- Im Gespräch
«Ich träume von einem Rebberg»
Sie sind seit dem 3. Mai 2006 Mitglied und waren im Amtsjahr 2022/23 Präsident des Zürcher Gemeinderats. Nun hören Sie kurz vor Ende Ihrer fünften Legislatur auf: Ist Ihnen die Lust an der Politik vergangen?
Matthias Probst: Nein, sicher nicht. Ich würde gern bis zum Ende der Legislatur bleiben.
Was hält Sie davon ab?
Ich übernehme den Bauernhof meiner Grosseltern, den zuletzt mein Onkel führte. Er hat ihn vor sechs Jahren verpachtet und ist nun pensioniert. Im Sommer ziehe ich mit meiner Familie um. Ursprünglich hatten wir vor, während einer Übergangszeit unser Zimmer in der Gross-WG im Hunziker-Areal zu behalten, wo wir zurzeit noch wohnen. Doch spätestens seit dem Urteil gegen den Schaffhauser Ständerat Simon Stocker ist klar, dass das nicht geht, beziehungsweise ich hätte mich von meiner Frau offiziell trennen müssen, damit unsere beiden Kinder nach den Sommerferien am neuen Ort zur Schule gehen können. Bei aller Liebe zum Zürcher Gemeinderat: Das war es mir dann doch nicht wert.
Sie sind Umweltnaturwissenschaftler ETH, seit vielen Jahren selbstständig mit ihrem eigenen Beratungsbüro sowie als Schreiner, Sie sind 42 und Vater von zwei kleinen Kindern. Jetzt werden Sie Bauer?
Ja, warum nicht? 42 Jahre sind ein gutes Alter, um noch einmal etwas Neues anzufangen. Als Selbstständiger tätig bin ich ja bereits. Unsere Kinder sind 4 und 5 Jahre alt, meine Frau arbeitet Schicht als Intensivpflegerin: Die Kinderbetreuung mit unseren Berufen und dem Gemeinderat unter einen Hut zu bringen ist, nett ausgedrückt, herausfordernd. Ich freue mich darauf, künftig am selben Ort zu leben und zu arbeiten.
Aber Bauer sind Sie deswegen noch lange nicht.
Ich habe die landwirtschaftliche Weiterbildung gemäss Direktzahlungsverordnung am Berufsbildungszentrum Pfäffikon SZ abgeschlossen. Sie wird auch «Nebenerwerbskurs Landwirtschaft» genannt und steht Menschen offen, die bereits einen anerkannten nicht-landwirtschaftlichen Berufsabschluss beziehungsweise die Matura oder einen Studienabschluss haben. Zudem wird mindestens ein Jahr praktische Erfahrung in der Landwirtschaft verlangt, und zwar in einem direktzahlungsberechtigten Betrieb.
Woher haben Sie diese Erfahrung?
Ich habe die 2015 in Zürich Nord gegründete Genossenschaft «Meh als Gmües» mitaufgebaut, in der nach den Prinzipien der solidarischen Landwirtschaft und des ökologischen Landbaus gearbeitet wird. Dort erhalten die Mitglieder nicht einfach Gemüse im Abo: Sie beziehen zwar Ernteanteile, müssen aber auch eine bestimmte Anzahl Stunden pro Jahr mitarbeiten. Die Genossenschaft erhält Biodiversitäts- und Kulturlandbeiträge, eines der Elemente der Direktzahlungen. Ich war dort während acht Jahren in der Betriebsgruppe aktiv und habe mit einem Pensum von bis zu 30 Prozent mitgearbeitet.
Alteingesessene Bauern und Bäuerinnen tun diesen Kurs mitunter als Schnellbleiche» ab.
Ja, doch sie tun dem Kurs damit unrecht. Das Programm ist nahrhafter, als es vielleicht von aussen den Anschein macht. Ich fühle mich gut vorbereitet auf die Hofübernahme.
Sie wohnen in Zürich Nord und geniessen dort, mal abgesehen von Verkehrs- und Fluglärm, die Annehmlichkeiten des Stadtlebens. Jetzt ziehen Sie in eine vergleichsweise abgelegene Gegend: Kein Problem damit?
Ein Einfamilienhäuschen in der Agglo ginge gar nicht. Entweder mitten in der Stadt oder dann richtig aufs Land, das war immer schon mein Motto. Unser Hof liegt oberhalb von Auslikon auf dem Gemeindegebiet von Hittnau, an der Grenze zu Pfäffikon, mit Blick auf den Pfäffikersee. Wenn ich etwas schade finde, dann, dass wir den Hof nicht früher gekauft haben.
Wie meinen Sie das?
