Gipser und Schreiner übernehmen

Das EWZ darf zwei Häuser in Sils im Domleschg verkaufen: Diese und etliche weitere Entscheide fällte das Zürcher Parlament am Mittwochabend.

 

Vor der letzten Doppelsitzung des Zürcher Gemeinderats in diesem Jahr übergab das Forum «5im5i» Stadtrat André Odermatt seine Petition «Vielfalt statt Einfalt am HB. Kein Kongresszentrum auf dem Carparkplatz!» mit 1388 Unterschriften (siehe auch Seite 6). Zu Beginn der Sitzung verlas Ratspräsident Roger Bartholdi (SVP) das Rücktrittsschreiben der 1983 geborenen Christina Hug (Grüne), die im Mai 2008 in den Rat eingetreten war und somit rund einen Viertel ihres Lebens der Parlamentsarbeit gewidmet hatte. Auch Jonas Steiner (SP) trat zurück, allerdings nach lediglich gut zwei Jahren im Rat. Er leistete sich dafür einen Scherz, indem er sein Rücktrittsschreiben mit einem Wort schloss, «das ich schon immer mal aus dem Mund eines SVPlers hören wollte: ‹Venceremos!› (‹Wir werden siegen!›)».

 

Nicht einfach «mehr Verschuldung»

Der Präsident der Rechnungsprüfungskommission, Walter Angst (AL), erklärte, der Stadtrat beantrage, 2017 bis zum Betrag von 700 Millionen Franken Anleihen und langfristige Darlehen aufnehmen zu dürfen: «Es versteht sich von selbst, dass der Stadtrat angesichts von Negativzinsen nicht mehr aufnehmen wird, als er braucht, und er wird wohl den Betrag auch nicht voll ausschöpfen.» Das sahen die Bürgerlichen anders. Raphael Tschanz (FDP) begründete den Minderheitsantrag, den Deckel nicht bei 700, sondern bei lediglich 418 Millionen Franken zu setzen, unter anderem damit, letztes Jahr habe der Stadtrat den bewilligten Betrag nur zu 60 bis 70 Prozent ausgeschöpft. Sollten die Mittel dann doch nicht reichen, könne der Stadtrat «jederzeit einen neuen Antrag stellen, um den Betrag zu erhöhen». Walter Angst erinnerte ihn daran, dass es nicht um «700 Millionen Franken mehr Verschuldung» gehe, sondern auch darum, Darlehen von 480 Millionen Franken zu ersetzen.
Roger Liebi (SVP) ereiferte sich, wie schon in der Budgetdebatte, darüber, dass die Stadt «bis 2020 elf Milliarden Franken Schulden angehäuft haben wird»; es sei keine Option, «immer nur Geld aufzunehmen und nie zurückzuzahlen». FDP und SVP blieben in der Minderheit: Mit 79:42 Stimmen hiess der Rat die Vorlage gut.

Sodann sollte der Rat seine Zustimmung dazu geben, dass das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (EWZ) zwei Mehrfamilienhäuser in der Gemeinde Sils im Domleschg verkaufen durfte. Kommissionssprecherin Linda Bär (SP) erklärte, das EWZ benötige die in den Jahren 1974 und 1981 für Kraftwerksmitarbeiter und ihre Familien gebauten Häuser nicht mehr und möchte sie deshalb an den Meistbietenden verkaufen. Letztere seien ein Gipser-, Schreiner- und Architekturunternehmen aus dem Dorf, welche die MieterInnen übernehmen und die Häuser sanieren wollten. Die «mit Stichentscheid des Präsidenten» zustande gekommene Kommissionsmehrheit lehne den Verkauf ab, da es in Zeiten von Negativzinsen nicht sinnvoll sei, «Geld zu horten». Zudem sei sie «gegen die Privatisierung von Boden». Linda Bär fügte an, die AL werde sich enthalten, da sie «Mühe mit fundamentalistischen Kämpfen auf Nebenschauplätzen» habe, und meldete Widerspruch an: «Wie glaubwürdig ist eine Politik, die an den Stadtgrenzen aufhört?»

Dass solche Worte auf der anderen Ratsseite als pure Provokation ankommen würden, versteht sich von selbst; entsprechend scharf waren die Reaktionen. Urs Egger (FDP) bezeichnete Bärs Argumentation als «abenteuerlich»; die Linken zeigten «die Arroganz der Macht» und wollten ihre Bodenpolitik «auf die ganze Schweiz ausdehnen». Schlimmer noch: Sie wollten einem Schreiner und einem Gipser, also «echten Gewerblern», das Geschäft vermiesen. Urs Fehr stiess, allerdings mit einer Wortwahl, deren Wiedergabe der Anstand verbietet, ins selbe Horn.

Niklaus Scherr (AL) erwähnte das «koloniale Verhältnis» der Stadt Zürich zum Kanton Graubünden, habe sie dort doch «ganze Dörfer unter Wasser gesetzt für unseren Strom». Es sei somit «eine Spur Gerechtigkeit» im Spiel, wenn die Häuser vor Ort der «Arbeitsbeschaffung für Gipser und Schreiner» dienen könnten. Martin Luchsinger (GLP) befand, es sei «sinnvoller, wenn sich die städtische Wohnungspolitik um die Stadt selber kümmert, anstatt unsere Politik zu exportieren». Mit 62:51 Stimmen bei 9 Enthaltungen sprach sich der Rat für den Verkauf aus. Bei der anschliessenden Abstimmung darüber, dass der Buchgewinn von voraussichtlich 3,6 Millionen Franken je hälftig dem EWZ und der Stadtkasse gutgeschrieben werden soll, lautete das Verdikt 99:0 bei 23 Enthaltungen (von AL und Grünen) – was Niklaus Scherr in Richtung der SP mit dem Zwischenruf «Doppelmoral!» quittierte.

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