Hier Ablehnung, dort diskussionsloses Ja
Der Zürcher Gemeinderat hat den Bericht zum Bundesasylzentrum ablehnend zur Kenntnis genommen.
An der ersten Sitzung des Zürcher Gemeinderats in diesem Jahr hatte das Parlament eine Verordnung über die «Gewährleistung des städtischen Angebots im öffentlichen Verkehr infolge Strassenlärmsanierungen» zu erlassen. Hinter dem sperrigen Titel verbirgt sich ein Thema, das auch schon Gegenstand emotional geführter Debatten war: Es ging darum, die rechtlichen Grundlagen dafür zu schaffen, dass die Stadt die Mehrkosten von Tempo 30 ausweisen und bezahlen kann, wie Kommissionssprecher Claudio Zihlmann (FDP) ausführte. Wegen der Einführung von Tempo-30-Zonen zwecks Lärmschutz kann es passieren, dass Busse der VBZ für eine bestimmte Strecke ein paar Minuten länger brauchen und deshalb zusätzliche Fahrzeuge samt Personal nötig werden, um den Fahrplan einhalten zu können. Die dadurch entstehenden Kosten müsste aus Sicht des Stadtrats der Zürcher Verkehrsverbund ZVV übernehmen. Doch wenn der ZVV nicht zahlen wolle, müsse die Stadt die zusätzlich benötigten Ressourcen bestellen und bezahlen können, und dafür brauche es die vorliegende Verordnung, sagte Claudio Zihlmann. Weil sich der ZVV geweigert hatte, Mehrkosten beim Tram 13 und dem Bus 46 zu übernehmen beziehungsweise das nötige Geld durch die Stilllegung des Busses Nummer 38 hereinholen wollte, läuft zurzeit ein Rechtsverfahren (zu den Debatten über Bus 38 und Co. siehe P.S. vom 19. März 2021 und vom 16. April 2021). Die Verordnung soll bis zur vollständigen Übernahme der Kosten durch den ZVV in Kraft bleiben. Wer nach der Vorstellung der Vorlage durch den Kommissionssprecher erneut eine saftige Debatte erwartet hatte, wurde enttäuscht: Das Wort aus dem Rat wurde nicht mehr verlangt, der einstimmigen Zustimmung der Kommission stellte sich niemand entgegen, womit die Vorlage zuhanden der Redaktionskommission verabschiedet war. Doch keine Angst: Andreas Egli (FDP) stellte am Rande der Sitzung gegenüber dem P.S. klar, hier sei es um eine rein technische Vorlage gegangen, oder anders gesagt: Wenn es im Rat wieder mal inhaltlich um Tempo 30 gehe, werde man sich auch wieder fetzen wie eh und je…
Linke Ratsseite «enttäuscht»
Viel geredet wurde auch zum nächsten ‹alten Bekannten›: Als der Gemeinderat den Kredit für den Bau des Bundesasylzentrums (BAZ) auf dem Duttweiler-Areal sprach, gab er dem Stadtrat gleichzeitig den Auftrag, ihm zu den ersten zwei Betriebsjahren des BAZ Bericht zu erstatten. Dieser Bericht lag dem Rat nun vor, wobei es inhaltlich nichts zu entscheiden gab, sondern darum ging, den Bericht zustimmend oder ablehnend zur Kenntnis zu nehmen. Die linke Ratsseite hatte im letzten Sommer bereits die Genehmigung des Geschäftsberichts der Asylorganisation Zürich (AOZ) abgelehnt (wobei damals nicht das BAZ im Zentrum der Kritik stand, sondern der Lilienberg, siehe P.S. vom 24. Juni 2022). Ja mehr noch: Mit einem dringlichen Postulat hatten Grüne und AL bereits im Herbst 2021 die Auflösung des BAZ verlangt. Stattdessen sollte der Stadtrat für die «menschenwürdige Unterbringung von Asylsuchenden in der Stadt Zürich» sorgen (siehe P.S. vom 10. September 2021).
Auch der jetzt zur Debatte stehende Bericht kam auf der linken Ratsseite schlecht an: Monika Bätschmann (Grüne) erklärte, im BAZ werde einer menschenwürdigen Unterbringung und Betreuung nach wie vor zu wenig Beachtung geschenkt. Zudem sei der Bericht zu einer Zeit erstellt worden, als das BAZ, anders als heute, «nicht annähernd voll belegt» gewesen sei. Die Grünen nähmen ihn ablehnend zur Kenntnis. Rahel Habegger (SP) erklärte, im BAZ sei die Sicherheit und Betreuung von unbegleiteten Minderjährigen ebensowenig gewährleistet wie jene von LGBTQ-Geflüchteten. Der Bericht bleibe «zu oft beschreibend oder oberflächlich», die SP sei «enttäuscht» und nehme ihn ablehnend zur Kenntnis. Luca Maggi (Grüne) stimmte ihr zu, der Bericht sei «schwierig» und relativiere, ja er sei gar «fast das Papier nicht wert, auf dem er gedruckt ist». Walter Angst (AL) beklagte «mangelnde Transparenz» und forderte, man müsse endlich «die Fakten auf den Tisch legen».
Bernhard im Oberdorf (SVP) hingegen sagte, Kritik am Bericht sei zwar durchaus angebracht. Doch «wenn wir den Bericht ablehnten, würden wir auch die Kritik ablehnen. Das wäre eine doppelte Negation, und dann wären wir ja wieder dafür». Ausgerechnet bei der SVP scheint man sich noch mit Dialektik auszukennen… Auf Zustimmung stiess der Bericht auch bei der Mitte-/EVP-Fraktion und der FDP. Stefan Urech (SVP) ärgerte sich dennoch darüber, dass niemand über die Zustände rund ums BAZ rede: Kinder müssten begleitet werden, weil sie sonst auf dem Weg ins Schulhaus Pfingstweid von betrunkenen Asylsuchenden belästigt würden. Überall lägen Bierflaschen und weiterer Unrat herum, die Polizei müsse alle paar Tage dorthin ausrücken. So sehe die «Bereicherung fürs Quartier» aus, mit der die Linken anlässlich der Abstimmung über das BAZ geworben hätten. Weil Sozialvorsteher Raphael Golta krank war, sprang Simone Brander für ihn ein: Aus Sicht des Stadtrats sei der Auftrag des Gemeinderats erfüllt, sagte sie. Trotzdem nehme der Stadtrat die Kritik am BAZ und an der AOZ ernst und kümmere sich um Verbesserungen. Mit 60:57 Stimmen nahm der Rat den Bericht ablehnend zur Kenntnis.
Von vier Vorstössen von Rot-Grün zu den rechtsextremen Angriffen auf das Tanzhaus Zürich (siehe P.S. vom 18. November 2022) behandelte der Rat schliesslich noch die ersten zwei: SP und Grüne forderten erstens eine ausführliche Untersuchung und zweitens «Öffentlichkeitsarbeit und regelmässige Sensibilisierung über die Gefahren und das Aufkommen von Rechtsextremismus». Mit einer Textänderung der GLP, die vorschlug, statt nur Rechtsextremismus auch «andere Formen von gewaltbereitem Extremismus» zu erwähnen, kam das erste nach ausführlicher Debatte mit 66:50 Stimmen durch und das zweite, unveränderte mit 67:49 Stimmen.
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