Gottesfurcht

Wer den Glauben ausserhalb der Norm sucht, muss dem Teufel vom Karren gefallen sein.


Ein Walliser Bergdorf im 19. Jahrhundert wird in Carmen Jaquiers «Foudre» zum Tatort. Innocence (Léa Gigon) ist tot, ihr Leichnam darf nicht in geweihter Erde ruhen. Ihre jüngere Schwester Elisabeth (Lilith Grasmug) steht kurz vor der Profess, als sie wieder heimgeschickt wird, weil dort jetzt zwei anpackende Hände fehlen. Vater (François Revaclier) und Mutter (Sabine Timoteo) verlieren wie auch sonst niemand im Dorf kein Wort über die Vorgeschichte. Die Furcht vor der Hölle und das karge bäurische Dasein sind Prüfung genug, da brauchts nicht auch noch grüblerische Gedanken. 

«Foudre» zementiert einen Zeitgeist zum Ersticken, dem Innocence mittels einer als schändlicher Glaubensverirrung abgekanzelten Erlösernähe zu entfliehen suchte. Elisabeths erste Reaktion darauf ist Schuld: «Hab ich zu wenig gebetet? Oder falsch?» Ihre kindlichen Geschwister sind noch fern von einer umfassenden Gottesfurcht, während diese ihre Eltern längst verhärmt hat. Gerade weil für Innocence kein Weg mehr aus dem Fegefeuer führt, unterjochen sich die Eltern dem Glauben umso mehr. Schliesslich war es ihr Kind, das ein so schändliches Beispiel abgab und wer weiss, welche Strafe dafür vorgesehen ist. Erst nach und nach beginnt Elisabeth Zusammenhänge zu erkennen. Die Dorfjungs stellen ihr auf der Alp, bald aber auch auf ihren alltäglichen Routinegängen nach. Sie entdeckt Innocences bestgehütetes Geheimnis eines eigenhändig gefertigten Büchleins, dem sie ihr Erweckungserlebnis und die danach logisch folgen müssende Konsequenz anvertraut hatte. Ihr Weg zu Gott war ein überaus fleischlicher und gefühlt, näherte sie sich damit der Seligkeit mit grossen Schritten. Einfach, dass alle um sie herum darin die exakt gegenläufige Entwicklung sahen und vor lauter Furcht vor dem Zorn Gottes nur noch die eigene Seelenrettung im Sinn hatten. Elisabeth erkennt darin eine protofeministische also häretische Annäherung an eine Befreiung.

«Foudre» spielt im Kino Houdini.

Dieser Artikel, die Honorare und Löhne unserer MitarbeiterInnen, unsere IT-Infrastruktur, Recherchen und andere Investitionen kosten viel Geld. Unterstützen Sie die Arbeit des P.S mit einem Abo oder einer Spende – bequem via Twint oder Kreditkarte.