Hohe Mieten: «Wir könnten auch einfach Tausendernötli anzünden»

Den Newsletter «Immomailing» haben Zehntausende Zürcher:innen abonniert. Folglich kennt die Macherin Nadia Loosli den Zustand des Wohnungsmarktes und die Sorgen der Suchenden bestens.  Im Gespräch mit Simon Jacoby erklärt sie, warum weder ein Vorkaufsrecht noch ein Wohnraumfonds, weder Verdichtung oder das Drittelsziel die Lage verbessern wird.

Sie haben diesem Interview nur zögerlich zugestimmt. Warum?

Nadia Loosli: Ist nicht bereits alles gesagt zur Wohnungskrise? In den letzten Monaten haben sich die Politiker:innen mit immer neuen Vorschlägen überboten. Mich erstaunt, wie lange es gedauert hat, bis die Medien die Thematik aufgenommen haben. Die Wohnungsnot ist nicht neu, aber seit Anfang Jahr wird es mega hochgekocht: Der Druck nimmt überall zu und im Herbst stehen Wahlen an. Ich bin froh, dass ich keine Politikerin bin und darum keine Lösungen bieten muss. 

Die Leute in den Kommentarspalten haben eine Lösung: Wer es sich nicht leisten kann, muss halt aus der Stadt raus. 

Ich wünsche mir eine durchmischte Stadt für Menschen aller Einkommensklassen. Diejenigen, die sich die Mieten nicht mehr leisten können, dürfen nicht einfach aus der Stadt rausgeschmissen werden. Es gibt viele Menschen, die nicht einfach wegziehen können: Wer im Sozialsystem ist, wer wegen einer Behinderung auf nahe Wege zur Therapie angewiesen ist oder aus welchem Grund auch immer. Aber es gibt auch Menschen, von denen man ein bisschen Flexibilität verlangen kann, Kinder sind meiner Erfahrung nach anpassungsfähiger als viele Eltern meinen…

Sie klingen entmutigt, gibt es keine Hoffnung im Kampf gegen die hohen Mieten und zu wenige Wohnungen?

Wenn die Immobilienwirtschaft nicht eingebunden werden kann, dann ist es hoffnungslos. Und die Wirtschaft kann man nur zwingen, alle anderen Wege sind zum Scheitern verurteilt. 

Wie soll dieser Zwang aussehen?

Das richtige Instrument ist noch nicht erfunden worden. Ich bin zum Beispiel kein Fan des Drittelsziels – ein Drittel hat Glück, der Rest hat Pech. Trotzdem scheint es die beste aller schlechten Lösungen zu sein, weil sie verhindert, dass für abartige Renditen gebaut wird. Die neuen Wohnungen, die jetzt entstehen, sind nur noch für jene, die richtig viel Geld haben. Selbst wer den Zürcher Medianlohn von 8000 Franken verdient, kann sich keine Miete für 4000 Franken leisten. Das ist das Problem!

Trotzdem stehen fast keine Wohnungen leer. Die Leerwohnungsziffer in Zürich liegt bei 0,07 Prozent, was rund 160 Wohnungen entspricht. Offenbar können trotz hoher Mieten alle Objekte vermietet werden.

Ich vermute, viele Leute zahlen für ihre Verhältnisse zu viel Miete. In den teuren Wohnungen leben entweder Mieter:innen, die nur kurz hier sind, denen ist es egal und oft zahlt die Firma einen Teil der Miete. Bei allen anderen wird es sich noch rächen. Wenn wir über mehrere Jahrzehnte monatlich 1500 Franken zu viel Miete zahlen, dann fehlt dies bei der Kaufkraft und vor allem in der eigenen Altersvorsorge. Diese hohen Mieten führen direkt in die Altersarmut. Das ist ein riesiges Problem und das Geld ist einfach weg. Es verpufft, wir könnten auch einfach Tausendernötli anzünden. Natürlich, jemand steckt es sich in die Tasche, aber die Allgemeinheit hat nichts davon. 

Was schlagen Sie vor?