Als mein Onkel vor sechs Jahren pensioniert wurde, hat er den Hof verpachtet, und der Teil, den wir jetzt übernehmen, ist nicht mehr dem bäuerlichen Bodenrecht unterstellt. Hätten wir den Hof damals übernommen, wäre es viel günstiger gewesen und das ganze Pachtland wäre auch noch dabei. Der bestehende Pachtvertrag läuft noch bis 2028. Danach habe ich noch die neun Hektaren Land zur Verfügung, die meinem Onkel gehörten. Auf dieser Fläche werde ich hoffentlich auf eine Standardarbeitskraft (SAK) kommen.
Was ist eine Standardarbeitskraft?
Eine Einheit zur Bemessung des Personalaufwands. Die Grundlagen für die Berechnung basieren auf Messungen der Arbeitszeit auf dem Feld, im Stall und für weitere Arbeiten. Auf Basis dieser Daten wird dann die Zeit für eine Arbeit berechnet, und diese Zeit geteilt durch 2600 Stunden entspricht einer SAK. Ein Betrieb muss eine Mindestgrösse von 0,2 SAK erreichen, um direktzahlungsberechtigt zu sein, aber erst ab 1 SAK ist man ein landwirtschaftliches Gewerbe. Wenn ich auf drei Hektaren sogenannte Spezialkulturen anbaue, also zum Beispiel einen Rebberg anlege oder Gemüse oder Beeren pflanze, dann entsprechen diese drei Hektaren einer Standardarbeitskraft.
Wer soll mit Ihnen aufs Feld gehen und die Kulturen pflegen?
Das ist noch offen. Zum Hof gehören drei Wohnungen, die teilweise noch saniert werden müssen. Danach sollen sie uns helfen, den Hof abzuzahlen: Wir werden sie vermieten, aber nicht einfach an Menschen, die gerne ruhig wohnen möchten. Wir suchen Menschen, die mit uns zusammen den Hof bewirtschaften wollen. Menschen mit landwirtschaftlicher Ausbildung, beispielsweise als Weinbäuer:in, haben besonders gute Chancen.
Sie planen einen Rebberg?
Ich träume von einem Rebberg, doch im Kanton Zürich kann man nicht einfach nach Lust und Laune Reben pflanzen. Dazu braucht es eine Bewilligung. Die erteilt die Fachstelle Rebbau des Kompetenzzentrums Strickhof, einer Abteilung des Amtes für Landschaft und Natur innerhalb der kantonalen Baudirektion.
Was machen Sie, falls es nicht klappt mit dieser Bewilligung?
Dann kommen etwa Hochstamm-Apfel- und Birnbäume infrage, auch Steinobst ist eine Alternative, Kirschen hat es dort schon. Gemüse wäre auch gut. Ich hoffe aber schon, dass es mit den Reben klappt. Zusätzlich zu den Reben oder dem Obstgarten möchte ich Schafe halten und die Wolle weiterverarbeiten.
Ernsthaft? In der Schweiz findet sich doch kaum mehr jemand, der nur schon grössere Mengen Schafwolle wäscht.
Ganz so schlimm ist es nicht: Heute gibt es vier Firmen in der Schweiz, die Schafwolle waschen. Eine weitere befindet sich in Grenznähe, auf der deutschen Seite des Bodensees, wobei die Wolle dort gleich zu Pellets weiterverarbeitet wird. Diese sind unterdessen auch bei Hobbygärtner:innen als natürlicher Dünger gern gesehen.
Wie sieht es mit den Firmen in der Schweiz punkto Weiterverarbeitung aus?
Sie sind auf verschiedene Wollprodukte spezialisiert. Schwarznasenschafe beispielsweise haben eine sehr kräftige, aber auch sehr rauhe Wolle, aus der sich kein weiches Shirt fertigen lässt. Dafür ist diese Wolle praktisch nicht brennbar. Deshalb werden die Teppiche für Flugzeuge, und zwar für Passagiermaschinen weltweit, aus der Wolle von Schwarznasenschafen hergestellt.
Welche Rasse schwebt Ihnen vor?
Die Nachfrage nach Merinowolle steigt seit Jahren, und Pullis oder T-Shirts aus Merinowolle sind sehr angenehm zu tragen. Merinowolle wirkt temperaturausgleichend, und auch Schweiss wird rasch aufgesaugt, so dass sich ein solches T-Shirt weder nass anfühlt noch zu stinken beginnt. Merinoschafe halten und die Wolle weiterverarbeiten, zu Pullis oder T-Shirts aus dem Zürioberland, das wär doch was!
Davon zu leben, dürfte aber schwierig werden.
