Graben, digitaler

Ein neuer Drucker muss her. Der alte ist ein Schmierfink. Da braucht es Wochen der Recherche, des Augenscheins und so manchen Customer Journey. Die Qual der Wahl ist gross, aber endlich wissen wir, was wir wollen. Wir schleppen zu zweit ein Riesenpaket heim und stellen es in die Wohnung. Der analoge Teil der Operation «Druckerbeschaffung» ist vollbracht. Nun kommt der digitale Teil.

 

Ich würde lügen, wenn ich behaupte, der sei länger gewesen. Dafür war er irgendwie frustrierender. Die Installation hat uns zwar nur einen Halbtag gekostet, aber wir wurden das Gefühl nicht los, dass wir einfach nur Glück hatten. Weniger Können. Schon gar nicht System. Sondern Trial and Error, viel Internetsuche, Kaffee und Fluchen. Und einmal mehr die Erkenntnis: Wer schafft sowas? Wie viele Menschen in unserer Gesellschaft wären garantiert ausgeschlossen von solchen Manövern? Sind alle im Arsch, die nicht, wie wir, einen Sohn (Informatiker) oder einen Schwiegersohn (Informatiker) als Rückfallposition haben? War das der tiefere Zweck des Kinderkriegens?

 

Sie haben richtig verstanden, ich spreche vom Digitalen Graben. (Und ich schreib den mal gross, das hat er verdient.) Die FDP schaufelt grad wieder mal daran: Sie forderte den Stadtrat unlängst auf zu prüfen, «wie sämtliche Geschäfte mit der Verwaltung elektronisch und aus dem Wohnzimmer heraus, unterwegs oder im Büro verrichtet werden können. Damit soll sichergestellt werden, dass in den Verwaltungs- und Regierungsorganisationen grössere Transparenz entsteht und die sogenannten Customer Journeys der Bevölkerung smart und effizient gestaltet werden». Geil, gell? Opa gestaltet künftig aus dem Wohnzimmer heraus seine Customer Journeys mit dem Steueramt. Sämtliche Behördengänge am physischen Schalter sollen unnötig werden. Der Vorteile sind Legion: «Dadurch entlastet man die Infrastruktur (z.B. öV, Strassen etc.), steigert die Effizienz sowohl bei den Bürgerinnen und Bürger als auch bei der Verwaltung, der Geschäftsverkehr mit der Verwaltung wird papierlos und damit senkt man den CO2-Ausstoss.» Das Grüne Wunder (ich schreibs auch gross) dank Smart City! Leere Strassen! Blühende Landschaften! Und die 30-Stunden-Woche fürs Stadtpersonal, weil das ist nun ja effizient!

 

Ob so vieler Ausrufezeichen wird man schon ein bisschen nachdenklich. Können denn das alle? Wollen das alle? Gab es da nicht noch ein paar andere Menschen? Zum Beispiel die rund 16 Prozent funktionalen AnalphabetInnen, die es bei uns gibt. Die wenig PC-Affinen, die eventuell sogar keinen haben. Die ärmeren, die sich keine Technik für den Customer Journey leisten können. Also gut und gerne zusammengerechnet knapp die Hälfte der Bevölkerung. Das sieht auch die FDP. Generös sagt sie: «Selbstverständlich muss für Einwohnerinnen und Einwohner, welche digital nicht so eloquent [sic!] sind, eine Anlaufstelle geschaffen werden, an der sie entsprechende Geschäfte unter Anleitung ebenfalls erledigen können.»

 

Eine Anlaufstelle, boah ey! Der Opa, wohnhaft in Leimbach, zieht die Schuhe an und fährt nach Seebach. Oder umgekehrt. Dort ist zwar kein Schalter, aber ein Roboter, der ihm das PC-Programm eloquent erklärt.

 

Wie nannte das doch die amerikanische Philosophin Nancy Fraser treffend: Regressive Verteilungspolitik. Verbunden mit den Versprechungen des Fortschritts und einer «emanzipatorischen Fassade». Was als fortschrittliche digitale Emanzipation von analogen Fesseln daherkommt, ist ein schlecht verkapptes Survival of the fittest: Alle anderen sind Beilage.

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