- Politeratour
Hoffnungslos in eine(r) «Arschlochgesellschaft»?
Der erste Jahreswechsel in meinem neunten Lebensjahrzehnt. Es fiel schwerer denn je, eine passende Formel für die üblichen Wünsche zu finden, jedenfalls mit Blick auf die Welt. Wenigstens ein weniger schlechtes neues Jahr? Dabei war ich bestens vorbereitet, hatte einiges über Hoffnungslosigkeit und deren Überwindung gelesen. Sie scheint ja derzeit nicht nur bei mir eine zentrale Frage zu sein.
Heilkraft aus der Resignation
Beim ersten Buch kam zwar die Hoffnung im Titel nicht vor. Aber die darin präsentierten Texte von Claus Eurich seien «kleine philosophisch-spirituelle Perlen», welche Zuversicht schenken und aus lähmender Resignation befreien könnten. In einem Zwischentitel wird sogar «die heilende Kraft der Resignation» beschworen. Ist das nicht nahezu zynisch? Ich wusste, dass der Autor seit Längerem esoterische Wege beschreitet. Um zu sehen, wohin ihn die führten, konnte ich der Einladung in den «Zwischenraum» nicht widerstehen. Denn der damalige Professor für Kommunikation und Ethik am Dortmunder Journalistik-Institut hat mich vor Jahrzehnten mit mehreren Publikationen stark beeinflusst. «Das verkabelte Leben. Wem schaden und wem nützen die Neuen Medien?» erschien 1980 in der einst vielbeachteten Politreihe «rororo aktuell». Dort folgten «30 Jahre Fernsehalltag. Wie das Fernsehen unser Leben verändert hat» und «Computerkinder. Wie die Computerwelt das Kindsein zerstört.» Tendenziell werde durch diese unser Denken «strukturiert, formalisiert, vereinheitlicht und entmenschlicht», hatte ich dort gleich doppelt markiert. Die vorletzte Kapitelüberschrift war «Computer überall», und «Umkehr ist nötig, die Chance gering», lautete die letzte.
Auch ein Buch, in dem er zum Widerstand gegen «Die Megamaschine» aufrief, fand sich im Regal. Es wurde von Robert Jungk gelobt, weil Eurich da «viele Einzelheiten zu einem erschütternden Gesamtbild» zusammenbringe; nein, «keine apokalyptische Vision», nein, unsere Wirklichkeit jetzt sei der Horror, steht da noch. 1988! Promoviert hatte der Autor, dem sich nun mit Seitenblick auf militärische Komponenten der technischen Hochrüstung auch die Frage eines Widerstandsrechts aufdrängte, gut ein Jahrzehnt davor «mit einer Arbeit über Politische Meinungsführer», seine Habilitationsschrift betraf «Kommunikative Partizipation». Als ich in den 1990er-Jahren vernahm, dass Eurich nun einen Orden gründen wolle, verwunderte mich das zwar sehr. Doch was er «mit einer Handvoll nachdenklicher Christen» anstrebte, klang plausibel. Grundanliegen sei, «auf die Individualisierung der Zeit eine gemeinschaftliche Antwort zu finden» – Antwort auf die destruktiven Tendenzen der Haben-Kultur, der Orientierung an Konsum, Karriere, Technologie und Moden.
Wertkonservatives ist mir nicht fremd. Aber die jetzt im «Zwischenraum» versammelte lose Prosa mit lyrischen Elementen macht es oft schwer, zwischen meditativen Floskeln das verbliebene Engagement zu entdecken. Es ist da, die Grundhaltung bleibt klar. Auffallend oft wird Albert Schweitzer zitiert: Ehrfurcht vor dem Leben! Dies sei «bzw. müsste die Basis sein für eine Welt, in der sich solidarisches und liebendes Miteinandersein nicht länger auf Zwischenmenschlichkeit beschränken». Auch wenn wenig, ja nichts dafür spreche, «dass die Menschheit insgesamt» diesen «evolutionären Schritt» schafft, bleibt die Aufforderung, das Mögliche in diese Richtung zu tun. «Um der Liebe und nicht zuletzt der Selbstachtung willen.» Danach ist bald von der «Wahrheit des Seins» die Rede, die wie «fliessendes Licht» daherkommt. Das liesse sich vielleicht überlesen, auch «das Wesen der Schöpfung» und «das Kleid von Mutter Erde». Doch «die Gewissheit, dass die Zisternen nackter Existenz sich wieder füllen werden», war mir endgültig zu verblasen. Und ist leider nur ein Beispiel von vielen.
