- Gedanken zur Woche
Gurkensalat garniert
Letzte Woche erschien in der NZZ ein Leitartikel von Eric Gujer mit dem Titel «Wokeness in den Städten: Die Linke schwelgt im Machtrausch». Es ist eigentlich kein Leitartikel, sondern eine Rede, die er an der Generalversammlung der NZZ AG gehalten hat. Nun hat es schon etliche Artikel mit ähnlichen Titeln in der NZZ gegeben. Und dennoch ist gerade dieser bemerkenswert.
Die ‹Republik› hat eine lange Recherche zum Rechtsruck der NZZ veröffentlicht. Tatsächlich flirtet gerade der nach Deutschland ausgerichtete Teil der Redaktion der NZZ sehr offen mit der AfD, die gerade jüngst vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft worden ist. Der AfD-Flirt wird auch von Chefredaktor Gujer getragen, der ironischerweise einmal eingesetzt wurde, weil man Markus Somm und damit einen Rechtsrutsch verhindern wollte. Seither leitartikelt Gujer beständig gegen links, und dachte man mal noch, er sei wenigstens ein solider Transatlantiker, so erstaunte er mit der Einschätzung, dass Kamala Harris aussenpolitisch das grössere Risiko sei als Trump. Was er bis anhin nicht korrigiert hat.
Auch sonst bleibt die NZZ bemerkenswert ruhig in Sachen Redefreiheit. Seit Jahren schreibt das NZZ-Feuilleton über die grosse Bedrohung der Redefreiheit, die von einigen linken Campus-Aktivist:innen ausgehen soll, die Triggerwarnungen aussprechen oder eine gendergerechte Sprache wollen. Jetzt scheint es plötzlich seltsam still, wenn es darum geht, dass in den USA beispielsweise eine Studentin verhaftet wurde, nur weil sie einen israelkritischen Meinungsartikel in einer Studierendenzeitung geschrieben hat. Oder wenn Menschen ohne Prozess in einen Folterknast in El Salvador abgeschoben werden. Oder wenn Wörter und Bücher verboten werden, wenn Geschichte umgeschrieben wird oder bereinigt wird, weil man nicht mehr will, dass bekannt wird, dass auch Frauen, Schwarze oder amerikanische Ureinwohner einen Beitrag zur nationalen Sicherheit geleistet haben. Es gäbe noch viele Beispiele, aber eben, dazu liest man nichts.
Stattdessen lieber was zu «Linken, die im Machtrausch» schwelgen. Nun war das wie gesagt eine Rede, die an der NZZ-Generalversammlung gehalten wurde und offensichtlich gut ankam. Und man kann sich denken, dass an einer NZZ-Generalversammlung wohl nicht die Abgehängten der Gesellschaft zusammenkommen, sondern eher das Gegenteil. Und diese hören dann offenbar gerne eine Philippika über die ganz schlimmen rotgrünen Städte. In der vieles zwar nicht stimmt, aber wer interessiert sich denn schon für Fakten, an der Generalversammlung einer Zeitung.
Dazu nur ein paar kleine Beispiele, für einen grösseren Faktencheck reicht die Zeichenzahl nicht aus. Gujer ist besonders erbost über die Verwaltung, insbesondere in den Städten, denn diese hätten: «Schwangerschaftsurlaub schon vor der Geburt, sechs Wochen Ferien für alle, 39-Stunden-Woche, bis zu fünf Tage Menstruationsurlaub – selbstverständlich pro Monat –, acht Wochen Vaterschaftsurlaub, sechs Wochen bezahlte Elternzeit, sechs Brückenferientage, Rente mit 63, und wenn es nicht klappt: ein Jahreslohn als Abgangsentschädigung.» Die Angestellten der Stadt Zürich haben bis zum 50.sten Lebensjahr vier Wochen Ferien. Und Menstruationsurlaub gibt es bis jetzt nur in Fribourg, in der Stadt Zürich wurde erst eine Befragung unter den Angestellten durchgeführt. Das Rentenalter in der Stadtverwaltung ist 65 Jahre. Nun weiss das Gujer vermutlich, aber darum geht es nicht. Es geht darum, mit der Kumulation von Regelungen verschiedener Städte das Klischee eines verwöhnten Beamten zu zeichnen.
