Hier bekommen nicht nur die Guten etwas Feines

Eine neu gegründete Genossenschaft will in Gehdistanz zum Parteisekretariat eine SP-Beiz eröffnen. Wie sie sich diese vorstellen, erklären Genossenschaftspräsidentin Ursula Näf und Vorstandsmitglied Michael Bieri im Gespräch mit Nicole Soland.

 

Eine der jüngsten Ausgaben des ‹Magazins› trug den Titel «Nur Idioten eröffnen eine Beiz». Sie wollen es trotzdem wagen – warum?

Ursula Näf: Die Idee ist mir in den Ferien gekommen: Ich war mit FreundInnen zusammen, wir diskutierten – unter anderem auch über die Partei, die wir für einmal aus der Distanz betrachten konnten. Dabei fiel mir auf, dass oft die Rede davon ist, dass die SP ‹näher bei den Leuten› stattfinden müsste, dass wir vermehrt aus den Sitzungszimmern raus gehen und uns eigene Räume schaffen sollten. Das Problem ist nur, dass das jeweils gut tönt, aber damit hat es sich dann auch: Auf solche Worte folgen allzu selten Taten. Das wollte ich ändern und dachte zuerst an einen Kulturbetrieb; doch das Coolste wäre halt schon eine eigene Beiz. Also machte ich mich daran, diese Idee zu verwirklichen.

 

Eine Beiz nur für Parteimitglieder also?

Ursula Näf: Nein, mir schwebt ein Ort vor, der ein Daheim sein soll, in dem sich SP-Mitglieder und Linke generell wohlfühlen, aber der auch für die Quartierbevölkerung interessant ist.

 

Und wie wird am Eingang geprüft, ob man links ist?

Ursula Näf: Gar nicht. Willkommen sind natürlich alle. Aber genau wie es Linke nicht unbedingt in Toni Brunners Beiz zieht, würden sich SVPlerInnen in unserer Beiz wahrscheinlich nicht allzu wohl fühlen.

 

Die neue Genossenschaft will also eine ganz normale Beiz eröffnen, in der sich einfach eher Linke als Rechte treffen sollen?

Ursula Näf: Die Idee ist, einen Ort zu schaffen, an dem die Politik ein anderes Gesicht bekommt, einen Ort, an dem es nicht in erster Linie um die Parlamentsarbeit geht oder um Sitzungen oder die nächste Abstimmung, sondern um das, was die Grundlage der Politik bildet: Sich treffen, diskutieren, nahe bei den Menschen sein und bei dem, was sie umtreibt. Es soll ein Ort sein, der lebt.

Michael Bieri: Wer sich mit Politik beschäftigt, kennt das Phänomen sicher: Die besten Ideen kommen einem selten an der Sitzung, sondern beim anschliessenden Bier.

Ursula Näf: Wir könnten uns aber auch gut vorstellen, nebst unserer Wirtsstube noch einen daran angrenzenden zweiten Raum zu bespielen, in dem beispielsweise Filme gezeigt werden oder in dem auch mal ein Konzert oder eine Lesung stattfinden könnten.

 

Kaum war die Idee der SP-Beiz publik geworden, war in einem Kommentar auf dem Online-Portal des ‹Blicks› zu lesen, in Zürich seien doch sowieso alle links und die Beizen ebenso, es brauche garantiert keine weitere.

Michael Bieri: Der Präsident des Gastgewerbeverbands Zürich heisst nach wie vor Ernst Bachmann und ist SVP-Mitglied. Er hat sich in einem Interview vor den letzten Gemeinderatswahlen dahingehend geäussert, dass es eigentlich schade sei, dass es in Zürich keine linken Wirte gebe… Sein Verband ist denn auch kaum eine Vereinigung von Linken.

Ursula Näf: Es ist jedenfalls nicht so, dass es in Zürich an allen Ecken Wirtschaften gäbe, die es sich auf die Fahne schreiben, sie seien links. Dass viele Linke in Zürich wohnen, ist demgegenüber unbestritten, woraus sich folgern lässt, dass es eine Beiz für Linke braucht, in der man sich treffen und austauschen kann, damit nicht alle allein mit ihrer linken Gesinnung am Tisch sitzen.

 

Was ist mit dem ‹Cooperativo› und dem ‹Certo›? Sind das keine linken Beizen?

Ursula Näf: Vielleicht war es früher anders, aber heute geht man zwar ins ‹Coopi›, aber man kann dort nichts selber gestalten und ist auch nicht nahe bei unserem Publikum.

Michael Bieri: Das ‹Coopi› war einst ein wichtiger Treffpunkt, aber heute ist es gewissermassen eine historische Stätte – man geht wegen der Patina dorthin. Mit dem ‹Volkshaus› ist es ähnlich: Es war früher eine grosse Institution, doch heute ist das Restaurant in erster Linie betriebswirtschaftlich orientiert wie andere Restaurants auch.