Marxistisch und anders gläubig
Auf andere Weise gläubig wirken zwei Zeitgenossen, die in der Coronazeit ein paar Briefe wechselten und diese nun mit mehr oder minder Passendem aus ihrer publizistischen Tätigkeit veröffentlicht haben. «Hoffnung durch Gespräche mit einem Hoffnungslosen» ist das Vorwort des schmalen Bändchens überschrieben. Weil mir beide Autoren aus der Zeitschrift ‹Das Argument› vertraut waren, erwartete ich die Fortführung der dort häufigen christlich-marxistischen Dialoge gespannt. «Du hast die Hoffnung verloren?!», fragt der oft knallhart kommunistisch klingende Klaus Weber zurück, nachdem der deutlich ältere Dick Boer offen gestand, dass sein Vertrauen in eine «bessere Zukunft» geschwunden sei. «es ist zeit, abschied zu nehmen / von einer welt / in der menschen einander finden würden», stand 2022 in seinem Jahresschluss-Vers. «wir hatten die chance / war die erde nicht gut geschaffen?» Was der einst in der DDR lebende und bei den niederländischen ‹Christen für Sozialismus› aktive Theologe da schrieb, konnte der Psychologiedozent aus München so nicht stehen lassen. Boer habe doch in einem früheren Text selber festgestellt, dass der Kapitalismus «sich zu Tode gesiegt» habe, und zudem gelte auch in schwieriger Zeit «noch die Pflicht (Kant hatte recht!), solidarisch zu sein». Da dürften Linke nicht einfach feige verzweifeln. Ergänzend belegt Weber sein intensives praktisch-soziales Tun.
Während solche Kernfragen eindringlich, ja berührend erörtert werden, schleicht sich bei Letzterem in den folgenden Abschweifungen auch linke Rechthaberei ein. Boer bestätigt, dass natürlich niemand wissen könne, was «das Ende der Geschichte» sein werde, und dass «die Verantwortung für die Menschen, die hier und heute verloren zu gehen drohen», bestehen bleibe. Wertvoll war der Hinweis auf das «Historisch-kritische Wörterbuch des Marxismus» (HKWM), an dem beide mitwirken. Da sind im 2004 gedruckten Teilband «Hegemonie bis Imperialismus» sowohl zum Stichwort «Hoffnung» wie zu «Hoffnungslosigkeit» grosse Beiträge zu finden. Die las ich mit Gewinn, sie brachten sogar mehr als das eine oder andere hier rezensierte Bändchen. Ob das zu Beginn der 1990er-Jahre gestartete HKWM-Mammutwerk, dessen jüngster, 2024 gedruckter Band von «Mitleid bis Nazismus» reicht, jemals zum geplanten Schluss mit «Vertrag bis Zynismus» kommt? Wolfgang Fritz Haug, als Mitherausgeber seit Beginn auch für ‹Das Argument› verantwortlich, gab jedenfalls dem Buchprojekt die Priorität. Die von ihm 1959 gegründete Zeitschrift erschien 2023 im leider wohl letzten Jahrgang. Für mich hatten die ursprünglich vorab gegen nukleare Aufrüstung agierenden Hefte zum ersten politischen Lesestoff gehört. Ja, für unsere Generation war schon die Verwüstung zweier japanischer Städte durch bei Ende des Zweiten Weltkriegs quasi getestete Atomwaffen ein Zeichen eines denkbaren Weltendes.
Möglichkeits(t)räume sichern
Philipp Blom, geboren 1970, bekam das Gefühl der atomaren Bedrohung und auch das «Waldsterben» durch Gespräche seiner Eltern mit. «Es war nicht einfach für ein Kind, an ihnen vorbei in so etwas wie eine positive Zukunft zu sehen», schreibt er im Essay über «Hoffnung». Den besorgte ich mir nach einem SRF-‹Tagesgespräch› mit dem Philosophen, das anregend und vielversprechend war. Zentral waren da Möglichkeitsräume, die es zu erhalten und erweitern gelte. Das klang klug, sehr vernünftig. In der Einleitung schildert er den Anstoss zum Schreiben: Nach den vielen Vorträgen, in denen er über die Klimakrise, das Artensterben und die vermutete Bedeutung künstlicher Intelligenz «für die Zukunft von Demokratien und liberalen Gesellschaften» gesprochen habe, sei er immer wieder gefragt worden, ob es in diesem Umfeld denn überhaupt noch Gründe für Zuversicht gebe. Ein junger Mann, den er im Text dann in Briefform direkt anspricht, habe sich nicht mit seinen knappen Sätzen zwischen Tür und Angel, also mit «Plattitüden», zufrieden gegeben, mit «freundlicher Beharrlichkeit» um ernsthafte Antworten gebeten und ihm dafür die E-Mail-Adresse hinterlassen.
