Hühnerbrust

«Eigentlich», so sagte M. kürzlich zu mir, «eigentlich schreibst du gar keine Kolumnen. Du schreibst Pamphlete.» Ich zeigte mich zerknirscht und gelobte Besserung. Und so erzähle ich Ihnen heute einfach nur eine kleine Geschichte. Ich habe sie kürzlich in einem Dokumentarfilm gesehen, sie ist nicht mehr ganz taufrisch, dafür aber wahr. Falls sie es nicht wäre, würde ich ihr ohne weiteres das Prädikat «se non è vero, è ben’ trovato» geben.

 

Die Geschichte beginnt damit, dass wir hier alle furchtbar gerne Poulet essen. Das ist bekanntlich gesünder als rotes Fleisch, und den ökologisch Versierten unter den Fleischigen ist bekannt, dass nur schon der Aufwand an virtuellem Wasser oder an grauer Energie erheblich tiefer liegt als bei Rindfleisch, das ja quasi die SVP unter den Fleischsorten ist. Nun ist es aber leider so, dass wir alle etwas faul sind und das Hühnchenfleisch nicht erst noch mühsam von den Knochen loslösen wollen, daher bevorzugen wir die Hühnerbrust (Hähnchenbrust immer mitgemeint). Und da die Marktwirtschaft bekanntlich funktioniert, so passiert hier das alte Ding mit Nachfrage und Angebot, und das hat zur Folge, dass wir Geflügel züchten, das riesige Brüste hat und mickrige Flügelchen oder Schenkelchen. – Die kriminellen Handlungen bis hierher, ganz unaufgeregt und biblisch aufgezählt: Völlerei, Hoffart, Faulheit, Dekadenz, Tierquälerei und Food Waste.

 

Denn, so fragen Sie sich nun: Wohin geht denn der Rest der ganzen Hühnchen? Richtig: Sie werden in Stücke gehauen, tiefgefroren und – nach Afrika verschifft. Und wenn Sie nun bange fragen, ob das denn mit der Kühlkette funktioniere, so schweige ich vielsagend, und wenn Sie immer noch nicht ruhig sind und fragen, ob denn das um Himmelswillen rentabel sei, so schweige ich grad nochmals. Denn die Sache ist, dass das Hühnerfleisch dort auf den Märkten billiger angeboten werden kann als das landeseigene Hühnerfleisch. In diesem Doku-Film war das Beispiel Ghana, und Ghana hatte bis vor wenigen Jahren eine eigene, durchaus lukrative Geflügelwirtschaft, die so manche Menschen ernährte, artgerechter war als unsere und selbstverständlich ökologischer.

 

Diese Wirtschaft haben die subventionierten – ups, jetzt ist es mir rausgerutscht – Billigimporte aus Europa gründlich zur Sau gemacht. Die Hühnerwirtschaft liegt in Ghana mittlerweile am Boden. Die kriminellen Vergehen deshalb im Weiteren: Neokolonialismus, unlauterer Wettbewerb, Beschönigung krimineller Vergehen (denn das mit dem unlauter sieht Europa natürlich ganz anders), Zerstörung nationaler Märkte und, um doch noch etwas biblisch zu bleiben: Gier.

 

Aber die Geschichte ist noch nicht fertig. Der Film stöberte einen jungen Mann auf, der in der Geflügelwirtschaft gearbeitet und seinen Job verloren hatte und in die Kamera sagte, als er gefragt wurde, was er denn nun tun wolle, nun ja, er werde wohl versuchen, als Flüchtling nach Europa zu gelangen, um sich dort Arbeit zu suchen. Und es ist mir relativ wurst, ob die FilmemacherInnen ihn dazu manipuliert haben, denn gerade dieser Teil der Geschichte ist wohl leider wesentlich mehr als nur ben’ trovato. Und so schliessen sich die globalen Kreisläufe: Wir senden Fleisch, das wir nicht essen, obwohl wir es produzieren, und bekommen die Verzweifelten dieser Erde zurück.

 

So. Genug für heute. Nach der Sommerpause, das verspreche ich dir, lieber M., schreibe ich dann ganz einfach wieder gute alte Pamphlete.

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