und da versichert mich niemand gegen Erwerbsausfall, wenn ich schon mit 25 chronisch krank bin. Besser gesagt, man versichert mich schon, aber jeder wahrscheinliche Krankheitsfall ist mit einem Vorbehalt belegt und von der Haftung ausgeschlossen. Neidvoll habe ich meine ‹besten Jahre› hindurch auf meine FreundInnen in der Kunst geschaut oder die Quadratur des Kreises versucht und neben Job, Familie und Krankheit noch nebenher etwas gekünstelt. Es ist finanziell und zeitlich nie aufgegangen. Jetzt aber erscheint mir mein erlernter Beruf in einem anderen Licht. Es ist grad nicht so schlimm, dass er echli bünzlig ist und dass eine wie ich, die ein Autoritätsproblem hat, gefühlt einem Dutzend verschiedenen Chef-Instanzen unterstellt ist. 

 

Ich empfinde eine gewisse Dankbarkeit, und diese hilft mir beim realistischen Blick auf meinen eigenen Beitrag zu meinem Tief. Ich lerne gerade zu meditieren – dazu wird mir als Schmerzpatientin sowieso an jeder Ecke geraten. Dabei begrüsse ich alle Gedanken zum Winter 20/21 freundlich und werte sie nicht. Eines Tages werde ich beide Zustände der Kippfigur als eine einzige sinnvolle Form erkennen.

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