Ursula Näf: Das soll im übrigen keineswegs eine Kritik an den genannten Restaurants oder anderen Beizen in der Stadt sein. Aber unsere Idee von einer SP-Beiz wurde mit so viel Begeisterung aufgenommen, dass wir fanden, wir möchten es probieren.

 

So weit, dass man die SP-Beiz auf dem Stadtplan findet, ist es allerdings noch nicht – und gratis ist sie kaum zu haben: Woher kommt eigentlich das Geld für dieses Projekt?

Michael Bieri: Wir müssen als erstes eine Summe in der Grössenordnung von 300- bis 400 000 Franken beschaffen. Soviel kostet geschätzt die Übernahme eines Raumes, der bereits als Restaurant genutzt wurde, beziehungsweise der Umbau und oder die Renovation eines leeren Lokals.

Ursula Näf: Der Parteitag Ende Mai hat uns 120 000 Franken aus dem Legatsfonds zugesagt. Mit der Gründung der Genossenschaft «Wirtschaft zum guten Menschen» starteten wir auch damit, 120 000 Franken über Anteilscheine à 200 Franken zusammenzubringen.

Unser Ziel sind 500 GenossenschafterInnen – wir gehen davon aus, dass einige mehr als einen Anteilschein kaufen und dass somit die angestrebte Summe zusammenkommt. Weitere 120 000 Franken sollen schliesslich mittels Fundraising hereinkommen; um diesen Teil der Mittelbeschaffung kümmert sich unser Vorstandsmitglied Andrea Sprecher.

 

Und die GenossInnen stehen bereits Schlange, um GenossenschafterInnen zu werden?

Ursula Näf: Zwar kann man die Anteilscheine noch nicht zeichnen, weil der Eintrag der Genossenschaft ins Handelsregister noch hängig ist und wir erst dann ein Konto eröffnen können, wenn dieser vorliegt. Doch wir haben bereits von 150 Interessierten die feste Zusage, dass sie Anteilscheine zeichnen werden.

 

Woher wissen jene, die nicht am Parteitag waren, vom Projekt und der Möglichkeit, Anteilscheine zu zeichnen?

Ursula Näf: Wir stellen unser Projekt innerhalb der SP an Anlässen vor, wir gehen in die Sektionen, wir werden zum Beispiel an der Jahres-Delegiertenversammlung der SP Stadt Zürich einen Stand haben und auch sonst jede Gelegenheit ergreifen, um dafür Werbung zu machen.

 

Bis wann muss das Geld beisammen sein?

Ursula Näf: Am liebsten möglichst schnell – das Projekt soll ja nicht etwig in der Schwebe bleiben. Einen konkreten Zeitpunkt haben wir jedoch nicht festgelegt; dafür ist zurzeit einfach noch zu vieles offen.

Michael Bieri: Aber je rascher wir wissen, ob das Geld zusammenkommt, umso eher können wir die Standortfrage klären.

 

Die Gentrifizierung im Kreis 4 schreitet munter voran: Wie realistisch ist es, dort überhaupt ein geeignetes Lokal zu finden, geschweige denn eines, das vom Parteisekretariat aus bequem zu Fuss erreichbar ist?

Michael Bieri: Vielleicht haben wir wahnsinnig Glück und finden ein eingerichtetes Lokal, das wir ablösefrei übernehmen können; dann könnten 120 000 Franken reichen. Da immer mal wieder Beizen Konkurs gehen, ist dies weniger illusorisch, als es im ersten Moment erscheinen mag. Man darf sich einfach nicht zu schade sein, nachzuhaken, wenn etwas einigermassen vielversprechend ausschaut: Wenn einer damit einsteigt, eine Ablösesumme von 300 000 Franken zu verlangen, dann sollte man sich nicht abschrecken lassen, sondern verhandeln. Ansonsten besteht auch die Möglichkeit, einen schönen, aber noch leeren Raum auszubauen; dann könnte es allerdings sein, dass 400 000 Franken nicht reichten.

Ursula Näf: Ohne Geld beziehungsweise ohne die Gewissheit, dass wir es zusammenbringen, können wir schlecht um Lokale mitbieten; auch aus diesem Grund hoffe ich, dass wir die Anteilscheine rasch unter die Leute bringen können.

 

Angenommen, es klappt: Wie genau muss man sich die neue Beiz vorstellen? Gibt es eine reine ‹Biertankstelle›? Oder ein Speiserestaurant?

Michael Bieri: Wir haben ein Konzept geschrieben, doch wie die Beiz dereinst im Detail aussieht, hängt natürlich auch vom Ort ab; je nachdem, was wir finden, werden wir deshalb das Konzept noch anpassen müsssen. Sicher ist aber, dass es kein Speiserestaurant mit aufwendigem Service gibt. Uns schwebt ein linker Stammtisch vor, an dem man zum Bier oder zum Rotwein eine Kleinigkeit essen kann, beispielsweise eine Suppe, einen Schinken-Käse-Toast oder ein Stück Wähe.