Im ersten Anlauf räumt Blom ein, dass die drei oben benannten «apokalyptischen Reiter» reichlich Grund zur Sorge böten. «Du hast ganz Recht, wenn du Angst hast.» Zwar würden zu den alarmierenden Vorhersagen auch vielerlei Vorschläge geliefert, wie all das Unheil abzuwenden wäre. Doch wer trifft die Entscheidungen? Was ist, wenn diese falsch sind? «Die letzten beiden Jahrhunderte haben uns gezeigt, dass schlecht investierte, dumme Hoffnungen zu Katastrophen führen.» Das bleibt die beim Einstieg dominante Aussage, obwohl weniger düstere Zeilen folgen. Der gefragte Schreiber, viel unterwegs, nimmt neue Anläufe, schreibt im Zug, oder in einem Hotelzimmer. «Grüsse aus Bogotá.» Da war’s wohl ein Flug. Aber das ist nicht Thema. «Müllsammler im Morgengrauen» ist der Titel dieses Kapitels. Selbst für sie – «vierzigtausend», die jeden Tag losziehen, um unter den Resten des Wohlstandes noch Verwertbares zu finden – sei die Stadt kein trostloser Ort. Und ihn faszinieren die Künstlerinnen und Künstler, mit denen er eine Ausstellung vorbereitet, weil sie «vor dem Hintergrund dieses Grauens» nicht aufgeben, Emotionen eine Form geben, «als Anklage, als Zeugenschaft oder als Vision». Weitere starke persönliche Erfahrungen, dann wieder grundsätzliche Erwägungen folgen. Es geht um Orientierungspunkte, welche sich ständig verschieben, um politische Allianzen, frische Impulse von aussen, Druck von unten. Manchmal wirkt sein Stil allzu väterlich wissend. Nietzsche, Arendt, Bloch, Harari … Nur auf die zu Beginn gestellte Frage gibt er eigentlich nie eine Antwort. Bleibt er uns damit etwas schuldig? «Es ist nicht mein Anliegen, Hoffnung zu machen, sondern eine andere Art des Denkens zu kultivieren.»
Mitten im Kollaps solidarisch
Tadzio Müller hat mein Interesse für seine sehr eigene Art, mit dem Schwinden von Hoffnung umzugehen, in einem WOZ-Interview geweckt. Dort stach der auf Anhieb nur rüde provozierenden Begriff der «Arschlochgesellschaft» ins Auge. Gemeint ist damit eine rasant erstarkende Strömung, die der relativ junge, aber politisch erfahrene Autor heute für bedrohlicher hält als alle ökologischen und ökonomischen Krisen zusammen. Lange schien ihm wie vielen das Hauptproblem zu sein, dass eine Mehrheit der Menschen die sich den Kipppunkten nähernden Entwicklungen nicht sahen oder nicht sehen wollten, sie verdrängten, sich daran gewöhnten und auf irgendwelche Wunder hofften. Nun beginnen jedoch unterschiedliche, medial vereinte Minderheiten auf die nicht mehr zu leugnenden Bedrohungen und dagegen ergriffene Massnahmen zu reagieren: veränderungsunwillig oder veränderungsmüde, reaktionär und aggressiv. Dass unser gewohnt privilegierter Lebensstil immer mehr wenig Gesicherte und künftige Generationen existenziell bedroht? «Mir doch egal!» Noch wagten nur wenige auf ein «Sollen andere für meinen Wohlstand sterben?» laut «Jawollja!» zu sagen. Durch das lärmende ‹America First› wurde indessen Nationalismus weltweit wieder modisch. Donald Trump, der damit protzte, dass er mitten auf der Fifth Avenue einen Menschen erschiessen könnte, ohne dass ihm sein Gefolge das übel nähme, wird wieder als Präsident einer Weltmacht gefeiert. Zwar kam diese Pointe für das Buch zu spät. Sie, die politische Entwicklung in Österreich, vielleicht bald auch im eigenen Land bestätigen jedoch den Trend, geben Müllers dringlichem Aufruf zum antifaschistischen Kampf zusätzliches Gewicht.
