- Post Scriptum
Gewalt und Klima
Moment, ich war noch nicht fertig! Ich hab Sie vor drei Wochen mit einem Cliffhanger hängen lassen, und ich habe mich dabei hinter der Philosophin Carolin Emcke versteckt. Es ging um den Autobahnbau als Verdrängungshandlung, denn statt über neue Strassen und Mehrverkehr sollten wir besser und dringend über ein Mobilitätssystem nachdenken, welches nicht das Klima zerstört, nicht noch mehr Land zubetoniert, nicht noch mehr Menschenleben fordert, und so weiter. Emcke redet zwar nicht über den Autowahn, aber sie bringt vieles, das mich im Moment beschäftigt, in einem aktuellen Büchlein mit zwei ihrer Vorlesungen auf den Punkt («Was wahr ist. Über Gewalt und Klima»). Es geht nicht nur um absurde Handlungsmuster, wie mehr Strassen bauen, um eine Verkehrsentlastung zu erreichen. (Trump wählen gehört übrigens auch dazu.) Wir tun viel mehr, um den «Schmerz der Erkenntnis, den wir empfinden müssten, wenn wir uns einliessen auf die permanenten Disruptionen, Störungen und Zerstörungen, die unsere fossile Lebensweise verursacht hat», zu verdrängen und vor allem: aggressiv zu bekämpfen. Wie das geht, dürfen die deutschen Grünen am eigenen Leib erleben, und meine Güte, das Ausmass an Hass und Aggressivität gegenüber diesen Leuten ist beispiellos. Man kann das psychologisch deuten als Sündenbockstrategie, man kann es politisch deuten als Versuch, die Partei zu diskreditieren und aus dem Markt zu drängen, aber es ist und bleibt eine Ersatzhandlung. Denn die Grünen, hüben wie drüben, sind nur die Botschafter:innen vom, nicht die Ursache des Klimawandels und des daher nötigen Wechsels in der Art, wie wir leben.
Es war zu erwarten, dass den Menschen irgendwann mal klar wird, dass das fossile Zeitalter zu Ende geht, aber was das bedeutet, wollten sie lieber nicht wissen. Aber so langsam bahnt sich die Wahrheit ihren Weg und man reagiert mit allem, nur nicht mit Vernunft und einer Einsicht, die da sagen würde: Ok, wir haben Scheisse gebaut, also hören wir einfach auf und packen den Wechsel gemeinsam an. Dass die internationale Gerichtsbarkeit die Schweiz endlich dazu zwingt, eine CO2-Restbudget zu erstellen, ist ein begrüssenswerter Klärungsschritt. Der Bundesrat versucht zwar, sogar hier noch zu tricksen und behauptet ein doppelt so hohes Budget, nämlich 660 Millionen Tonnen, die wir noch emittieren dürften in den nächsten dreissig Jahren, aber das rettet ihn auch nicht. Denn wenn irgendein Globi in Bern mal nachrechnen würde, dann würde ihm das Lachen vergehen: 660 Mio. durch 9 Mio. CH-Menschen durch 30 Jahre ergibt knapp 2,5 Tonnen pro Kopf und Jahr. Aktuell liegen wir aber bei 12 Tonnen. Nur schon diese 80-prozentige Reduktion, proudly presented by Albert Rösti, wird also nicht nur mit ein bisschen Spärele und Elektroautöli erreichbar sein, sondern genau das bedeuten, was die Klimaaktivist:innen schon lange ankündigen: einen fundamentalen Wechsel in der Produktions- und Konsumtionsweise unserer Gesellschaft, kurz, den System-Change. (Und wenn der geschafft ist, sind die restlichen 2,5 Tonnen ein Klacks.)
Jeder Tag, der ungenutzt verstreicht, weil wir uns lieber über neue Autobahnen unterhalten oder darüber, in welcher Weise die Grünen jetzt wieder Schuld am Ganzen seien, ist eine kleine Katastrophe. Wir brauchen keine motivierenden Narrative und raffinierte Anreize, und schon gar nicht irgendwelche Verdrängungsmanöver. Wir müssen jetzt ganz einfach handeln. Denn Nichtstun ist auch eine Form von Gewaltanwendung.