«Ich hätte da noch eine Frage…»

Am 18. Januar beginnt das erste Zürcher Philosophiefestival im ‹Kosmos›. Was es damit auf sich hat, erklären die Initianten Urs Siegfried und Matthias Wiesmann im Gespräch mit Nicole Soland.

 

In Zürich gibt es bereits die Lange Nacht der Philosophie, es gibt das Festival «Zürich liest», dazu kommen das Film-, Jazz- und Theaterfestival etc. Braucht es tatsächlich auch noch ein Philosophiefestival? 

Urs Siegfried: Das Philosophiefestival ist uns eine Herzensangelegenheit: Wir haben nicht zuerst eine Marktstudie gemacht, um herauszufinden, ob sich die 29- bis 38-jährigen urbanen Bartträger schon lange ein Philosophiefestival gewünscht haben. Wir wollten etwas auf die Beine stellen, das wir selber spannend finden und uns Freude macht.

Matthias Wiesmann: Es geht um den Spass an der Sache und darum, die Philosophie nach aussen zu tragen. Das Festival läuft nicht umsonst unter dem Motto «Vom Turm zur Tat»: Wir wollen philosophische Gedanken mit aktuellen Diskussionen zusammenbringen.

 

Was Ihnen gefallen würde, ist aber noch keine Garantie dafür, dass das Festival Anklang findet.

U.S.: Wir sind beide viel in Zürich unterwegs und besuchen unterschiedlichste Anlässe. Unsere Erfahrungen damit haben uns in der Ansicht bestärkt, dass es Bedarf nach einem anderen Diskussionsraum gibt, einem Raum, in dem man aktuelle Themen beleuchten und ihnen gleichzeitig einen anderen Dreh geben kann, als es im Rahmen einer klassischen Lesung oder einer politischen Diskussion der Fall ist. Unser Ziel ist es, Podium und Publikum zu verbinden. Wir richten uns an alle, die es auch mit Inspektor Columbo halten und wie wir der Ansicht sind, dass es sich immer lohnt, sich noch einmal umzudrehen und zu sagen: «Ich hätte da noch eine Frage …»

 

Wie in den «Cafés Philo», die in den 1990er-Jahren angesagt waren und im Zürcher Literaturhaus immer noch ein paarmal pro Jahr stattfinden? 

U.S.: Der grösste Unterschied zum Café Philo ist der Charakter der Veranstaltung: Wir haben den Anlass von Anfang an als Philosophiefestival geplant, mit Betonung auf «Festival». Wir möchten ein Umfeld schaffen, in dem man sich vor der Veranstaltung zum Apéro treffen und nachher in angenehmer Umgebung weiterdiskutieren, zusammen etwas essen oder trinken kann und nicht sofort wieder in die Kälte hinaus muss. Es werden auch verschiedene Angebote parallel laufen, wie bei einem Film- oder Musikfestival mit Haupt- und Nebenbühnen. Durch dieses Nebeneinander und durch diese Konzentration an einem Ort entsteht eine ganz eigene Stimmung.

 

Sie sagten, das Philosophiefestival sei in erster Linie eine Herzensangelegenheit – doch es steht unter dem Patronat der Uni Zürich, und als Partner sind unter anderen das Migros Kulturprozent und die Avina-Stiftung von Stephan Schmidheiny aufgeführt: Hat der ehemalige Zürcher Gemeinderatspräsident Matthias Wiesmann ein paar Türen geöffnet? 

M.W.: Die Basis hat ein Konzept gelegt, das die Leute mitriss, und zwar sowohl solche, die wir uns als ReferentInnen wünschten, als auch potenzielle PartnerInnen und im weitesten Sinne Menschen, die uns helfen. Urs hat dieses Konzept geschrieben, das sich super liest und den Geist des Festivals heraufbeschwört: geistreiche Unterhaltung mit Niveau, gewürzt mit einer Prise Humor. Und das sage nicht nur ich, sondern diese Rückmeldung kam von allen, denen wir das Konzept gegeben hatten. Peter Haerle beispielsweise, der Kulturdirektor der Stadt Zürich, konnte uns zwar in dieser Funktion nicht helfen, aber er sitzt nun im Programmbeirat: Auch er war so begeistert, dass er als Privatperson mitmachen wollte. 