Faschismus? Eine heikle Bezeichnung. Ende des Monats ist der Holocaust-Gedenktag angesagt. Es wird zum 80. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau wieder Berichte mit Zeugnissen der bald letzten lebenden Überlebenden geben. Ein weiterer Anstoss, sich mit derartigen Vergleichen sowie den Dimensionen der neuen Bedrohung auseinanderzusetzen. Kampf, gar faschistische und antifaschistische Gewalt? Das klingt nicht nach Hoffnung. Sie steht ja auch nicht im Titel dieses herausfordernden Pamphlets, ist auf dem Cover nur in der Unterzeile angedeutet, wird erst im Werbetext auf der Rückseite zentral: «Inmitten von Klimakatastrophe, Rechtsruck und Hoffnungslosigkeit» erzähle der bekannte Klimaaktivist, wie er «durch die Akzeptanz der Unausweichlichkeit des Klimakollapses aus seiner Klimadepression zurück zur Bewegung» und damit neue Hoffnung gefunden habe. Mit gutem Grund reihte der Verlag die teils auf Tagebuchnotizen und aktuell verfassten Analysen basierende Schrift in seine anspruchsvolle Serie ‹kritik & utopie› ein. Nebst der Prägung des Politikwissenschaftlers beim globalisierungskritischen Aufbruch um die Jahrtausendwende wird auch sein Studium spürbar. Promoviert hat er in Brighton, fünf Jahre lebte er in Grossbritannien. 2009 wurde er in Kopenhagen im Umfeld des dort abgehaltenen Klimagipfels verhaftet, weil er mit Naomi Klein zu Widerstand mit «offensiver Gewaltfreiheit» aufrief. Seitdem setzt er sich an wechselnden «bewegten» Orten und in diversen solidarischen Gemeinschaften für einen grundlegenden Wandel ein und gedanklich mit Grenzen des politischen Handelns auseinander. Abstürze, Gefühle des Scheiterns, privates Versagen legt er oft über die Schmerzgrenze hinaus offen. Es trägt zum Verständnis und zur Glaubwürdigkeit bei.
Auch zu diesem Buchhinweis eine eigene Reminiszenz: Warum empfand ich beim Lesen trotz aller Distanz so viel Nähe zu Müller? Er situiert sich einmal als «queerer Kommunist», also ziemlich im Abseits. Die ersten Grünen oder grünen Roten waren bei uns in der Zeit seiner Kindheit etwa gleich exotisch und entsprechend exponiert. Ich habe den rotgrün kolorierten Kleber noch, auf dem einer von uns symbolisch am schwarzen Baum baumelt. «Hängt die Grünen! Solange es noch Bäume gibt!» Den löste ich mit Sorgfalt von meinem Briefkasten. Das hingeschmierte «Steiger, du Arschloch» blieb im Kopf. Und an vielen Heckscheiben prangte eine zynische Parole: «Mein Auto fährt auch ohne Wald.» Michael Dreher, der unsereins an die Wand stellen wollte «und mit dem Flammenwerfer drüber», zog mit seiner in Zürich gegründeten ‹Autopartei› in den Nationalrat ein. Später nannte sie sich ‹Freiheits-Partei der Schweiz›, von den Mitgliedern wurden schliesslich die meisten in der SVP heimisch. An all das wurde ich durch die verstörenden Erlebnisse und akuten Befürchtungen des mit der «letzten Generation» auch bei Strassensperren präsenten Klimaschützers erinnert. Das, was uns damals entgegenkam, hätten wir wohl kaum Faschismus zu nennen gewagt. Aber irgendwie spürten wir ihn als kalten Hauch.
Sozialökologisch, radikalglobal
Doch kann und soll der erste Rezensionsessay im neuen Jahr mit dem harten Blick auf faschistische Tendenzen einer Arschlochgesellschaft enden? Am letzten der ruhigen Tage «zwischen den Jahren» zog ich endlich jenen roten Softcover-Band aus dem Stapel, den mir Ende 2022 ein alter Bekannter und P.S.-Leser gleich nach Erscheinen zugeschickt und ans Herz gelegt hat: «Globale Solidarität.» Ja, genau das wäre, was die Welt braucht. «Wie wir die imperiale Lebensweise überwinden und die sozial-ökologische Transformation umsetzen.» Gefiel mir der Untertitel nicht? Zu selbstsicher im Ton? Spät, aber nicht zu spät für eine Empfehlung begann ich zu lesen. Veraltet ist diese Ermutigung im zähen Ringen um das Jahrhundertprojekt nicht. Ganz im Gegenteil. Der erste Satz – ein Zitat – gilt mehr denn je: «Wir haben nicht mehr viel Zeit.» Rudi Dutschke, 1968. In dessen Sicht habe es bereits in jener Phase «eine unmittelbare revolutionäre Dringlichkeit» gegeben, die Gesellschaft zu verändern.
