- Im Gespräch
Hier ziehen, dort stossen
Vor fünf Jahren kam es in der reformierten Kirche Zürich zwischen den beiden Kirchenpfleger:innen Res Peter und Annelies Hegnauer zur Kampfwahl ums Präsidium der Kirchenpflege. Im Streitgespräch der beiden mit dem P.S. vom 24. Januar 2020 kam auch das Label für kirchliches Umweltmanagement zur Sprache, der «Grüne Güggel». Annelies Hegnauer sagte unter anderem, «der ‹Grüne Güggel› ist ein Label, das geht mir zuwenig weit. Ich möchte die Haltung der Menschen verändern, aber nicht ausschliesslich über ein Label oder über Gesetze, sondern über Bewusstseinsbildung». Res Peter entgegnete, Annelies Hegnauers Aussage zeuge «von Unverständnis darüber, was der ‹Grüne Güggel› ist». Denn «die Bewusstseinsbildung und die Bedeutung der Basis» machten diesen ja gerade aus, sagte er und klagte: «Ich möchte in meinem Kirchenkreis seit sechs Jahren ‹Güggel›-Projekte durchführen; immer wieder sagt man mir, ‹wir haben keine Zeit, wir haben im Moment anderes zu tun›.» Annelies Hegnauer gewann die Wahl und ist auch heute noch Präsidentin der Kirchenpflege der Kirchgemeinde Zürich. Wie geht es dem Grünen Güggel heute?
Hat die Zürcher Kirchgemeinde dem Grünen Güggel Leben eingehaucht, oder ist er immer noch bloss «ein Label, das zuwenig weit geht»?
Sabine Ziegler: Der Grüne Güggel lebt. Bereits vor drei Jahren sprach die Kirchgemeinde den Güggel-Kredit, und das Geld ist seither im Budget eingestellt. Vor eineinhalb Jahren schuf die Kirche zwei Stellen zur Umsetzung der Umweltziele, die sich die Kirche mit dem Grünen Güggel gesetzt hat, und seither leite ich den Zertifizierungsprozess.
Was will die Kirchgemeinde Zürich mit dem Güggel erreichen?
Zuerst einmal kommen wir damit einer Vorgabe von übergeordneter Stelle nach: Die reformierte Landeskirche hat festgelegt, dass alle Kirchgemeinden bis Ende 2025 den Grünen-Güggel-Prozess mindestens begonnen haben müssen. Daraus sollen konkrete Klimaziele gesetzt und Massnahmen definiert werden. Die Kirchgemeinde Zürich hat die Dekarbonisierung vorgezogen, also die technische Ebene, aber es geht natürlich auch um die damit verbundenen Verhaltensänderungen. Dieser Entscheid der Landeskirche ist fix, da gibt es kein Zurück mehr. Wir in Zürich haben zudem eigene, zusätzliche Ziele.
Inwiefern?
Zum ersten Mal in der Geschichte der Zürcher Reformierten hat ein Komitee die nötigen 1000 Unterschriften von stimmberechtigten Kirchenmitgliedern für eine Volksinitiative gesammelt, die sogenannte Schöpfungsinitiative. Beim Kirchenrat eingereicht wurden im Oktober 2023 sogar 1600 Unterschriften. Die Initiative verlangt, dass die reformierte Landeskirche des Kantons Zürich ihre Treibhausgasemissionen reduziert und bis 2035 das Ziel Netto-Null erreicht. Der Kirchenrat hat unterdessen bestätigt, dass die Initiative zustande gekommen und gültig ist, und er hat im Mai 2024 angekündigt, einen Gegenvorschlag auszuarbeiten. Die reformierte Kirchgemeinde der Stadt Zürich will das Netto-Null-Ziel bis 2035 erreichen.
Und was trägt der Grüne Güggel konkret dazu bei?