 

Ein gutes Konzept allein ist die ganze Miete? 

M.W.: Es braucht eine solide Basis, man muss den Leuten etwas zeigen können, das Substanz hat. Es lohnt sich, diesen Text gut, witzig und geistreich zu formulieren. Aber es hilft natürlich auch, wenn man ein paar Leute kennt, in meinem Fall beispielsweise den Uni-Rektor, der mein ehemaliger Nachbar ist und dem ich auch oft begegnet bin, als ich Gemeinderatspräsident war. Ihm konnte ich direkt eine E-Mail schreiben, anstatt erst über die offiziellen Kanäle vordringen zu müssen. Wobei: Die Türen waren sehr offen, es hätte auch sonst geklappt; so ging es einfach schneller und angenehmer.

U.S.: Unser erster Aussenkontakt war Philosophieprofessor Peter Schaber von der Uni Zürich, bei dem ich in der Vorlesung war. Ich fasste mir ein Herz und fragte ihn einfach an, ob er mitmachen würde. Er war sofort dabei und vermittelte uns obendrein den Kontakt zu Barbara Bleisch, die ebenso spontan zusagte wie ihr Moderationskollege Yves Bosshard von der SRF-Sendung ‹Sternstunde Philosophie›.

 

Mit einem Thema wie «Ich, Ich, Ich» kann man gar nicht falsch liegen: Empfinden Sie diese Behauptung als böse Unterstellung, oder ist die Themenwahl schlicht ein genialer Schachzug Ihrerseits? 

M.W.: Wir haben hart um die Themenwahl gerungen und unsere Longlist immer stärker eingedampft. 

U.S.: Wir notierten unter anderem Vorschläge für etwas «Matrix»-Artiges, also zur Frage, ob wir als Gehirn im Tank in einer Illusion leben. Uns ging es darum, etwas zu finden, das die Leute ansprechen und gleichzeitig philosophisch etwas hergeben würde, was gar nicht so einfach ist. 

M.W.: Wir hatten auch das Thema «Tod» bzw. «Sterben» auf der Liste, am Schluss waren es sieben oder acht Themen – aber mehr verraten wir hier nicht, denn es gibt ja in einem Jahr hoffentlich wieder ein Philosophiefestival. Für die erste Ausgabe wählten wir schliesslich etwas leicht Verdauliches. 

U.S.: Das Thema «Sterben» wäre zwar wahnsinnig spannend, aber als Auftakt eines neuen Festivals dann doch nicht optimal geeignet. 

M.W.: Sagen wir es so: Es wäre zugegebenermassen etwas mutiger gewesen, aber nicht unbedingt sehr intelligent. Deshalb beginnen wir nun beim «Ich».

 

Dass es das Festival künftig jedes Jahr geben wird, steht demnach bereits fest? 

U. S.: Unser Ziel ist es, das Philosophiefestival im ‹Kosmos› zu einem Fixpunkt auf dem Zürcher Veranstaltungskalender zu machen. 

M.W.: In unserem Vertrag mit dem ‹Kosmos› steht, dass beide Seiten von einer langjährigen Partnerschaft ausgehen.

 

Zurück zum Thema «Ich, Ich, Ich»: Sollte man dieses nicht eher psychologisch beleuchten als philosophisch? 

U.S.: Das Thema gibt sowohl aus psychologischer als auch aus philosophischer Sicht sehr viel her. Darin stecken philosophisch interessante Fragen wie jene nach dem Geschlecht des Ich oder wo das Bewusstsein zu verorten ist, dann natürlich ethische Fragen wie «Worauf muss ich zu Gunsten anderer verzichten?», oder das ganze Feld der Ästhetik, Stichwort Selfies & Co. 

M.W.: Der politische Aspekt ist hingegen relativ schwach gewichtet, aber das ist eine bewusste Entscheidung: Wir wollten keine weitere dieser Veranstaltungen, an denen auch noch ein Nationalrat auf dem Podium sitzen muss – obwohl etwa einer wie der Grüne Balthasar Glättli als ehemaliger Philosophiestudent grundsätzlich in Frage käme. 

