Christian Griesser tritt nach elf Jahren als Fraktionschef der Grünen im Winterthurer Stadtparlament ab. (Bild: zVg)

Griessers Bilanz: mehr Visionen für Winterthur

Mehr Visionen, weniger No-Future-Stimmung: Das wünscht sich der abtretende Fraktionschef der Grünen im Winterthurer Stadtparlament, Christian Griesser für seine Stadt. Während 14 Jahren im Parlament erlebte er vor allem die Möglichkeit positiv, mit taktischen Gegenvorschlägen mehr für eine ökologische Stadt zu bewirken. Negativ bleiben ihm vor allem Budgetdebatten und der Streit um die Parkplätze in Erinnerung.

Er ist der dienstälteste Fraktionschef im Winterthurer Stadtparlament: Seit elf Jahren leitet der 57jährige Jurist Christian Griesser die Fraktion der Grünen und der AL. Nun sagt er Tschüss und tritt zurück. «Irgendwie habe ich einfach keine Lust mehr, mich durch die hundertseitigen Weisungen des Stadtrates zu quälen.» Er habe immer gerne wirklich debattiert, aber der Parlamentsbetrieb sei zunehmend zu einer Aneinanderreihung von abgelesenen Voten geworden. Weniger lebendig. «Für mich  hat das Parlament viele Möglichkeiten eröffnet, ich konnte mitreden, mitgestalten, von Anfang an. Aber ehrlich gesagt habe ich mir schon bei den letzten Wahlen gesagt, dass ich keinen Wahlkampf mehr führen möchte.» «Es ist Zeit, Platz zu machen, und wir haben gute junge Leute, die die nächsten Jahre prägen können.»

Immobilienpolitik war ein Highlight

«Zurückblickend war die Immobilienpolitik eines der Highlights meiner Politkarriere», hält er fest. «Als es gelang, den Verkauf von städtischen Immobilien an die Investorengruppe Stella Vitalis aus dem Gesundheitsbereich zu verhindern und später ein generelles Verkaufsverbot von städtischen Immobilien durchzusetzen, war dies ein grosser Erfolg für die rot-grünen Parteien der Stadt.» Ebenfalls positiv waren verschiedene ökologische Vorlagen, und zuletzt, dass es endlich gelungen sei, für die städtische Pensionskasse eine tragfähige Lösung zu finden. Auch dass es schliesslich gelungen sei, eine Mehrheit für ein zweites Hallenbad zu finden, schätzt er positiv ein. «Da war gerade auch in meiner eigenen Partei eine lange Entwicklung notwendig.»

Tiefpunkte beim Budget und den Parkplätzen

Sehr negativ hat Christian Griesser viele Budgetdebatten erlebt, speziell in den letzten Jahren. «Der ständig hässige Ton von der bürgerlichen Seite und vor allem auch die ewigen Behauptungen, der Stadtrat sei finanzpolitisch in einem Blindflug, haben mich genervt.» Dabei sei faktisch das Gegenteil der Fall: Der Stadtrat agiere in einem extremen Sicherheitsflug, sei geprägt durch die Angst vor finanziellen Konsequenzen. «Alles wird den Finanzen untergeordnet, es gibt kaum Visionen oder den Willen, auch mal ein Zeichen zu setzen. Als Präsident der Stiftung ‹Winterthur – La-Chaux-de-Fonds› habe ich auch mitbekommen, wie La Chaux-de-Fonds agiert. Die haben viel weniger finanzielle Mittel als Winterthur, aber trotzdem werden Zeichen gesetzt.» Manchmal dauert das lange, aber plötzlich geht das dann sehr rasch – während in Winterthur kaum ein gemeinsamer Wille zur Zukunftsgestaltung über die politischen Lager hinweg spürbar sei. «Von der bürgerlichen Seite wird ideologisch kleinkrämerisch jegliche Vorlage vom Stadtrat abgeblockt.» Eine gewisse Verantwortung für diese Situation liege aber auch beim Stadtrat, dessen Kommunikation nicht immer transparent genug oder zu defensiv sei, meint Griesser, der sich generell mehr positiven Schwung für Winterthur wünscht.

Auch die Parkplatzthematik sei in Winterthur schwierig. «Zwar stimmt eine Mehrheit der Bevölkerung manchmal durchaus ökologisch, wenn es dann aber um das eigene Auto geht, wird alles vergessen und wir sind wieder tief im letzten Jahrhundert…»

Neue Parlamentsmitglieder der Grünen in Winterthur

Die Mitte Februar zurücktretenden Parlamentsmitglieder der Grünen, Christian Griesser und Renate Dürr, werden im Stadtparlament durch Corinne Hertli und Benjamin Kellerhals ersetzt.
Hertli ist 50jährig, Juristin und lebt seit 1983 in Winterthur. Bei den Grünen ist sie seit 2020 aktiv. Politisiert wurde sie durch ihr Elternhaus. Die Abstimmungen über die Konzernverantwortungsinitiative und das CO2-Gesetz führten dazu, dass sie politisch aktiv wurde. Ihr grösster Wunsch für Winterthur: Dass Winterthur weiterhin so lebenswert bleibt, mit viel Grünflächen, mehr Fokus auf Fuss- und Veloverkehr und einem ausgebauten öffentlichen Verkehrsnetz sowie einer offenen, inklusiven Gesellschaft.
Der 51jährige Benjamin Kellerhals ist Pianist und seit 2000 Klavierlehrer am Konservatorium Winterthur. Er wohnt in Wülflingen. Politisiert wurde er in jungen Jahren durch die Umweltkatastrophen von Tschernobyl und Schweizerhalle sowie später durch die gewerkschaftliche Arbeit in der Lehrpersonenvertretung am Konservatorium. Im Stadtparlament will er sich vor allem für ökologische und soziale Anliegen sowie eine vielfältige Kultur einsetzen.