Das Fleisch ist der Markt, das gilt auch für Schafe. Schaffleisch, aber auch Schafmilch und Schafmilchjogurts zu produzieren und zu verkaufen gehört dazu. Offiziell produzieren wir in der Schweiz zirka 50 Prozent des hier konsumierten Schaffleischs, der Rest wird importiert. Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit.
Inwiefern?
Die Filets, die in der Fleischtheke im Supermarkt landen, produzieren wir nicht hier, dort wären das von der Menge her fünf Prozent. 95 Prozent der Filetstücke vom Schaf beziehungsweise Lamm werden importiert. Das heisst, von den 50 Prozent Schaffleisch, die importiert werden, sind praktisch 100 Prozent Edelstücke. Die Schweizer:innen essen den Nachbarn also die guten Stücke weg.
Was passiert in der Schweiz mit den restlichen Teilen der Tiere?
Die werden schon auch gegessen: Beliebt sind jene Stücke vom Schaf, die es nebst dem Lammfilet oder Lammkotelett gibt, vor allem bei Menschen, die aus Afrika oder aus dem Balkan zu uns gekommen sind.
Um einen Hof zu betreiben und auch sonst finanziell über die Runden zu kommen, reicht der Verkauf von Schaffleisch und die Verarbeitung von Wolle kaum aus.
Meine Hoffnung, Reben pflanzen zu dürfen, hat auch einen finanziellen Hintergrund. Ich möchte eine Reben-Patenschaft anbieten: Für einen Jahresbeitrag sollen die Rebenpat:innen den Wein aus ‹ihren› Reben bekommen. Mir schwebt Weisswein vor, natürlich eine pilzwiderstandsfähige Sorte, und ich möchte den Wein zu Perlwein oder Prosecco ausbauen. Perlwein aus dem Zürioberland gibt es meines Wissens noch nicht. Aber es dauert drei, vier Jahre bis zum ersten Ertrag. Doch wie gesagt: Auch ein Obstgarten und Gemüse ist eine Option, und die Schafe bringen Wolle und Fleisch. Der noch laufende Pachtvertrag bringt ebenfalls etwas ein, und die Menschen, die dereinst zusammen mit uns den Hof betreiben werden, zahlen Miete für ihre Wohnungen. Meine Firma habe ich ja auch noch. Falls alles schiefgehen sollte, kann ich sie wieder aktivieren.
Sie haben die landwirtschaftliche Ausbildung geschafft, die Abschlussarbeit haben Sie auch schon geschrieben: Was war die grösste Herausforderung auf dem Weg zum Bauer?
Die Ausbildung ist recht intensiv, doch dass ich sie in Pfäffikon SZ blockweise absolvieren konnte, war ein Vorteil. Die Prüfung auf dem Hof war schon eine Hürde, ich habe sie aber glücklicherweise bestanden.
Prüfung auf dem Hof? Wie muss man sich das vorstellen?
Zwei Experten kamen auf den Hof und haben mir Löcher in den Bauch gefragt… Ernsthaft: Gräser bestimmen, Kleesorten benennen, Fragen zu Düngerbildung, Stickstoffbilanz etc. Das war einfach: Ich hätte während meines Studiums bloss wenige zusätzliche Kurse besuchen müssen, um als Agronom abschliessen zu können. Dann kamen Stallgrössen und Anzahl Tiere pro Stall dran, Tiergesundheit, Tier-Arzneimittel, Fleischqualität, Zuchtpläne und -ziele. Weiter gings mit der Mechanisierung, mit Geräten, Sicherheit, Traktor fahren, Anhänger, Reifendruck, Reifenprofilen…
Können Sie eigentlich Auto fahren? Ich habe Sie stets nur E-Bike fahren gesehen.
Wenn wir auf den Hof ziehen, werde ich das ‹Billet› haben. Traktor darf und kann ich aber schon lange fahren. Bei «Meh als Gmües» habe ich ausserdem gelernt, mit Einachsern umzugehen. Wir werden uns aber keinen grossen Maschinenpark zulegen, einen kleinen Elektrotraktor vielleicht, und die restlichen Maschinen ausleihen.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Wir haben vier Jahre Zeit, um den Hof aufzubauen. Ich hoffe und wünsche mir, dass wir in dieser Zeit unsere Nischen finden und dass unsere Produkte bei den Konsument:innen Anklang finden, dass es klappt mit den Reben und den Rebenpatenschaften. Die grösste Gefahr bei einem solchen Projekt besteht darin, sich zu verzetteln. Deshalb wünsche ich mir auch, dass es uns gelingt, uns auf wenige gute Produkte zu fokussieren und dafür Abnehmer:innen zu finden, die sie zu schätzen wissen und Freude haben, ihre Produzent:innen zu kennen.