 

Man muss aber kaum Philosophie studiert haben, um als ReferentIn eingeladen zu werden – oder ist Roger Schawinski Philosoph? 

M.W.: Nein, aber er hat ein Buch geschrieben mit dem Titel «Ich bin der Allergrösste. Warum Narzissten scheitern». Mike Müller hingegen hat Philosophie studiert, und grundsätzlich müssen alle potenziellen ReferentInnen einen substantiellen Beitrag zum Thema geleistet haben; wir laden nicht einfach jene ein, die gerade «in» sind. 

U.S.: Im übrigen ist es erstaunlich, wer alles Philosophie studiert hat – das wurde uns erst bewusst, als wir nach ReferentInnen und ModeratorInnen Ausschau zu halten begannen. 

 

Das Programm bietet nicht nur Referate, sondern auch «Experimente» sowie einen «Lehrstuhl»: Was muss man sich darunter vorstellen? 

M.W.: Es gibt Veranstaltungen wie die Referate, die Eintritt kosten, und daneben Gratisangebote. Eins davon ist der «Lehrstuhl» im Buchsalon im oberen Stock: Auf dem Lehrstuhl stehen Philosophinnen und Philosophen beim persönlichen Gespräch zu einen bestimmten Thema Red und Antwort, beispielsweise zu den Themen «Wahrheit», «Feminismus» und «Kunst». Wer zuhören oder mitdiskutieren möchte, nimmt sich einfach einen gelben Schemel und setzt sich dazu.

U. S.: Die «Experimente» finden im Hinterzimmer des Buchsalons statt: Dort flimmern animierte Kurzfilme zu philosophischen Gedankenexperimenten über die Leinwand. Es geht um Fragen wie «Ist Abtreibung erlaubt?» oder «Was ist gerecht?». Expertinnen und Experten der Advanced Studies in Applied Ethics ASAE der Universität Zürich liefern die Erläuterungen dazu. Die Idee dahinter liegt auf der Hand: Philosophie soll für alle zugänglich sein. 

M.W.: Es laufen während des Festivals übrigens auch zwei Filme – wir sind ja in einem Kino. Sowohl zu «Star» von Anna Melikian als auch zu «Her» von Spike Jonze gibt es eine philosophische Einführung. Danach kann man sich die Filme sozusagen durch die philosophische Brille anschauen – oder auch einfach so. Nach dem Kino stehen aber auf jeden Fall unsere philosophischen Filmfachleute Martin Ostermeier und Susanne Schmetkamp an der Bar parat, je nach Bedarf für Absacker-Argumentationen oder spätabendliche Verständnisgespräche … Vielleicht landet man aber auch ohne vorherigen Kinobesuch an der Bar und findet sich unversehens in einer philosophischen Diskussion wieder. So zumindest stellen wir uns das vor: Es soll alles möglich sein.

 

Was sind Ihre Favoriten aus diesem reichhaltigen Programm?

M.W.: Zur Eröffnung gibt es bei uns nicht bloss ein paar Dankesworte, sondern gleich den Stargast Wolfram Eilenberger, Gründungschefredaktor des ‹Philosophie-Magazins› und Moderator der ‹Sternstunde Philosophie› auf SRF, der als ‹Zeit›-Kolumnist mit seinen philosophischen Betrachtungen der Alltagskultur und des Sports in Deutschland immer wieder für Aufsehen sorgt. Wir fangen also mit dem Feuerwerk an; bei uns kommt man rein, und schon «chlöpfts und tätschts».

U. S.: Eilenbergers neues Buch «Zeit der Zauberer. Das grosse Jahrzehnt der Philosophie 1919–1929» erscheint erst im März, wird aber bereits in mehrere Sprachen übersetzt – bei uns tritt er schon auf, bevor es in den Läden liegt. 

M.W.: Ich freue mich aber auch auf den philosophisch vorbelasteten Psychoanalytiker Peter Schneider. 

U.S.: Und zum Thema «Ich, Ich, Ich» haben zum Glück nicht nur die professionellen PhilosophInnen, sondern wir alle etwas zu sagen. Genau darum geht es beim Festival: Philosophie persönlich greifbar zu machen und mit einem hohen Unterhaltungswert zu kombinieren.

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