Herausforderung Home-Office

Petra Schmid ist Assistenzprofessorin für Verhalten in Organisationen an der Fakultät für Management, Technologie und Ökonomie der ETH Zürich. Die Psychologin erforscht unter anderem, wie sich Affekt, Motivation und Selbstkontrolle darauf auswirken, sich zielgerichtet zu verhalten und Entscheidungen zu treffen. Zu Corona-Zeiten ist ein Aspekt aus diesem Themenbereich besonders aktuell: Wie man «richtig» Home-Office macht, erklärt Petra Schmid im Gespräch mit Nicole Soland.

 

Home-Office ist wegen der Corona-Pandemie von einer meist freiwillig gewählten Arbeitsform einiger weniger Fachkräfte zu einem Zwang für viele ArbeitnehmerInnen geworden. Welche Persönlichkeitsmerkmale erleichtern bzw. erschweren es einem, sich mit dieser neuen Arbeitsform zu arrangieren?

Petra Schmid: Extrovertierte Menschen tendieren dazu, Energie, Inspiration und Motivation durch Kontakte mit anderen Menschen zu gewinnen. Entsprechend sind sie im Home-Office häufig weniger motiviert. Introvertierte Menschen hingegen fühlen sich allein und in ruhiger Umgebung wohl und vermissen die sozialen Kontakte weniger. Ihnen fällt es aber häufig schwer, in Online-Meetings etwas beizutragen. Ebenfalls wichtig ist emotionale Stabilität: Menschen mit hoher emotionaler Stabilität, das heisst Menschen, die ausgeglichen sind, die selten gestresst sind oder Angst haben, sind in einer Umgebung mit vielen Freiheiten, wie sie das Home-Office bietet, sehr produktiv. Menschen mit tiefer emotionaler Stabilität hingegen können mit der Autonomie im Home-Office nicht gut umgehen, sie sind häufig entmutigt, gestresst, ängstlich und damit überfordert, eigene Lösungen zu finden.

 

Im Home-Office trifft autonomes, flexibles Arbeiten oft auf die Pflicht, von 8 bis 17 Uhr telefonisch und per E-Mail erreichbar zu sein bzw. sich zu Zeiten, die der Chef festgesetzt hat, ins Firmensystem einzuloggen: Wie wirken sich solch gegensätzliche Ansagen auf die Psyche der Angestellten aus? Und welchen Effekt hat die Tatsache, dass gleichzeitig der Schwatz mit den KollegInnen in der Kaffeepause entfällt?

Wer verschiedene Rollen gern inte­griert, schätzt fliessende Grenzen zwischen Arbeit und Erholung. Diese Menschen gehen vielleicht während der Arbeit ab und zu auf Facebook oder telefonieren mit einer Freundin, erledigen ihre Pflichten aber problemlos. Wer sich hingegen gern abgrenzt, muss sich diese Abgrenzung im Home-Office erst erarbeiten und sich Regeln setzen. Er oder sie schätzt Vorgaben wie die, sich zu bestimmten Zeiten in die Firma einloggen zu müssen. Die Flexiblen hingegen sind darüber oft sehr unglücklich und in der Folge weniger produktiv. Idealerweise müsste eine Firma denn auch individuelle Lösungen für ihre Angestellten finden. Und was die Kaffeepause betrifft: In meinem Team findet sie zurzeit online statt, in Form eines Chats – ein Ritual, das sehr geschätzt wird.

 

Kommen wir zu den Gefahren des Home-Office’: Die einen müssen sich beherrschen, um nicht die Fenster zu putzen, statt ihre Arbeit zu machen. Andere wiederum arbeiten aus lauter Angst, zuhause nicht gleich produktiv zu sein wie im Büro, von 8 bis 18 Uhr ohne Pause durch: Wie geht man solchen und ähnlichen Stolpersteinen erfolgreich aus dem Weg?

Zuerst gilt es, die eigene Arbeitsweise zu analysieren: Mache ich eher zu wenig oder zu viel? Schaffe ich meine Aufgaben? Bin ich produktiv? Und wie geht es mir dabei? Nach dieser Selbstanalyse sucht man sich geeignete Massnahmen. Wer wahnsinnig abgelenkt ist, dem oder der helfen klare Strukturen: Zur gleichen Zeit aufstehen, wie wenn man ins Büro ginge, sich gleich anziehen, zur gleichen Zeit mit der Arbeit anfangen, zur gleichen Zeit Pause machen… Dazu kommt eine «To-do»-Liste, die man sich jeden Abend zusammenstellt. Am nächsten Tag wird die Liste abgearbeitet, bis sie leer ist. Wer tendenziell zu viel arbeitet, muss Pausen einplanen und während dieser Zeit auch tatsächlich vom Pult weggehen. Auch diese Menschen profitieren von einer To-do-Liste, einfach mit anderen Vorzeichen: Wenn die Liste leer ist, dann ist Feierabend, und zwar endgültig.

 

Zurzeit müssen viele Angestellte nicht nur im Home-Office arbeiten, sondern gleichzeitig ihre Kinder zu Hause betreuen. Welche Strategien sind am besten geeignet, um diese Doppelbelastung zu bewältigen?

Es empfiehlt sich, möglichst im Rhythmus der Kinder zu arbeiten, also beispielsweise wichtige Arbeiten dann zu machen, wenn die Kinder Mittagsschlaf halten. Eine gute Idee ist die Unterscheidung zwischen offenen und geschlossenen Türen: Eine offene Tür bedeutet, dass die Kinder ins Arbeitszimmer kommen dürfen. Sie können beispielsweise in einer Ecke Bilderbücher anschauen oder malen. Muss man bei der Arbeit wirklich allein sein, weil etwa eine Videokonferenz ansteht, schliesst man die Tür und hängt zusätzlich ein «Bitte nicht stören»-Schild dran.

 

Bleibt eigentlich auch im Home-Office-Alltag der grössere Teil der Haushalts- und Kinderbetreuungspflichten an den Frauen hängen? Oder fördert die aktuelle besodere Lage gar die Gleichberechtigung?

In Bezug auf die aktuelle Situation sind mir noch keine Daten bekannt. In einer deutschen Studie aus der Zeit vor Corona kam heraus, dass Mütter im Home-Office mehr in Haushalt und Kinderbetreuung investierten als Mütter, die ins Büro fuhren. Bei den Männern liessen sich diesbezüglich keine Unterschiede feststellen. Es könnte aber durchaus sein, dass die aktuelle Krise die Einsicht stärkt, dass Haushalt und Kinderbetreuung auch Arbeit ist, denn Krisen haben das Potenzial, Veränderungen zu ermöglichen. Ich bin jedenfalls gespannt, wie es herauskommt, und hoffe, dass diese Frage dereinst wissenschaftlich untersucht wird.

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