- Kultur
«I never got this far»
Was im Kulturleitbild respektive der Konzeptförderung für Tanz und Theater der Stadt Zürich «unkuratierter Raum» genannt worden ist, wird seit 2023 mit zwei Probenräumen und vier Aufführungsfenstern pro Jahr vom Verein «Brücki235» betrieben. Delegierte der drei Interessen-/Berufsverbände Tanzlobby, t.Punkt Zürich und assitej teilen sich mit Szenevertreter:innen die Aufgaben im sechsköpfigen Vorstand und sorgen dafür, dass das Interesse für die grundsätzliche Ermöglichung über einer Durchsetzung allfälliger Partikularinteressen steht. Aus den Vereinsmitgliedern, Mindestbeitrag zwanzig Franken, wird an der Vollversammlung per Losentscheid ein jährlich wechselnder Szenerat bestimmt, der als neutrales Gremium über die Programmierung der Aufführungsfenster entscheidet. Die Nachfrage für eine Teilnahme übersteigt genauso wie die für nicht von der Konzeptförderung profitierenden Gruppen/Künstler:innen kostenlose Probennutzung in den zwei vorhandenen Räumen das Angebot längst. Von daher wird der leicht irreführende Begriff unkuratiert nach Möglichkeit vermieden und stattdessen die Selbstorganisation und -verwaltung betont. Als nächstes wird genauso basisdemokratisch darüber debattiert und entschieden werden, wie dem praktische Dilemma fortan begegnet werden soll, das aus den beiden berechtigten, aber einander zuwiderlaufenden Interessen entsteht: der grösstmöglichen Teilhabe an den Aufführungsfenstern und der Minimalentschädigung gemäss den Richtlinien von t.Punkt.
Vernetzung und Sichtbarkeit
Mit einem Kurzstückefestival im Juni wird in der Gessnerallee die zweijährige Aufbauarbeit gefeiert, die in der Folge von der Stadt Zürich einer Evaluation unterzogen werden wird, weil die Förderung per definitionem auf vier Jahre beschränkt ausgeschrieben worden war. Die Aufführungsfenster finden immer in wechselnden Theatern und Off-Spaces statt, weil sich einerseits kein bestehendes Theater mit der entsprechenden Infrastruktur für dieses Format beworben hatte, was andererseits auch den Vorteil birgt, in den wechselnden Orten mutmasslich auch wachsenden Publikumskreisen zu begegnen. Gemäss Tina Mantel, die mit einem Minipensum die insgesamt 110 Stellenprozente der Brücki-Zentrale alias Schnitt- und Schaltstelle zwischen den Nutzer:innen und dem Vorstand mit Philipp Neuberger, Liliane Koch und Kami Manns teilt, hat sich auch die Kooperationssuche unterdessen nahezu verselbstständigt. Als Austragungsort für das Zweijahresjubliäum hat sich die Gessnerallee aktiv bemüht. Die Kriterien für eine Teilhabe an einem solchen Fenster werden möglichst weit gefasst. Es können genauso Try-Outs, Work in Progress wie auch fertige Stücke oder Teile daraus gezeigt werden. Sie müssen einfach kurz genug gehalten sein, dass an einem Abend mehrere Showings stattfinden können. Eine sehr grobe Tendenz für eine Einordnung der einzelnen Fenster wird jeweils in der Ausschreibung mit einem Oberbegriff angegeben. Kinder-/Jugend, Tanz, Theater oder wie für das vergangene Wochenende im Off-Space Baby Angel in den Kellerräumen gegenüber dem Helsinki eben experimentell.
Professionelle Testballone
Alle fünf Performances am Freitag vor einer Woche fanden in einem anderen Raum des verwinkelten Kellers statt. Ein bisschen Licht, ein bisschen Ton und eine möglichst unkomplizierte Ausstattung. Das Publikum sitzt oder steht, wandert mit und schaut selbst, wie alle einen möglichst guten Blick auf das Geschehen haben. Ein bisschen erinnerte der Abend an alte Zeiten, als es in Zürich noch Freiräume gab, die künstlerisch bespielt werden konnten, wie die ehemaligen Galerien unter dem Kunsthaus mit den Dada-Festspielen oder der letzten offiziellen (Kunst-Party-)Nutzung der Escher-Wyss-Unterführung. Die Stimmung extrem tiefenentspannt und alle einander zugewandt. Die Showings waren professionelle Testballone, wonach sich die Performer:innen regelrecht um (kritisches) Feedback bemühten. Ob die im stillen Kämmerlein entwickelte Idee vor Publikum umgesetzt auch funktioniert, wollte die mit drei griechischen Songs ein Frauenschicksal umreissende Ioulitta Stavridi ausprobieren. Inwieweit ein Publikum involviert werden kann, ohne sich gedrängt vorzukommen, testete «mari» mit ihrer Spinnenperformance aus und frohlockte danach «I never got this far». Audrey Wagner, in diesen Spalten u.a. vom Tanzfestival Winterthur bekannt, umschrieb diese sogenannt niederschwellige Möglichkeit für ein ergebnisoffenes Ausprobieren als eine Art Mischung aus willkommener Sparringmöglichkeit, erwünschter Raffinierbarkeit und mitunter notwendiger Erkennbarkeit einer irrigen Grundannahme.
www.bruecki235.ch