«Ich war noch nie sehr bequem»
Ihr ganzes Leben lang hat Barbara Bosshard als Journalistin und Dokumentarfilmerin die Geschichten anderer Leute erzählt. Hier erzählt sie von ihrer eigenen Geschichte – und vom Verein «Queer altern».
Leonie Staubli
Eigentlich hätte sie Lehrerin werden sollen, wie ihre Mutter, erzählt Barbara Bosshard (67). Dass das nicht klappte, hängt mit ihrer Prüfungsangst zusammen, aber auch mit etwas Grundsätzlicherem: «40 Jahre lang mit immer gleich alt bleibenden Kindern zusammen sein, das kann nicht mein Ding sein», dachte sie sich. Also engagierte sie sich stattdessen im Mittelschulfilmclub und geriet so zum Film – was bei ihren Eltern nicht gerade auf Begeisterung stiess. Die Antwort auf ihre Bewerbung als Bildmischerin beim Fernsehen war erst einmal: «Sie sind viel zu jung, gehen Sie noch ins Ausland!» Aber einen Monat später konnte sie doch anfangen. Beim Fernsehen realisierte Barbara Bosshard schnell, dass sie nicht bloss die Gedanken von anderen ausführen wollte und entschloss sich, das journalistische Handwerk zu erlernen. So wurde sie selbstständig und arbeitete dann als freie Mitarbeiterin beim SRF, wo sie schliesslich auch fest angestellt wurde, unter anderem bei der ‹Rundschau›.
So fing Barbara Bosshard an, Geschichten zu erzählen. Sie ist ein neugieriger Mensch, das hat sich nicht geändert, und diese Ader konnte sie mit ihrer Arbeit als Dokumentarfilmerin ausleben. So dokumentierte sie beispielsweise über sieben Jahre hinweg die politische Laufbahn von Monika Stocker. Der Film «Der Weg zur Macht» erschien ein Jahr, nachdem die Grüne in den Zürcher Stadtrat gewählt worden war. Er sei sehr empathisch, hätten Barbara Bosshards Berufskollegen gesagt, worauf sie antwortet: «Nun gut, wenn man jemanden sieben Jahre lang kennt, hat man entweder etwas gegen diesen Menschen, oder man mag ihn. Das lässt sich nicht verhindern.» In einem anderen Projekt beschäftigte sie sich mit den Überlebenden des Attentats von Luxor. Die grosse Frage, die sie dabei umtrieb, war: Heilt die Zeit wirklich Wunden? Das Thema Trauerarbeit traf sie später von einer anderen Seite, denn 1997 erkrankte ihre langjährige Partnerin an Brustkrebs. Diese Tragödie, und wie es nach dem Tod ihrer Partnerin für sie weiterging, behandelte Barbara Bosshard in dem Buch «Den Himmel berühren», das 2010 bei Wörterseh erschien. «So viel kann ich heute also sagen, dass Zeit Wunden heilt», sagt sie, und lacht verschmitzt. «Aber die Verletzung sieht man, die bleibt als Narbe.»
Vielfalt aufzeigen
Das politische Engagement hielt sich in Barbara Bosshards Jugend in Grenzen. Der Frauenbewegung habe sie sich natürlich ideell immer verbunden gefühlt, doch der Job und ihre erste Beziehung mit einer Frau, bzw. das damit verbundene Stigma in der Gesellschaft, verlangten ihr zu viel Energie ab. Heute sieht das anders aus: Seit kurzem ist sie Mitglied der SP und sie engagiert sich im Vorstand des Vereins «Queer altern». Dort hat sie kein bestimmtes Ressort, aber sie hilft an allen Ecken und Enden mit, und: «Ich bin die, die immer wieder klar sagen kann, was Sache ist. Auch Dinge, die andere stören. Ich glaube, das ist überhaupt meine Rolle im Leben: etwas kurz und prägnant auf den Punkt zu bringen.»
Die Arbeit von «Queer altern» wird immer wieder hinterfragt. Ob so etwas heutzutage überhaupt noch nötig sei, fragen die Leute. «Aber es gibt halt Themen, die der Hetero-Gesellschaft egal sind», meint Barbara Bosshard. Und so lange Homosexuelle noch mit Sonderregelungen behandelt werden, obwohl sie nur fordern, was ihnen zusteht, wird sie darauf hinweisen. «Ich nehme jede Gelegenheit wahr, um uns sichtbar zu machen», sagt sie. Denn im Endeffekt geht es ihr auch darum, Vielfalt aufzuzeigen, statt zu moralisieren. «Das hat möglicherweise auch mit meiner Lebensart als Lesbe zu tun, dass ich nicht urteilen möchte, was besser oder schlechter ist.» Die Haltung kommt auch in ihrem Buch über das berühmte schwule Paar Röbi und Ernst zum Ausdruck. Denn dort gibt sie auch Gianni eine Stimme, der seit 2003 Teil der Beziehung ist. «Ich finde, es ist sehr gut gelungen, das nicht aus einer voyeuristischen Perspektive zu erzählen, sondern einfach als Lebensvielfalt darzustellen.»
So erzählt Barbara Bosshard heute noch Geschichten. Als nächstes spricht sie im Rahmen der Pride-Woche mit Zeitgenossen über das erste Mal, als Homosexualität in der ‹Telearena› im Schweizer Fernsehen thematisiert wurde. Der öffentliche Auftritt hatte für viele queere Menschen ernsthafte Folgen: Manche wurden aus ihrer Wohnung geworfen, andere verloren ihre Stelle, es gab Suizide. Solches zu thematisieren, macht «Queer altern» sich zur Aufgabe.