«Ich habe Lust, noch einmal Vollgas zu geben»

 

Julian Büchler

 

Politisiert wird man bekanntlich in Situationen, in denen man sich denkt, hier muss sich was ändern. Christine Stokar hatte viele solcher Momente. Politisch aktiv wurde sie, wie sie selbst sagt, «weil ich mich als einen Menschen sah, der nicht wegsehen wollte, sondern der sich für vieles interessierte». Dies hängt sicherlich auch damit zusammen, wie sie aufgewachsen ist. «Ich habe fünf Geschwister, von denen zwei körperlich beeinträchtigt sind – etwas, das mich schon als Kind geprägt hat.» Als Tochter eines Pfarrers wurde ihr zudem täglich bewusst, dass die Gesellschaft eine Verantwortung gegenüber ihren Mitmenschen hat. «Sofern man etwas mehr hat als die anderen, sich dazu noch getraut, etwas zu sagen, sollte man damit auch etwas für die anderen machen.» Irgendwie hätten es ihre Eltern geschafft, allen Kindern etwas mit auf den Weg zu geben, das alle veranlasse, sich in irgendeiner Weise in der Gesellschaft einzusetzen.

 

Dass sie der SP beitritt, beschreibt Christine Stokar als alles andere als ein Zufall. Ihre Mutter politisierte lange Zeit in der EVP, sie selbst wollte jedoch in eine Partei, die Politik und Religion voneinander trennt und war in sozialen Fragen wesentlich radikaler. «Zu der Zeit waren die Frauenrechtsbewegungen, allen voran die FraP! aktiv, mit der ich mich identifizieren konnte.»

 

Facettenreicher Lebenslauf

Ihr Lebenslauf sei alles andere geradlinig. Es gebe jedoch durchaus einen roten Faden. «Mein Hauptinteresse gilt dem Menschen.»

 

Ein Bereich, der ihre berufliche Laufbahn einerseits prägte, war das Sozialwesen. Als erste Lehre schloss sie eine Ausbildung zur Kleinkinderzieherin ab – ein für sie schöner Beruf, der ihrer Meinung nach jedoch zu tief bewertet ist. Trotz der grossen Verantwortung herrscht in der Branche schlechter Lohn, die Arbeitenden geniessen vergleichsweise wenig Ansehen und haben kaum Aufstiegschancen. Dies sei leider in vielen frauendominierten Dienstleistungsberufen der Fall. Sie selbst bildete sich weiter, absolvierte eine Ausbildung in Tanz- und Bewegungstherapie und in personenzentrierter Beratung und arbeitete als Sozialtherapeutin. «Ich arbeitete in meinem Leben immer mit und für Menschen, da ist das Konfrontiertwerden mit Konflikten und die Erarbeitung von Lösungen Alltag.»

 

Damit sich der Mensch als Individuum entfalten könne, brauche es auch gute Rahmenbedingungen. Um sich für Veränderungen auf dieser Ebene einsetzen zu können, absolvierte sie nebenberuflich eine Handelsschule und entwickelte sich von der Sekretärin bis zur Geschäftsleiterin. Ab 2012 verbrachte sie zwei Jahre an der Uni Fribourg, wo sie Rechtswissenschaften studierte. «In meiner Zeit im Züricher Gemeinderat als Mitglied der Geschäftsprüfungskommission hat mich die juristische Denkweise als eine unserer Realitäten immer mehr interessiert.»

 

Juristische Tätigkeit

2016 erhält sie die Möglichkeit, ihr juristisches Interesse und ihren Gerechtigkeitssinn weiter einzubringen, als sie in den Zürcher Bezirksrat gewählt wird. Die Kombination aus Justiz und Politik reizte sie. Auch dort gehe es neben aktuellen, teils politischen Themen vor allem um die Lebenssituation von Menschen, beispielsweise von Kindern und deren Eltern bei der Kesb, über SozialhilfebezügerInnen bis hin zu Menschen in Alterseinrichtungen.

 

Auf die Frage, warum sie das Amt der Friedensrichterin reizt, antwortet Christine Stokar kurz und bündig: «Ich habe Lust, noch einmal Vollgas zu geben.» Sie habe sich schon länger für das Amt begeistert und kenne auch den abtretenden Röbi Schönbächler gut. In ihrer aktuellen Tätigkeit als Bezirksrätin sei jeder Tag anders. Die Veränderung würde sicherlich spürbar in einem strukturierteren Alltag, den sie aber bereits von früheren Zeiten kenne und auch schätze. Sie möge es, zu organisieren und Ordnung zu schaffen. «Ich möchte Friedensrichterin werden, da ich seit meinem Amt als Bezirksrätin mit der juristischen Betrachtungsweise vertraut bin und in Kombination mit der Vermittlungserfahrung ein ideales Kompetenzrepertoire mitbringe.»

 

«Das Amt der Friedensrichterin ist ein unpolitisches Amt – die Politik darf keine Rolle spielen». Ihre soziale Färbung werde sie jedoch sicherlich befähigen, jedem Menschen mit Respekt und Unvoreingenommenheit zu begegnen, losgelöst von beruflicher, sozialer, ethnischer und politischer Stellung, um dem Anspruch der Neutralität nachzukommen. Ihre breite Lebenserfahrung werde sich dort aber sicherlich mehr zeigen als ihre Mitgliedschaft in der SP.

 

Mut nicht verlieren

Angst, dass sie für die Vollzeitstelle wichtige Engagements aufgeben müsste, hat sie nicht. Als Tanz- und Bewegungstherapeutin ist ihr Sport ein wichtiges Anliegen. Bewegung stellt in ihrem Alltag auch den Ausgleich dar. Sich zu entspannen und den Kopf durchzulüften, sei etwas Wichtiges, gerade wenn man verantwortungsvolle Aufgaben wahrnehme.

 

«In meinem Job bekomme ich sehr viel mit, Freudiges wie Trauriges, Schicksalsschläge wie Glücksmomente, dies verarbeitet jeder Mensch anders.» Den Mut nicht zu verlieren, hat sie selber auch aufgrund einer schweren Krankheit gelernt. Sie sei froh, dass sie die Kraft bekam, wieder aufzustehen und weiterzumachen, und sieht mit ihrer Kandidatur auch ein Mittel, anderen davon etwas mitzugeben.

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