Häuptling Verons traurige Reise

Ladio Veron ist das Oberhaupt einer Guarani-Kaiowá Dorfgemeinschaft in Brasilien. Seit Februar bereist er Europa als Vertreter der brasilianischen Guarani-Kaiowá. Sein Ziel ist, dass internationale BeobachterInnen nach Brasilien kommen, um Verbrechen an seinem Stamm zu verhindern oder wenigstens zu bezeugen. Letzte Woche war er zu Besuch in Basel und Zürich.

 

 

Von Manuela Zeller

 

 

Rund 80 Städte in über zehn Ländern besucht Ladio Veron auf seiner Reise durch Europa. Müde wirkt er, der seit Februar unterwegs ist. Ein paar Referate noch und als Höhepunkt 15 Minuten Redezeit vor dem europäischen Parlament, dann kehrt er zurück in seine Dorfgemeinschaft im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso do Sul, an der Grenze zu Paraguay.
Angekündigt wurde er in Basel und Zürich als Häuptling Ladio Veron. Häuptling? «Ich bin einfach das Oberhaupt einer Dorfgemeinschaft von etwa 150 Familien», präzisiert Veron. Während der Reise vertrete er allerdings alle Guarani-Kaiowá: «Meine Aufgabe ist es, eine Art Brücke nach Europa zu sein und die Menschen hierzulande für die schlecht dokumentierten Verbrechen gegen mein Volk zu sensibilisieren».
 

 
Land ohne Schutz
Die indigenen Guarani-Kaiowá bewohnen traditionellerweise Regenwald in Brasilien, Paraguay und Argentinien, leben von der Jagd, vom Fischen und von Landwirtschaft. Der Regenwald, und somit auch die Guarani-Kaiowá, sind den GrossgrundbesitzerInnen allerdings schon seit Jahrzehnten im Weg. Die uralten Primärwälder werden zunehmend abgeholzt, um grossflächig Soja anzubauen, Vieh zu mästen oder um Produktionsstätten der Agrochemie zu bauen.
 

 
Legal ist das nicht, eigentlich steht der Schutz der Gebiete der indigenen Bevölkerung in der brasilianischen Verfassung festgeschrieben. In der Praxis würde es aber keinen Unterschied machen, ob das Land ihnen formell zugesprochen wurde oder nicht, erklärt Veron. Plantagen und Fabriken würden sowieso gebaut, umzäunt und bewacht.
 

 
Den Maschinengewehren der GrossgrundbesitzerInnen haben die Indigenen lediglich ihre Beharrlichkeit entgegenzusetzen. «Gewalt anzuwenden, entspricht nicht unserer Philosophie», wehrt Veron ab und schiebt nach: «Wir hätten sowieso keine Chance». Stattdessen versuchen die Gemeinschaften, die Flächen, die ihnen rechtmässig gehören, gewaltfrei zurück zu erobern – indem sie sie besetzen. Oder die Familien campieren an den Zufahrtsstrassen zu den umzäunten Gebieten.
 

 
Gewalt und Gift
«Viele von uns bezahlen den Widerstand mit dem Tod», erzählt Ladio Veron. Zwischen 2003 und 2014 seien über 300 Häuptlinge ermordet worden. Dazu gehöre auch sein Vater, der vor mehr als zehn Jahren zu einer ähnlichen Reise angetreten sei, und der nach seiner Rückkehr erschossen worden sei. Ausserdem würden immer wieder Morde an jungen Kaiowá nachträglich als Suizide vertuscht. «Wir leiden aber nicht nur unter der physischen Gewalt, sondern auch unter den ökologischen Verbrechen. Unsere Kinder werden von den Pestiziden vergiftet».
Wegzugehen kommt für die Guarani-Kaiowá aber nicht in Frage. «Es ist unsere Berufung, unser Land zurück zu erobern, wir können nirgendwo anders hin, unsere Vorfahren sind dort begraben.» Ihre einzige Zukunft sei das Land, so Veron. «Selbst wenn die Erde vergiftet ist, selbst wenn der Regenwald abgeholzt wurde. Wenn wir unser Land haben, haben wir eine Zukunft.»
 

 
«Geht auch die Schweiz etwas an»
Die Situation der Guarani-Kaiowá betreffe alle europäischen Importländer, auch die Schweiz, erinnerte Veron während seinem Referat im Basler Vereinslokal. Es liege auch an den Konsumentinnen und Konsumenten, zu hinterfragen, woher die Produkte kämen. Bewussten Konsum zu fordern, ist aber nicht das einzige Ziel der Reise. Die Guarani-Kaiowá wollen internationale BeobachterInnen zu sich ins Mato Grosso do Sul zu holen, damit die Kaiowá nicht weiterhin unbemerkt dezimiert werden können.
Deswegen habe er auf seiner Reise mit zahlreichen PolitikerInnen und AktivistInnen gesprochen, so Veron. Im August würden sich Häuptlinge aus verschiedenen Ländern treffen; europäische Delegationen seien ebenfalls eingeladen, gemeinsam sollen Strategien für den zukünftigen Wiederstand erarbeitet werden.
 

 
«Die Lage ist prekär»
Dass die aktuelle Entwicklung gestoppt werden muss, steht für Veron ausser Frage. Die Lage sei prekär, er könne gar nicht beantworten, wie die Zukunft der nächsten Generationen aussehe, wenn es so weitergehe wie bisher. «Wenn sich nichts ändert, haben wir keine Zukunft».

Dieser Artikel, die Honorare und Löhne unserer MitarbeiterInnen, unsere IT-Infrastruktur, Recherchen und andere Investitionen kosten viel Geld. Unterstützen Sie die Arbeit des P.S mit einem Abo oder einer Spende – bequem via Twint oder Kreditkarte.