Das Gewähren von Freiheiten hat einen positiven Nebeneffekt auf das Ensemble. (Bild: Gregory Batardon)

Gruppensondereffort

Tänzer:innen des Zürcher Balletts und des Juniorballetts am Opernhaus erhalten seit 2013 im Zweijahresrhythmus die Möglichkeit, ihre Rolle zu tauschen und sich selbstorganisiert als Choreograph:innen unter Beweis zu stellen.

Mlindi Kulashe interpretiert das Allegro molto von Joseph Haydns Cellokonzert als ein Dreiergespann von Jünglingen, das durch den frühlingshaften Paradiesgarten stiebt. Hochgradig energiegeladen und verspielt sowie in der Unmittelbarkeit der Studiobühne des Opernhauses auch die Gelegenheit, gerade Tänzer:innen des Juniorballetts einmal statt auf der grossen Bühne als Teil einer Gruppenszene auch als konkrete Einzelpersonen wahrnehmen zu können. Zehn Minuten sind für ein Kurzstück wie «Molo» aber auch ausreichend. Der bare Übermut im Ausdruck von Schönheit nutzt sich leicht ab. Zumal weder Brüche in den Bewegungen noch Witz im Habitus eine ergänzende Spannung herbeiführen und somit das Vertanzen von Tönen, wie in den Jahren von Heinz Spoerli zur Hauptsache üblich, die Ahnung einer Rückwärtsorientierung nährt. Martí Gutiérrez Rubi (Juniorballett) fokussiert in den Einzelteilen von «91» auf eine Ode an den mexikanischen Grossvater, was neben Schwarzweissbildern von herrischen Gatten und folgsamen Hausfrauen auf einem Röhrenfernseher insbesondere musikalisch wie tänzerisch sehr viel Bubblegumamerikabegeisterung vermittelt. Das Tango-Intro enthebt er dessen originärer erotisierenden Machoeroberungsallüre, was im jetzigen Stadium zuerst einmal irritiert, also auch das Potenzial aufweist, darüber einen Ausdruck zu entwickeln, der aus der reinen Stringenz einer Tanzdramaturgie in eine klare Lesbarkeit einer Haltung oder nachgerade Neuinterpretation einer Tradition überführt werden könnte, deren Spannungspotenzial weit über eine rein freudige Hochachtung hinausweist.

Play, cut, next and again

Jorge García Perez und Shelby Williams erschaffen in «Into Warmer Air» eine unmittelbar als dystopische Katastrophe verortbare Szenerie, die eine Vielzahl von möglichen Leiden im Zusammenhang mit Krieg aneinanderreiht. Leider wird der szenische Nuancenreichtum durch recht abgehackte Schnitte als voneinander separierte Ereignisse abgetrennt dargestellt, was aber als Phänomen dieser Ausgabe von «Next Generation» beinahe schon eine Tendenz ist. Die Konzentration bei der Kreation scheint derzeit bei den meisten Choreograph:innen noch auf die Raffinierung jeder Einzelszene zu liegen, worüber der Fluss, die Vermengung zu einem Strang noch zu wenig ausgereift Beachtung findet. Die deutlichste Gegentendenz dazu erschafft Inara Wheeler (Juniorballett) mit «Mana». Aus einer deutlichen Anlehnung an Streetdance vom Breakdance bis zur Showgruppenchoreographie entwickelt sie mitsamt dem Licht als gewichtig mitgedachtes Bühnenelement (was erfreulicherweise auf viele der Stücke zutrifft) eine Szenendramaturgie, die zwischen einem Weg zur Selbstbehauptung innerhalb einer Gruppe und einer notwendigen Anpassungsleistung für eine wünschenswerte Integration darin gelesen werden kann. Dafür findet sie einen klaren Bogen mit bildhaft deutlichem Anfang und einem ebensolchen Ende. Natürlich mit dem situationsimmanenten Abstrich an waghalsiger Körperlichkeit alias Haudrauf-Hemdsärmligkeit im Bewegungsrepertoire originärer Breakdancer:innen – es ist immernoch Ballett. Makani Yerg (Juniorballett) unternimmt mit «Laroon» im Ansatz einen möglicherweise vergleichbaren Plan: Der Mensch als vereinzeltes Wesen als verlorene Seele, das in Kontakt mit seinesgleichen gerät und sich gegenüber der daraus entwickelnden Verschiedenartigkeit der einzelnen Zusammensetzungen immer wieder neu zu sich selbst und gegenüber der Gruppe verorten muss. Deutlich wird die Betonung beider Anstrengungen als ebenbürtig anzusehende Notwendigkeiten. Hier könnte das Ineinandergrätschen der Einzelszenen thematisch den Sinn ergeben, dass überraschende Wendungen immer komplett überraschend über eine erlangte Harmonie hereinbrechen.

Vorliebe für Art pour l’Art

Max Richters «Out oft he Room» changiert zwischen einer erkennbaren Absicht nach Handlungsdramaturgie, einer peniblen Achtung grösstmöglicher Grazienherstellung durch den menschlichen Ausdruck und einer etwas zu geringen Eindeutigkeit, ob die Abstraktion des reinen Tanzes oder eben eine szenische Entwicklung aus sich heraus hierarchisch höhergewichtet werden will. Diese Unentschiedenheit, gepaart mit deutlichen (also gewollten?) abrupten Wechseln in Stimmung, Tonalität, Rhythmus erschweren es, sich darüber in eine Begeisterung fallen zu lassen. Bei Quentin Nabors (Juniorballett) «Soft and tender» steht eine deutliche Bemühung um Wirkung als oberstes Erkennungsmerkmal zuvorderst. Das glückt unbenommen, aber eine solche Maxime behindert sich letztlich höchstselbst, indem sämtliche weiteren Einzelkomponenten, die erst im Zusammenspiel das Ganze ergeben, hintanstehen müssen. An Durchsetzungskraft fehlt es «I don’t want this poem to end» von Lucas Valente keineswegs. Mithilfe von Sperrholzplatten, die mal Sarg, mal Grabstein, mal Sanitätsliege, mal Versteck, usw. darstellen können, entwickelt er eine starke Atmosphäre zwischen Lebenstrotz, Zombiehaftigkeit und sich ex negativo vom Tod abgrenzender Lebensfreude.

«Next Generation», bis 30.6., Studiobühne, Opernhaus, Zürich.