Das Umweltmanagementsystem Grüner Güggel zeigt den Kirchgemeinden auf, wo Handlungsbedarf besteht und welche Fortschritte bereits erzielt worden sind. Es basiert auf dem international anerkannten «Eco-Management and Audit Scheme» (Emas) der Europäischen Union und wird extern überprüft. Der Grüne Güggel bezieht zehn Messgrössen mit ein, um die Umweltauswirkungen einer Kirchgemeinde zu dokumentieren. Eine Priorisierung der Themen war wichtig. Daraus haben sich sieben Schwerpunktfelder ergeben samt Messgrössen zu Wärmeenergie und Strom, CO2-Emissionen, Wasser, Abfall, biologischer Vielfalt, Konsum, nachhaltigen Finanzen sowie Arbeitssicherheit. Zu den Messgrössen kommen natürlich die erforderlichen Massnahmen hinzu, wobei sich diese auf die öffentlich zugänglichen Gebäude im Verwaltungsvermögen beschränken. Das sind im Wesentlichen die Kirchen und die Kirchgemeindehäuser. Diese sind ab 2035 fossilfrei zu beheizen, was eine komplexe Aufgabe ist. Ausserhalb des Güggel-Labels kommt dann unter anderem noch die Dekarbonisierung der weiteren Liegenschaften dazu, die sich im Besitz der reformierten Kirchgemeinde Zürich befinden.
Sie müssen herausfinden, wie sich grosse, schlecht isolierte alte Kirchen und weitere kirchliche Energieschleudern am besten umweltfreundlich heizen lassen?
Im Moment bin ich vor allem mit der Bestandesaufnahme beschäftigt, um für den Güggel-Bericht 2026-2030 einen Aktionsplan verfassen zu können. Daraus soll hervorgehen, was es auf welchem Gebiet konkret zu tun gibt. Was die Kirchen betrifft, ist eines jetzt schon klar: Es gibt nicht «die» umweltfreundliche Heizung, die überall passt. Vielmehr gilt es jedes Gebäude einzeln anzuschauen. An einem Standort bietet sich ein Anschluss ans Fernwärmenetz an, an einem anderen eine Wärmepumpe. Der Strom für Letztere sollte, wo immer möglich, erneuerbar sein – die Kirchgemeinde Zürich hat bereits 2024 ihre eigene Photovoltaik-Offensive gestartet.
Besser Heizen, und das wars?
Nein, allein mit Technik, wie dem Heizungsersatz, ist es nicht getan, wie bereits Annelies Hegnauer betont hat. Es braucht auch eine Verhaltensänderung, und zwar von uns allen. Auf das Heizungs-Beispiel angewandt: Selbst mit der modernsten, effizientesten Heizung lässt sich nur dann der maximale Effekt erreichen, wenn die Menschen, die dafür zuständig sind, sie optimal steuern können.
Sie sind auch damit beschäftigt, Hausdienst- und technische Mitarbeiter:innen für neue und unter Umständen kompliziertere Arbeiten und Abläufe zu begeistern?
Ja, wobei im Fall der Kirchgemeinde Zürich erschwerend dazukommt, dass Zürich erst seit Kurzem eine einzige reformierte Kirchgemeinde hat. Zuvor hatte jeder Stadtkreis seine Kirchgemeinde, samt eigener Kirchen, eigener Kirchenpflegen, eigenen Kassen und eigenen Vorstellungen darüber, wie ihre Veranstaltungen gestaltet, ihre Gebäude beheizt und ihre Kirchen verkehrlich erschlossen sein sollten. Wohlbemerkt, die Kirche hat viele engagierte Hauswarte und Sigrist:innen, die sehr clever agieren.
Ziehen nicht alle am selben Strick?
Die Vorstellungen gehen teils auseinander: Für die einen ist Bio-Essen an Kirchenanlässen selbstverständlich, während andere vor allem nicht zu viel Geld für Essen ausgeben wollen. Die einen finden Vegi-Menues normal, andere wollen nichts von fleischloser Kost wissen. Die einen gehen davon aus, dass eine Kirche gut genug erschlossen ist, wenn sich eine öV-Haltestelle in unmittelbarer Nähe befindet, während andere überzeugt sind, dass es immer auch Parkplätze braucht, und so weiter.
Und Sie müssen alle auf Linie bringen?
Ich habe keine «Ideallinie» durchzusetzen. Aber meine Aufgabe besteht nicht zuletzt darin, die in Sachen Nachhaltigkeit schwächeren Kirchen und deren Verantwortliche auf das Niveau der stärkeren zu führen. Wenn die einzelnen Kirchen dereinst alle in der neuen grossen Kirchgemeinde Zürich angekommen sind, wird das nicht mehr nötig sein. Aber zurzeit bin ich noch daran, hier zu ziehen, dort zu stossen und mich darüber zu freuen, wenn sich die einen nicht dagegen wehren und sich die anderen gar mitreissen lassen. Schliesslich werden zwölf Umweltprogramme erstellt werden, die an die lokalen Gegebenheiten angepasst sind.
