Gummischrot als Souvenir

Am Rande einer unbewilligten 1. Mai-Demonstration hat die Stadtpolizei mehrere JournalistInnen an der Berichterstattung gehindert und verzeigt. Ein Interview zur Pressefreiheit in Zürich.

 

Simon Muster

Dieser regnerische 1. Mai wird das politische Zürich wohl noch für eine Weile beschäftigen. Just zwei Tage vor dem internationalen Tag der Pressefreiheit sind in Zürich mehrere JournalistInnen festgehalten worden, obwohl sie sich als Medienschaffende ausgewiesen haben. Einige wurden zudem verzeigt.

In einer denkwürdigen Reaktion auf die Vorwürfe liess die Stadtpolizei auf Twitter verlauten: «Wenn sich Journalistinnen und Journalisten nicht von den Demoteilnehmenden distanzieren und somit als Teil der Veranstaltung in Erscheinung treten, müssen sie damit rechnen, kontrolliert und auch verzeigt zu werden.» 

In einem offenen Brief an die Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart (Grüne) fordern der Zürcher Presseverein und die Gewerkschaft Impressum, dass alle Anzeigen gegen die Medienschaffenden zurückgezogen werden. «Die Anzeigen verletzen die Pressefreiheit und sind nicht durch das Prinzip der Verhältnismässigkeit legitimierbar.» Als Reaktion auf die Kritik hat Karin Rykart die betroffenen JournalistInnen zu einem persönlichen Gespräch eingeladen. Simon Jacoby, Chefredaktor von Tsüri.ch, ist einer davon.

 

Simon Jacoby, wie ist es dazu gekommen, dass Sie am 1. Mai mit den Demonstrant­Innen eingekesselt wurden?

Ich war wie jedes Jahr am 1.-Mai-Umzug beim Helvetiaplatz. Als die Situation beim Stauffacher hitziger wurde, drängte mich die Polizei in eine Sackgasse. 

Als ich auf meinem Handy die Zeit nachschauen wollte, schnauzte mich ein Polizist an, dass ich das besser sofort wieder wegstecken sollte. Ich gab mich als Journalist zu erkennen, aber sein Kollege entgegnete nur: «Wenn Sie Journalist sind, dann bin ich Putin.» Da half dann auch mein Presseausweis wenig: Drei Polizisten führten mich – meine Hände hinter dem Rücken – in den Kessel mit den DemonstrantInnen hinein. Die Stimmung dort war relativ gelangweilt, einige haben unter einem Hausdach Karten gespielt, andere Lieder gesungen. Nach gut zwei Stunden wurde ich aus dem Kessel zu einem Zelt geführt, wo ich fotografiert und verzeigt wurde.

 

Welche Anzeige wurde gegen Sie erhoben?

Ursprünglich lautete die Anzeige auf Verstoss gegen die Covid-Verodnung und auf Teilnahme an einer unbewilligten Demons­tration. Ausserdem wurde ich bis am 2. Mai vom ganzen Stadtgebiet weggewiesen, was schwierig umsetzbar ist, weil ich ja hier wohne. Wiederum habe ich dann meinen Presseausweis gezeigt, wo­rauf der Beamte meinte, er mache ja nur seinen Job. Erst als der Einsatzleiter meinen Presseausweis sah, kam der Befehl, die Anzeige zurückzuziehen.

 

Hat das Verhalten der Stadtpolizei auf Sie als Journalist eine abschreckende Wirkung?

Nicht wirklich, nein. Es ist wichtig, dass JournalistInnen nahe am Geschehen sind und nicht einfach das Narrativ der Stadtpolizei nacherzählen. Die grosse Solidarität unter den Medienschaffenden hat mir zudem gezeigt, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Darum werde ich auch weiter über Polizeieinsätze berichten. Übrigens sammle ich da auch jeweils Gummischrot als Souvenirs ein. Aktuell bin ich bei zehn.

 

Trotzdem schreiben Sie nicht über diese 1. Mai-Demo. Wieso?

Dadurch, dass ich selber Teil der Geschichte geworden bin, ist es schwierig, meine Rolle als Journalist wahrzunehmen. Oder anders gesagt: Wäre ich nicht abgeführt und verzeigt worden, hätte ich sicher über die Vorkommnisse berichtet. 

 

Wie beurteilen Sie die Reaktion der Stadtpolizei auf Ihre Vorwürfe?

Die Stadtpolizei offenbart ein höchst bedenkliches Demokratieverständnis. Hat die Stapo eine Kleidervorschrift, damit die PolizistInnen die JournalistInnen auch klar identifizieren können? Eine absurde Haltung. JournalistInnen müssen frei berichten und sich ohne Einschränkung bewegen können. Dass nicht einmal die Medienstelle der Stapo diese Grundhaltung vertritt, ist besorgniserregend. 

 

Wie steht es um die Pressefreiheit in der Stadt Zürich?

Grundsätzlich kann ich mich als Journalist in der Stadt Zürich frei bewegen. In den meisten Fällen bekomme ich auf meine Fragen Antworten, auch wenn diese manchmal etwas geschwurbelt daherkommen. Nur im Zusammenhang mit Polizeieinsätzen erlebe ich immer wieder Einschränkungen in meiner Arbeit. 

 

Sind Sie optimistisch, dass die Kritik etwas daran ändern wird? 

Überhaupt nicht. Es hat sich ja auch nicht geändert, als ein Polizist am 6. März einer am Boden liegenden feministischen Demonstrantin ins Gesicht schlug. Die Probleme bei der Stadtpolizei sind seit Jahren bekannt. Natürlich hoffe ich, dass die Vorkommnisse vom 1. Mai und der offene Brief des Zürcher Pressevereins an Stadträtin Rykart die Politik aufrüttelt, aber ich bin wenig optimistisch, dass sich bei der Stadtpolizei so schnell etwas ändert.

 

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