Die nun offensichtliche Vielfachkrise, findet Alexander Behr, erfordere dies erst recht. Wobei er verbrauchte, zu oft missbrauchte Begriffe wie «revolutionär» meist meidet. Doch radikal muss die Transformation sein, wenn solidarisches Handeln gelingen soll. Da hält es der Autor mit Jean Ziegler: Entweder wir zerstören den Kapitalismus oder er zerstört uns. Sozialismus? Eine lange, schwierige Geschichte voller Scheitern. Sozialdemokratie? Die «wurde vom kapitalistischen System kooptiert und ging in ihm auf». Schon einmal sei sie zudem nationalistisch geworden, habe «zunehmend darauf verzichtet, ein inter- oder besser antinationalistisches Bewusstsein von Solidarität zu fördern und zu entwickeln». Damit stolperte die SPD in den Ersten Weltkrieg. Und mit Blick auf die Gegenwart klagte der österreichische Autor vor nun zwei Jahren die SPÖ als «Betoniererpartei» an, die bei Umwelt- und Klimafragen nicht selten «auf der anderen Seite der Barrikaden» gestanden habe. Zumindest bei dieser Thematik wäre sein Urteil über die SP Schweiz wohl weniger hart. Immerhin hält die nach dem Nein zum Autobahnausbau, allen trüben Umfragen zum Trotz, auch an der Ja-Parole zur von den Jungen Grünen lancierten Umweltverantwortungsinitiative fest. Eine zweite Konzernverantwortungsinitiative ist gestartet.
Wie lang mag dies dauern?
Behr bezieht bei seinen Überlegungen auch absehbar kommende Konflikte, insbesondere die Armuts- und Klimaemigration bei sich verschärfenden Gegensätzen, immer mit ein. Dass aus der jungen Klimabewegung, in deren Blütezeit er seine Arbeit an diesem Buch begann, eine von Beginn an global orientierte Klimagerechtigkeitsbewegung wurde, liess frische Hoffnungen zu. Doch um zu wirken, müsste der Druck, den soziale Bewegungen aufbauen, «in ein institutionelles Gefüge» gegossen werden. Nicht nur die deutsche Ampel-Koalition sorgte da für Ernüchterung. Es gab den Dämpfer durch Corona, auch das harte Frontex-Abschottungsregime der EU, die Rufe nach Abschiebung von Asylsuchenden waren bereits lauter geworden, der russische Krieg gegen die Ukraine hatte begonnen. Von der Wucht der eigentlich durch eine einzelne junge Frau wundersam ausgelösten Welle blieb zumindest oberflächlich gesehen wenig. Das gehört zu einer redlichen Zwischenbilanz. «Für unsere Arbeit brauchen wir einen langen Atem und mutige Hartnäckigkeit.» Egal, wie die Dinge am Ende ausgehen.
«Longo maï» ist okzitanisch, bedeutet «Es möge lange dauern», und ist der Name eines Netzwerks ländlicher Arbeits- und Lebensgemeinschaften, das seit 1973 besteht. Mit ihm war und ist der Autor verbunden. Schon bei dessen Gründung hatten die linksrebellischen Jugendlichen aus Basel und Wien konsequent Lokales und Globales verknüpft, später mit gesammelten Spendengeldern stets auch Ausgebeutete und Vertriebene unterstützt. Es gab Chaos und Kontinuität, städtische Subkultur wurde mit bäurischer Tradition gemixt. Eine nie wirklich breite Bewegung. Aber nach wie vor präsent. Sie und viele andere, alte, jüngere, kommende Gemeinschaften lassen keine Hoffnungslosigkeit zu.
Bibliographie
Claus Eurich: Im Zwischenraum. Reflexionen für ein erfülltes Leben. Claudius Verlag, München 2024, 253 Seiten, ca. 33.50 Franken.
Dick Boer / Klaus Weber: Hoffen gegen jede Hoffnung. Krieg, Klima, Kapitalismus. Ein Briefwechsel. Argument Verlag, Hamburg 2024, 135 Seiten, ca. 25.90 Franken.
Philipp Blom: Hoffnung. Über ein kluges Verhältnis zur Welt. Hanser Verlag, München 2024, 182 Seiten, ca. 30.50 Franken.
Tadzio Müller: Zwischen friedlicher Sabotage und Kollaps. Wie ich lernte, die Zukunft wieder zu lieben. Mandelbaum, Wien 2024, 316 Seiten, ca. 27.90 Franken.
Alexander Behr: Globale Solidarität. Wie wir die imperiale Lebensweise überwinden und die sozial-ökologische Transformation umsetzen. Oekom, München 2022, 277 Seiten, ca. 28.90 Franken.