Hinzutun? Wegnehmen!

Der am Montag veröffentlichte Bericht des Weltklimarats IPCC zeigt, dass die Auswirkungen der Klimakrise für Millionen von Menschen bereits heute katastrophal sind und dass wir dringend handeln müssen. Der Klimastreik Schweiz verschickte eine Medienmitteilung dazu: «IPCC: Wie viele Berichte braucht ihr noch?»

 

Ebenfalls am Montag hat die Frühjahrssession des eidgenössischen Parlaments begonnen. Am Mittwoch und Donnerstag standen die Gletscher-Initiative und der direkte Gegenentwurf dazu im Nationalrat auf dem Programm. Im Vorfeld hatte dessen Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie (UREK) mit 14 zu 9 Stimmen bei zwei Enthaltungen beschlossen, die Gletscher-Initiative zur Ablehnung zu empfehlen (siehe P.S. vom 25. Februar). Dies, obwohl die Kommission das Ziel der Initiative, Netto-Null bis 2050, teilt.
Doch die Initiative geht der Kommissionsmehrheit zu weit: In Absatz 2 heisst es beispielsweise, «soweit in der Schweiz weiterhin vom Menschen verursachte Treibhausgasemissionen anfallen, muss deren Wirkung auf das Klima spätestens ab 2050 durch sichere Treibhausgassenken dauerhaft ausgeglichen werden». Noch konkreter wirds in Absatz 3: «Ab 2050 werden in der Schweiz keine fossilen Brenn- und Treibstoffe mehr in Verkehr gebracht. Ausnahmen sind zulässig für technisch nicht substituierbare Anwendungen, soweit sichere Treibhausgassenken im Inland die dadurch verursachte Klimawirkung dauerhaft ausgleichen.» Und zu den Übergangsbestimmungen soll gehören, dass das Gesetz den Absenkpfad für die Treibhausgasemissionen bis 2050 festlegt und Zwischenziele benennt, die «mindestens zu einer linearen Absenkung führen».

 

Eine Volksinitiative, die angeblich «zu weit» geht: Das ist hierzulande bekanntlich eher der Normalfall als die Ausnahme. Es ist auch das gebräuchlichste Argument der Bürgerlichen, wenn sie eine Idee oder ein Vorhaben der Linken verhindern wollen, und wie wir ebenfalls zur Genüge wissen, gelingt ihnen das leider nur allzu oft. Doch was genau ist wohl dieses Mal damit gemeint? Der Journalist und Buchautor Marcel Hänggi vom Verein hinter der Initiative, dem Verein Klimaschutz Schweiz, hat den «erläuternden Bericht der Initiantinnen und Initianten zur Volksinitiative für ein gesundes Klima (Gletscher-Initiative)» verfasst. Ihn zu lesen, lohnt sich: «So komplex das Problem der globalen Erwärmung ist: Seine Lösung ist im Kern entwaffnend einfach. Es geht darum, keine anthropogenen Treibhausgase mehr in die Atmosphäre zu entlassen. Und das heisst in erster Linie: keinen fossilen Kohlenstoff mehr zu verbrennen. Das Zeitalter der fossilen Energie (Kohle, Erdöl, Erdgas) muss enden; der Kohlenstoff muss bleiben, wo er ist: im Boden.»

 

Es ist also ganz einfach: Ist es das? «Eigentlich ist alles gut», schreibt Marcel Hänggi: «Am 12. Dezember 2015 verabschiedete die Klimakonferenz der Vereinten Nationen das Pariser Übereinkommen. Sein Ziel: Die globale Erwärmung wird auf ‹deutlich unter 2 Grad› gegenüber vorindustriellem Niveau begrenzt und es werden ‹Anstrengungen unternommen, die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen›. Die ‹entwickelten Staaten› (also auch die Schweiz) müssen ‹vorangehen›.» Und der Haken daran? «Aber man rettet die Welt nicht, indem man beschliesst, sie dürfe nicht untergehen. Jetzt ist es an den Staaten, umzusetzen, was sie in Paris ausgehandelt haben. Die Schweiz ist diesbezüglich nicht auf Kurs», schreibt Marcel Hänggi. Die Gletscher-Initiative fordert denn auch «nichts, wozu sich die Schweiz nicht bereits verpflichtet hat».