Ursula Näf: Gerade wenn man sich nach einer Sitzung noch in der Beiz treffen will, ist man froh um ein solches Angebot. Bier auf leeren Magen vertragen bekanntlich nicht alle gut…

 

Wer von Ihnen steht in der SP-Beiz in der Küche, wer am Tresen? Oder machen beide beides?

Michael Bieri: Weder noch. Ich gebe meine Erfahrung aus vielen Jahren in der Gastronomie gerne während des Aufbaus der neuen Beiz sowie bei der Suche nach einem Geschäftsführer weiter, aber zurück an den Tresen möchte ich nicht mehr; ich habe mich bereits vor einigen Jahren beruflich neu orientiert.

Ursula Näf: Ich habe als Studentin in einer Bar gearbeitet, und diese Arbeit hat mir Spass gemacht. Als Präsidentin der Genossenschaft sehe ich meine Aufgabe aber vor allem darin, im Hintergrund zu wirken. Dazu gehört nicht zuletzt, dereinst ein gutes Team zusammenzustellen, das die Beiz im Sinne der Genossenschaft und damit auch der Partei betreibt – die grosse Mehrheit der GenossenschafterInnen werden SP-Mitglieder sein, weshalb dieser Punkt nicht ganz unwichtig sein dürfte. Es braucht Leute, die Interesse an der Gestaltung dieses politischen Raumes mitbringen und zum Beispiel auch kein Problem damit haben, an einem Abstimmungssonntag oder für andere spezielle politische Anlässe zu öffnen.

Michael Bieri: Zudem sollten sich eigene Ideen verwirklichen lassen; ein eigenes Bier wäre wohl zu hoch gegriffen, aber zum Beispiel eine Sandwich-Eigenkreation oder eine spezielle Suppe sollte es schon geben, finde ich. Und die Beiz sollte eine Terrasse haben, unbedingt.

 

Und einen speziellen Namen offensichtlich auch: Warum musste es ausgerechnet «Wirtschaft zum guten Menschen» sein? Mindestens jene, die gerade aus einer Gemeinderatssitzung kommen, in der die SVP mal wieder die ganze linke Ratsseite als Gutmenschen verhöhnt hat, wollen dort garantiert nicht einkehren…

Michael Bieri: Genau deshalb heisst die Beiz so: Weil wir gute Menschen gut finden. Oder wollen Sie ein schlechter Mensch sein? Jemanden einen guten Menschen zu nennen, ist doch das schönste Kompliment! Was sich die SVP als Beleidigung ausgedacht hat, ist im Grunde genommen ein Kompliment, und ich stehe gern hin und bin ein guter Mensch – und schaue zu, wie sich die andern als schlechte Menschen selbst disqualifizieren.

Ursula Näf: Viele nehmen den Namen zu ernst, finde ich, zu moralisch, à la «aber wir sind doch wirklich die Guten». Indem wir diesen Namen wählen, spielen wir mit solchen Assoziationen, auch mit dem Zwang, sich stets korrekt bis überkorrekt zu verhalten. Wir sind die Guten, aber mit einem Augenzwinkern. Aber der Name polarisiert, daran gibt es nichts zu rütteln: Entweder sind die Leute schockiert, wenn sie ihn hören, oder sie finden ihn grossartig.

 

Was ist mit jenen, denen es nie in den Sinn käme, zu denken, sie seien nur schon deshalb ein guter Mensch, weil sie links sind?

Michael Bieri: Nochmals: Der ‹linke Kuchen› tendiert dazu, eine humorfreie Zone zu sein, dabei täte es doch gut, ab und zu über sich selbst zu lachen. Das braucht Mut, aber es lohnt sich – und das Beizenprojekt ist auf jeden Fall ein guter Ort für solche Experimente.

Ursula Näf: Bis die Beiz steht, laufen ja noch einige Prozesse ab, und möglicherweise wird auch der Name nochmals diskutiert. Aber ich finde auch, dass es nicht schaden kann, ab und zu einen spielerischen Umgang mit der politischen Realität zu pflegen. Und vielleicht gefällt den Leuten der Name ja nach dem ersten Bier schon viel besser.

 

Und was passiert, wenn das Beizenprojekt trotz allem nicht funktionieren sollte?

Ursula Näf: Es kann natürlich sein, dass wir keinen Raum finden oder sonstwie Probleme bekommen. Es ist ein Wagnis, das ist allen klar. Ich finde es aber wichtiger, es ausprobiert zu haben; wir sollten grundsätzlich mutiger werden, kreativer – und dazu gehört, auch mal etwas anzupacken, dessen Ausgang ungewiss ist.

 

Anteilscheine und weitere Infos auf
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