Man muss die Mieten kontrollieren oder die Renditen deckeln und kontrollieren. Auf der anderen Seite muss man natürlich auch das glückliche Drittel kontrollieren. Wer in einer gemeinnützigen Wohnung wohnt, darf nicht zu viel verdienen und nicht zu viel Platz verbrauchen. Das ist alles legitim und da muss man ansetzen. Aber der eigentliche Skandal ist es nicht.

Was ist denn der eigentliche Skandal?

Dass die Vermieter:innen einfach sagen können, die Miete werde an die «Quartierüblichkeit» angepasst, ist eine absolute Frechheit. Was soll das denn bedeuten? Das ist dermassen daneben, weil es nur bedeutet, dass die Immobilienbesitzer:innen mehr verdienen – nichts anderes als das. Ich habe als Mieterin keine bessere Wohnung oder einen schöneren Spielplatz, wenn die Miete erhöht wird. Es ist eine Zumutung, aber weil die Vermieter:innen so viel Kraft haben, ist es einfach so. 

Haben Sie Beispiele im Kopf, wo es anders ist?

In Wien beispielsweise ist es anders: Dort hat die Stadt vor langer Zeit damit begonnen, Land zu kaufen und Wohnungen zu bauen. Dahin kommen wir nie mehr, es ist zu spät. Wer in Zürich neu baut, müsste mindestens zu einem Drittel gemeinnütziger Wohnungen verpflichtet werden, es braucht einfach mehr Druck, auch bei kleinen Bauprojekten. 

Sie betreiben nicht nur den Newsletter, sondern sind auch im Vorstand des Quartiervereins Riesbach und erlebten die Seefeldisierung so hautnah mit. Geschieht jetzt mit der ganzen Stadt, was davor im Seefeld begann?

Wir waren hier ein paar Jahre voraus, jetzt ist es bei uns etwas ruhiger und die grosse Welle ist durch. Unsere Siedlung könnte noch drankommen, aber die meisten grösseren Parzellen sind saniert. Nun durchlebt der Rest der Stadt das, was wir bereits hinter uns haben. Auch die Aussenquartiere wie Schwamendingen, die jahrzehntelang im Dreck der Autobahn gelebt haben, sind jetzt dran und viele Mieter:innen werden verdrängt. Wie damals bei der Weststrasse. Im Moment werden einfach alle am untersten Rand der Gesellschaft gegeneinander ausgespielt: Studierende, Alleinerziehende, Sozialhilfeempfänger:innen, Geflüchtete. 

Müssten die Eigentümer:innen mehr in die Pflicht genommen werden?

Ja, was die Immobilienbesitzer:innen machen, ist schlicht verantwortungslos. Es fehlt an Visionen – es geht nur ums Geld. Wir müssen uns fragen, was wir von unserer Stadt wollen. Zürich ist nicht besonders gross, aber total schön mit viel Grün, es ist friedlich, wir leben im Wohlstand. Das alles soll aber nicht zum exklusiven Gut der Reichen werden. Aber die Liegenschaftsbesitzer:innen werden nicht freiwillig für eine Durchmischung sorgen, also müssen wir sie zwingen. 

Wer ist Schuld an dieser Misere des knappen Wohnraums und der steigenden Mieten?

Das ist nicht so einfach… Jahrelang gab es keine Investitionsalternative, weil die Börse nach der Finanzkrise nicht funktioniert hat. Wer also nicht wollte, dass das Geld weniger wird, steckte es in etwas, das keinen Wert verliert: in Beton. Ich kann schon nachvollziehen, dass auch Pensionskassen ihr Kapital vermehren und Renten auszahlen wollen. Das macht alles Sinn. Aber irgendwo braucht es eine Grenze, Wohnen ist ein Grundrecht, die Bodenpreise dürfen nicht ins Unermessliche steigen. 

Schuld ist also die grenzenlose Renditegeilheit – und wer soll es nun lösen?

Von Immobilienfachleuten habe ich mehrfach gehört, dass sei nicht ihr Problem, die Politik müsse Lösungen bringen. In der Stadt Zürich wollen ja alle etwas ändern – die Bevölkerung und auch die Politik. Aber der Kanton und der Bund bremsen uns aus. Das mit der Demokratie ist nicht immer einfach, wenn die höheren Ebenen uns in der Stadt überstimmen. 

