Grosse Träume und Medienethik

Im Rahmen der Reihe #bigdreams im Theater Neumarkt fand diese Woche ein Podium zum Fall Brian statt. Die Teilnehmerinnen sind sich einig: Boulevard- und Qualitätsmedien haben gleichermassen versagt.

 

Das Setting im Theater Neumarkt verspricht einen kontroversen Schlagabtausch: In der Mitte des Saals steht ein grosser Boxring, alle ZuschauerInnen erhalten am Eingang ein Sporttuch – «für den Boxkampf». Bevor das Podium zum Thema «Medienökonomie und ihre Konsequenzen» vergangenen Mittwoch überhaupt startet, lernen die Anwesenden eine klassische Schlagabfolge im Boxsport: Jab, Cross, Jab. Der Boxring steht stellvertretend für den grossen Traum von Brian, der heute 26-Jährige möchte Profiboxer werden. Doch Brian sitzt weiterhin in Sicherheitshaft in der Justizvollzugsanstalt Pöschwies. Darüber, dass dies auch eine Konsequenz der medialen Berichterstattung rund um seinen Fall ist, sind sich an diesem Abend eigentlich alle einig. «Was wir bei der Berichterstattung zu Brian beobachten konnten, lässt sich eigentlich mit dem aktuellen Forschungsstand nicht erklären», sagt Medienwissenschaftlerin Silke Fürst. Nur wenige Tage, nachdem der ‹Blick› die Kosten für das Sondersetting für den damals 17-jährigen Brian skandalisierte, griff mit dem ‹Tages-Anzeiger› ein erstes Qualitätsmedium die Geschichte auf. «Der Nachrichtenwert der Geschichte wurde vollständig konstruiert, die Persönlichkeitsrechte eines Jugendlichen missachtet.» Zudem sei Brian von Beginn weg mit dem rassistischen Namen «Carlos» betitelt worden, ergänzt Campaignerin Armelle Ako. «Ein Name, der überhaupt nichts mit Brian zu tun hat.» Moderiert wird das Podium von Yuvviki Dioh, die wie Fürst Assistentin am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung ist. Dioh spielte den Ball während der ganzen Diskussion immer wieder zu Fürst, die mit kurzen Inputreferaten die medienwissenschaftlichen Grundlagen vermittelte. Das schafft zwar eine interessante Diskussionsgrundlage, lässt das Podium aber zeitweise auch ausfransen. 

 

Wenn Selbstregulierung nicht greift

War die mediale Kampagne gegen Brian – der ‹Tages-Anzeiger› veröffentlichte laut Fürst alleine im ersten Jahr mehr als 100 Artikel – bewusst geführt oder strukturell bedingt? Das ist eine zentrale Frage des Abends. «Ich glaube nicht, dass die verantwortlichen JournalistInnen geplant haben, Brian fertig zu machen», meint Natalia Widla dazu, die als freie Journalistin für die ‹WOZ› schreibt. Vielmehr habe sich eine Eigendynamik entwickelt, bei der die einzelnen Medientitel immer wieder aufeinander reagiert haben, aus Angst, eine grosse Geschichte zu verpassen. Bei der Frage um die Verantwortung der Medienkonzerne verkommt das Podium stellenweise zum Schattenboxen, da die einzige Journalistin aus einem der kritisierten Unternehmen krankheitshalber abwesend ist. Moderatorin Yuvviki Dioh versucht zwar, die schriftlichen Antworten der Journalistin ins Gespräch einzubringen, dieser Versuch gelingt aber nur zum Teil. Aber auch die Politik spielte eine unrühmliche Rolle: Nur fünf Tage nach der Ausstrahlung des DOK im SRF, der die mediale Berichterstattung lostrat, wird das Sondersetting beendet – Brian wird für 83 Tage ins Gefängnis Limmattal verlegt, wo er sich 23 Stunden am Tag in Einzelhaft befindet. Das Bundesgericht entscheidet später: zu Unrecht. «Während der ganzen Zeit hat niemand innegehalten und sich gefragt: Was löst das alles bei Brian aus?», sagt Armelle Ako, die als Mitglied der «Allianz gegen Racial Profiling» auch den letzten Prozess von Brian beobachtete. Es fehle eine Instanz, die frühzeitig auf die Konsequenzen einer solchen Berichterstattung hinweisen könne, ist auch Silke Fürst überzeugt. «Der Presserat greift erst im Nachhinein, wenn es schon zu spät ist.» Die Frage, wie eine solche Instanz aussehen könnte, ist kompliziert. Liegt die Hürde des Persönlichkeitsschutzes nämlich zu hoch, wird die Pressefreiheit empfindlich eingeschränkt. Zudem können sich Teenager wohl keine juristischen Schritte gegen JournalistInnen leisten, wohlhabende Personen und Unternehmen hingegen schon. Gleichzeitig fällt es der Medienbranche notorisch schwer, sich selbst zu kritisieren und zu regulieren. Da hilft es auch nicht, dass die Medienhäuser bei den Redaktionen, und insbesondere auch beim Medienjournalismus immer weiter sparen und auch den Presserat weiter schwächen. 

 

Das ist dann auch die Haupterkenntnis des Abends: Die strukturelle Medienkrise begünstigt sensationsgeladene Berichterstatt­ung über Einzelfälle. Die Medienhäuser erhöhen den Druck auf die Redaktionen, wo immer weniger Zeit für Recherche und eine vertiefte Auseinandersetzung mit medienethischen Fragen bleibt. Gleichzeitig fehlt ein nachhalt­iges Finanzierungsmodell für den Onlinejournalismus, wo Klickzahlen – zumindest im Fall Brian – auch sogenannte Qualitätsmedien vor sich hingetrieben haben. Dass das längst kein Einzelfall ist, zeigt nicht zuletzt der Fall rund um Jolanda Spiess-Hegglin.

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