Was heisst «schwächer» in Verbindung mit dem Grünen Güggel-Ziel?
Es gibt keine einzelne Sache, die erfüllt sein muss, um das Grüner-Güggel-Zertifikat zu erhalten, aber verschiedene Entscheidungen, die diesbezüglich mehr oder weniger bringen. Ein paar Beispiele dazu: Bio-Essen ist gut, aber jeden Tag Fleisch ist selbst dann nicht die beste Idee, wenn es sich um Bio-Fleisch handelt. Seit eh und je verwendete Putzmittel mit problematischen Inhaltsstoffen mögen praktisch sein, und vor allem wissen die Mitarbeiter:innen auswendig, wie sie anzuwenden sind. Sollen sie plötzlich mit anderen Mitteln arbeiten, ist das erst mal mit zusätzlichem Aufwand verbunden. Hier sind Informationen gefragt und gute Begründungen, aber sicher keine Belehrungen. Und Augenmass ist immer gut: Viele kleine Massnahmen zusammen sparen zwar CO2, doch wenn ein Team für eine Massnahme zum jetzigen Zeitpunkt noch gar nicht empfänglich ist, dann geht die Welt nicht unter. Am meisten lässt sich sowieso dann erreichen, wenn die Menschen neugierig werden und sich von sich aus von jenen inspirieren lassen, die bereits einen Schritt weiter sind.
Gebäude heizen, Hauswirtschaft, Essen – was hat der Güggel sonst noch zu bieten?
Der Umbau des Gebäudeparks mit 80 Prozent denkmalgeschützte Flächen ist eine Herausforderung, die jetzt mit ersten Pilotprojekten begleitet wird. Wir sind da mitten in der Lernkurve und sie geht aufwärts. Grossen Wert wird die Kirchgemeinde auf die nachhaltige Beschaffung, die finanzethischen Aspekte mit der Überarbeitung des Anlagereglements und auf die Schöpfungsspiritualität / Bildung legen. Zudem wird das Potenzial der ökologischen Aufwertung der Umgebung ein Fokus schon 2025 werden.
Inwiefern?
Rund um Gebäude im Besitz der Kirche herum hat es zwar viele Grünflächen, doch speziell gut im Hinblick auf die Biodiversität sind nur einige Parks. Das wollen wir ändern und entwickeln deshalb zurzeit eine entsprechende Strategie. Zudem sind viele Flächen ganz oder teilweise versiegelt. Einen grossen Teil davon könnte man einfach entsiegeln lassen, doch auch das dürfte noch zu reden geben. Viele alte Bäume stehen in der Nähe von Kirchen, und diesen Bäumen geht es zum Glück gut und sie werden auch systematisch gepflegt. Doch kleinere Bäume und Sträucher brauchen mehr Pflege, und invasive Neophyten wie etwa Kirschlorbeer müssen weg. Kleinere Parks und Spielplätze sind ein Thema, ebenso wie Massnahmen, um die ökologische Qualität von Grünflächen zu erhöhen. An manchen Orten können wir auch Parkplätze abbauen – oder sie besser nutzen – zum Beispiel, indem wir sie mit Ladesäulen für E-Autos ausstatten und nicht mehr ausschliesslich für Kirchgänger:innen zur Verfügung stellen würden.
Kommen wir zum Schluss: Womit werden Sie 2025 hauptsächlich beschäftigt sein?
Auf dem Weg zum Güggel-Label folgt nach der Bestandesaufnahme und dem Umweltbericht das Umweltprogramm. Es ist das Herzstück des Güggel-Projekts, und damit werde ich mich dieses Jahr vor allem beschäftigen. Als Herzstück benenne ich es insbesondere, weil darin messbare Ziele definiert und Zuständigkeiten festgelegt werden müssen. Das wird nicht immer einfach sein, doch ich bin zuversichtlich, dass es gut kommt – und dass die reformierte Kirchgemeinde Zürich ihr Netto-Null-Ziel bis 2035 erreicht.