Es liegen aber diverse Vorschläge auf dem Tisch, was gegen die Wohnungsnot zu tun sei: Vorkaufsrecht, Wohnraumfonds, Verdichtung, Drittelsziel und so weiter. Was nützt Ihrer Meinung nach?

Nichts davon bringt wirklich etwas, weil nichts davon die Spielregeln ändert. Die Stadt müsste viel mehr Boden besitzen, doch sie wird nie so viel davon kaufen können, dass es wirklich einen Unterschied macht. Damit hätten wir vor hundert Jahren anfangen müssen, nun ist der Zug abgefahren. Aufgeben ist keine Option, aber man muss viel grösser denken! Es ist wie bei der Klimakrise: Freiwillig ändert die Wirtschaft nichts, wir müssen sie zwingen – und dass der Markt die Situation richten wird, glaube ich nicht, dazu ist Boden ein zu knappes Gut in den Schweizer Ballungszentren.

Mit Ihrem Newsletter «Immomailing» vermitteln Sie Wohnungen und sind damit am Puls von zehntausenden Wohnungssuchenden. Wie macht sich da die Krise bemerkbar?

Die Anzahl der Inserate hat in den letzten Monaten abgenommen – nicht nur bei mir, das beobachte ich auch bei den anderen Portalen. Bisher habe ich immer gesagt, die tiefe Leerwohnungsziffer sei nicht relevant, weil die Leute trotzdem umziehen, aber die Wohnungen nicht lange leer stehen. Aber ich vermute, dass das nicht mehr so ist. Es wird viel weniger umgezogen, womit auch weniger Objekte auf den Mark kommen. Es zeigt sich: Die Mieten werden höher und die neu erstellten Wohnungen sind tendenziell kleiner, was für viele Familien problematisch ist. 

Was sagt Ihr Seismograph sonst noch?

Der Preis ist ausschlaggebend: Bei Wohnungen für rund 2000 Franken ist der Ansturm ex­trem. Natürlich ist auch die Lage und die Grösse wichtig, aber relevant ist die Höhe der Miete. Andererseits gibt es schon Leute, die nur in den Kreisen 1 bis 8 leben wollen, aber bei denen ist der Druck offenbar noch nicht so gross. Kürzlich hatte ich an einem Tag zwei fast identische Wohnungen ausgeschrieben: die eine im Kreis 6, die andere in Stettbach. Jene im Kreis 6 hatte dreimal so viele Bewerbungen! Bis vor einigen Jahren hat es geheissen, die Wohnungsnot beschränke sich auf die begehrten Stadtkreise, doch das hat sich definitiv geändert, der Druck auf die zentrumsnahen Kreise ist aber nach wie vor grösser. 

Was raten Sie jenen, die derzeit eine Wohnung suchen?

Wer sich für eine Besichtigung anmeldet, sollte unbedingt etwas Persönliches preisgeben. Wer nichts hinschreibt, fliegt häufig direkt raus, das höre ich immer wieder. Was offenbar noch immer häufig vorkommt, ist, dass unvollständige Bewerbungsdossiers eingereicht werden. Eigentlich zwei Basic-Tipps, die aber häufig nicht beachtet werden. 

Und wenn das alles nichts nützt, was raten Sie dann für die Wohnungssuche? 

Den Radius vergrössern, aus der Stadt raus, in die Peripherie – das sage ich seit Jahren. Auch wenn es schrecklich ist, statistisch erhöht es die Erfolgschancen. Einfacher wird es in naher Zukunft sicher nicht, die Abozahlen meines Newsletters nehmen ständig zu, aber leider kommen nicht annähernd gleich viel mehr Wohnungen auf den Markt, wie es mehr Suchende gibt. Ich bin gespannt, welche Lösungsvorschläge bis zu den Wahlen noch auftauchen werden. 

Dieser Artikel, die Honorare und Löhne unserer MitarbeiterInnen, unsere IT-Infrastruktur, Recherchen und andere Investitionen kosten viel Geld. Unterstützen Sie die Arbeit des P.S mit einem Abo oder einer Spende – bequem via Twint oder Kreditkarte.