Illusionen

Todd Philipps kaschiert den realen «Joker»-Horror mit einer Musicalschmonzette.

Das Biest, also der Sechsfachmörder Joker (Joaquin Phoenix) als schizophrene Schattenseite von Arthur Fleck, kämpft im zweiten Teil «Joker: Folie à deux» vor Gericht um die gerichtliche Feststellung seiner Schuldfähigkeit. Respektive seine Anwältin Maryanne Stewart (Catherine Keener). Das Lamm, also der medikamentös sedierte Arthur Fleck, entdeckt während eines begleiteten Ausflugs in einen Gefängnistrakt mit offenem Vollzug, dass im Gesang von Engelszungen und noch verstärkt in der amourösen Hinwendung der ihn grenzenlos anhimmelnden Lee Quinzel (Lady Gaga) schlummernde Sucht- und Ekstasepotenzial. Im kitschigsten Hollywoodpaarverständnis der 1950er-Jahre schaukeln sich die Liebenden in den siebten Himmel und erobern eine imaginäre Unschuldswelt. Bis sich die Anwältin und die Liebe im übertragenen Sinn auf je einer seiner Schultern installieren und ihm einflüstern, er solle Vernunft annehmen respektive die Medikamente absetzen und Joker selbst verteidigen. Formal bleibt Todd Philipps dem Musical mit einer erstaunlich altmodischen Songauswahl treu. Der inhaltliche Fokus vom Sezieren des psychopathologischen Innenlebens des vermeintlichen Patienten Joker verschiebt sich dahingehend, in welche eigenmächtige Übergriffigkeit die publikumsseitige Sensationsgier und Abgrundgeilheit ein fanatisches Publikum zu befähigen scheint. Aus dem Horrorclown wird eine einhändig lenkbare Marionette, die von der Entzückung des Liebesrausches im frenetischen Taumel gehalten wird, während sich die lasziv reizende Einflüsterin ihrerseits in einen Wahn steigert, der vollkommene Unterwerfung einfordert. Als Freak und Monster gibts Liebe, als empfindsamer Mann Hiebe. 

Todd Philipps glückt es, Form und Inhalt als zwei einander zuwiderlaufende Verlockungen so in Szene zu setzen, dass Arthur Flecks Dilemma als sanfte Dominante alle Einfachheit verunmöglicht. Hübscher Horror.

«Joker: Folie à deux» spielt in den Kinos Abaton, Arena, Capitol, Frame, Houdini, Metropol.