 

Und um zu erreichen, was bereits beschlossene Sache ist, braucht es tatsächlich nicht noch mehr Berichte, Grafiken, Tabellen. In der ‹NZZ am Sonntag› vom 27. Februar fasst Marcel Hänggi es so zusammen: «Damit die Treibhausgasemissionen auf null fallen, muss die Energieproduktion aus Öl, Gas und Kohle ersetzt werden. Wenn man etwas durch etwas anderes ersetzen will, muss man das eine weglassen und das andere hinzutun. In der gegenwärtigen Energiedebatte ist fast nur vom Hinzutun die Rede, und es kann nicht genug sein: Wasserkraftanlagen in Naturschutzgebieten, neue Atomkraftwerke, ‹klimaneutral› betriebene Gaskraftwerke. Doch damit zäumt man das Pferd am Schwanz auf. Denn für das Klima relevant ist nur das Wegnehmen. Wenn man nur hinzutut, aber nichts wegnimmt, hat man am Ende einfach beides.»

 

Grundlegend, schreibt Marcel Hänggi im Bericht zur Gletscher-Initiative weiter, gibt es «drei Wege, den Verbrauch einer Ressource zu reduzieren: Man kann dasselbe tun mit weniger (Effizienz), dasselbe tun mit anderem (Konsistenz / Substitution) oder weniger tun (Suffizienz)». Es werde «eine Kombination der drei Wege brauchen»: «Die sogenannte Suffizienz wird häufig mit ‹Verzicht› gleichgesetzt und ist politisch unbeliebt. Suffizienz lässt sich aber als eine Form der Effizienz auf systemischer Ebene verstehen: Im herkömmlichen Sinne bedeutet Effizienz beispielsweise, mit möglichst wenig Energie möglichst viele Kilometer zurückzulegen. Auf einer systemischen Ebene bedeutet Effizienz – oder eben ‹Suffizienz› –, mit möglichst wenigen Kilometern möglichst viele Mobilitätsbedürfnisse zu erfüllen.»
Womit wir beispielsweise bei der «Stadt der kurzen Wege» wären, zu der Rot-Grün die Stadt Zürich gern umbauen möchte und womit sie die bürgerlichen Autofans und ParkplatzfetischistInnen regelmässig auf die Palme bringt (die ja, zumindest in Form der «Tessinerpalme» und als Folge des Klimawandels, hierzulande bereits wächst und gedeiht …). Wobei unsere Autofreund­Innen wahrscheinlich etwas anderes nervt: Wenn wir nicht das Gefühl haben, dass uns etwas fehlt, weil wir in Gehdistanz alles Nötige finden, dann vermissen wir weder das Auto noch kommen auf die Idee, der ‹böse Bundesrat› oder wer auch immer habe uns befohlen, auf das Auto zu verzichten. Und wem gibt man dann die Schuld dafür, dass die Welt einfach ohne Autos weiterläuft – und das, ohne unterzugehen?

 

Doch keine Angst, wir leben immer noch in der Schweiz, bei uns geht alles seinen gewohnten Gang: Der Nationalrat lehnt die Gletscher-Initiative ab. Er unterstützt aber immerhin den direkten Gegenvorschlag des Bundesrats, in den auch der Absenkpfad übernommen wurde.
Und aufs sofortige Handeln verzichten muss zum Glück sowieso niemand: Wer das Auto stehen lassen und ein Solarpanel auf sein Hausdach montieren will, der kann das jederzeit machen. Es ist ganz einfach: Man muss es nur tun.

 

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