Dahinter steckt eine klare Haltung: «In den Städten befinden sich die Medien und die Universitäten. Hier rekrutiert auch die Bundesverwaltung. Dieses akademische Milieu prägt direkt und indirekt die ganze Schweiz. Kulturelle Hegemonie nennt sich das. Sie ist erfolgreich, gerade weil sie in keinem Amtsblatt steht. Sie ist die unsichtbare Hand des tiefen Staats.»
Der tiefe Staat, der sogenannte Deep State ist auch ein beliebtes, halbverschwörungstheoretisches Feindbild von Donald Trump. Der aber in Europa keinen Erfolg haben wird, wie Gujer bedauert: «Trumps brachialer Feldzug gegen den Staat wird Europa nicht verändern. Trump ist ein amerikanisches Phänomen, und je länger er regiert, desto mehr Ablehnung wird ihm in den USA entgegenschlagen. Ja, auch der Schweiz würde ein bisschen mehr Musk und Milei guttun. Aber können Sie sich Beat Jans oder Ignazio Cassis mit der Kettensäge vorstellen? Na also.»
Mit der Kettensäge gegen den Deep State. Ist es das, was sich NZZ-Aktionär:innen erhoffen? Man reibt sich ein wenig die Augen. In Zürich, einer Stadt, die sich von der AAA-Stadt, der Stadt, in der nur noch Alte, Arme und Ausländer:innen lebten, mit grosser Verschuldung und Problemen, in die heutige Triple-A-Stadt verwandelt hat, mit drei Milliarden Franken Eigenkapital und einem grossen Wachstum, die seit Jahren an der Spitze internationaler Rankings steht. Und deren grösstes Problem die Verdrängung genau jener Armen, Alten und Ausländer:innen ist, die man in den 1990er-Jahren für das grösste Problem hielt. Nun glaube ich aber nicht, dass es die Gentrifzierung ist, die Gujer nachts wachhält.
Man kann selbstverständlich für Steuersenkungen sein und dafür, dass die öffentliche Hand mit ihren Mitteln sorgfältig umgeht, das erwarte ich ja sogar von strammen Bürgerlichen. Und gebe gerne noch einen kleinen Tipp dazu: Für Bürokratie und Gesetze sind die Kantone und der Bund zuständig, die, nun ja, seit immer bürgerlich dominiert wurden. Aber dass wir eine gut funktionierende Verwaltung haben mit gut ausgebildeten und motivierten Leuten ist ein Standortvorteil und kein Nachteil. Man kann gerne bei denen nachfragen, die das nicht haben. Elon Musks ‹Doge› sorgt nachweislich nicht für eine bessere Verwaltung, sondern für eine massiv dysfunktionalere. Und sparen tut er auch nichts dabei. Aber das ist vielleicht das Ziel der Übung.
«Macht aus dem Staat Gurkensalat», forderte die Bewegung in den 1980-Jahren und protestierte gegen den Staat und den Mief in einer langweiligen Stadt, in der Alternativkultur keinen Platz fand, das Tanzen an Feiertagen verboten war und die Beizen zur Polizeistunde schliessen mussten. Das alles hat sich in den letzten Jahrzehnten fundamental verändert. Auch in diese schlechten alten Zeiten wünscht sich wohl kein NZZ-Aktionär zurück.
In der Diskussion rund um den globalen Aufstieg von Rechtspopulisten wird immer wieder über strukturschwache Regionen gesprochen, über die Abgehängten, die Opfer der Deindustrialisierung. Über jene Menschen, bei denen es durchaus verständlich ist, dass sie zum Schluss gekommen sind, dass der Staat oder das System für sich nicht funktioniere. Aber man fragt sich echt, warum es jetzt die Reichen und Erfolgreichen sind, die das System zerschlagen wollen. Wäre ich eine Konservative, würde ich vielleicht Wohlstandsverwahrlosung vermuten. So bin ich nur ratlos.