Geschichte eines Kompromisses

«Früher war mehr Lametta», klagte einst Opa Hoppenstedt unter dem Weihnachtsbaum. Das gilt natürlich auch für die Politik. Diesen Anschein macht es zumindest, wenn man die jüngsten Abgesänge auf den historischen Parkplatzkompromiss liest. Vor allem jene aus der NZZ. 

 

Der historische Parkplatzkompromiss von 1996 wurde von SP-Gemeinderat Bruno Kammerer mit Gabriele Marinello, dem damaligen Präsidenten der City-Vereinigung abgeschlossen. Man einigte sich darauf, die Anzahl Parkplätze in der Innenstadt auf dem Stand von 1990 zu halten. Dabei sollen oberirdische Parkplätze abgebaut und mit unterirdischen Parkplätzen kompensiert werden. Der historische Kompromiss beruhigte einerseits eine sehr giftige Verkehrsdebatte und führte zur Aufwertung von Plätzen und Orten in der Innenstadt. Es lohnt sich dazu wirklich, die Vorher-Nachher-Bilder anzuschauen, die unter anderem in einer Broschüre des Tiefbauamtes aus dem Jahre 2009 zu finden sind. Da war früher alles befahren und mit Parkplätzen vollgestopft, wo heute flaniert oder Kaffee getrunken wird. Der historische Kompromiss hat also einiges zur Entwicklung und Lebensqualität der Stadt beigetragen. 

 

Es ist daher nachvollziehbar, wenn mit politischer Nostalgie reagiert wird, wenn jetzt mit der Behandlung des Verkehrsrichtplans im Zürcher Gemeinderat auch der historische Kompromiss zur Debatte steht. «25 Jahre hat er gehalten, nun ist er wohl bald Makulatur: der Zürcher Parkplatzkompromiss. Kaum einer würde heute bestreiten, dass die historische Übereinkunft zwischen Politik und Gewerbe, zwischen links und rechts in der Innenstadt viel Gutes bewirkt hat», kommentiert Daniel Fritzsche in der NZZ. 

 

Die Lösung habe Würfe ermöglicht wie den Sechseläutenplatz und den autofreien Münsterhof, weil sie unideologisch und pragmatisch sei. «Ein Kompromiss deshalb, weil beide Verhandlungspartner mit dem Ergebnis einigermassen zufrieden waren.» Doch das ist vorbei: «Die veloversessenen rot-grünen Parteien sind in der Stadt Zürich so dominant, dass sie keine Rücksicht mehr auf andere Bedürfnisse nehmen – namentlich auf jene von Geschäften und Dienstleistern in der City.» Rotgrün will also den historischen Kompromiss schleifen, die Bürgerlichen ihn erhalten. Eine böswillige einseitige Aufkündigung?

 

Die Geschichte ist wie immer etwas länger und etwas komplexer. 2001 schrieb Robert Ober, Nachfolger von Gabriele Marinello als Präsident der City-Vereinigung in der ‹Neuen Zürcher Zeitung›: «Die Beibehaltung des als ‹historisch› gepriesenen Kompromisses führt in eine Sackgasse.» Der Gemeinderat solle doch eine flexiblere Lösung suchen. Weil die Stadt wachse, müsse auch die Anzahl Parkplätze erhöht werden. Die Worte von Robert Ober wurden durchaus gehört. Die FDP unter Führung von Doris Fiala kündigte 2003 medienwirksam den historischen Kompromiss auf. Die FDP forderte eintausend neue Parkplätze, was sie auch als Vorstoss einbrachte. Sehr zum Ärger der damaligen SP. Diese warf der FDP vor, das Gespräch mit ihr gar nicht erst gesucht, sondern nur mit den bürgerlichen Partnern geredet zu haben.  

 

Doris Fiala sah darin kein Problem: Die Freisinnigen würden der früheren Konsenspolitik eine Absage erteilen, erklärte sie im Interview mit der NZZ: «Ich bin als Parteipräsidentin nicht gewillt, den faulen Kompromiss vorwegzunehmen. (…) Wir haben eine klare Parteipolitik zu formulieren.» Auch die NZZ meinte: «Der historische Kompromiss, den einst vor allem FDP und SP nach langem Ringen ausgehandelt hatten, leistete gute Dienste und bereitete den Weg für den Bau der Parkhäuser Gessnerallee und Opernhaus. Zudem führte er zu einer Entkrampfung in der verfahrenen Diskussion über den Verkehr. Seine weitere Umsetzung in unveränderter Form, wie sie im Verkehrsplan postuliert wird, muss nun allerdings infrage gestellt werden.» Die FDP bekämpfte danach den Verkehrsrichtplan mit der SVP zusammen aktiv und verlor deutlich in der Abstimmung. Da die Grünen schon immer gegen den historischen Kompromiss waren, waren es damals CVP und EVP, die sich gemeinsam mit der SP für die Weiterführung einsetzen.

 

2009 gab es neue Kontroversen rund um den historischen Kompromiss. Vier Gewerbetreibende schlossen sich zur ‹Interessensgemeinschaft Pelikan› zusammen und erhoben schwere Vorwürfe an die Stadt. Die Stadt habe rechtswidrig 1006 Parkplätze abgebaut. Dabei habe sie absichtlich falsch gezählt und einen Beschluss des Gemeinderats gefälscht. Die damalige Grüne Stadträtin Ruth Genner wehrte sich: Insgesamt seien mehr Parkplätze vorhanden als 1990, von einem Abbau könne nicht die Rede sein. Die Vorwürfe der ‹IG Pelikan› wurden später von zwei Untersuchungen des Stadtrats und der GPK entkräftet. Auch der Regierungsrat wies die Beschwerde ab. Dennoch bekräftigten die Vorwürfe der ‹IG Pelikan› die Unlust am Kompromiss bei jenen, die schon länger kritisch waren. 

 

«Ein Kompromiss, der Kompromisse verhindert», titelte Christina Neuhaus 2011 in der NZZ. Anlass war die Kompensation der Plätze auf dem Münsterhof, denn diese sind zur Mehrheit im Opernhausparking kompensiert worden. Damit verliere das Gewerbe Parkplätze in Gehdistanz. Das wurde heftig kritisiert. Lorenz Schmid (CVP) forderte, man solle doch im Winter den Münsterhofplatz immer noch als Parkplatz nutzen. Michael Baumer als damaliger FDP-Stadtparteipräsident wollte gar gänzlich auf die längst beschlossene Aufhebung verzichten. Auch die City-Vereinigung beschloss 2011 einmal mehr, dem historischen Kompromiss den Rücken zu kehren. Erst als die SP begann, den historischen Kompromiss leicht infrage zu stellen, wuchs die Liebe der Bürgerlichen, NZZ und City-Vereinigung zum historischen Kompromiss. «Es lohnt sich, für den Kompromiss zu kämpfen», schrieb Adi Kälin in der NZZ 2018. Anlass war eine Motion der Grünen, wo die SP bekannt­gab, sie sei an einer Weiterentwicklung des historischen Kompromisses interessiert. 

 

Mittlerweile sind wir bei der Behandlung des kommunalen Verkehrsrichtplans angekommen. Man kann dem historischen Kompromiss nachtrauern. Nur braucht es für einen Kompromiss auch Partner. Die alten haben sich schon lange verabschiedet. Neue wie die GLP sind dazu gekommen. Das bedingt aber auch eine Neuverhandlung an neue Begebenheiten. Die Welt ist schliesslich 1990 nicht stehen geblieben. Die Essenz des historischen Kompromisses hingegen bleibt: Eine Stadt mit weniger Parkplätzen und Verkehr ist ein Gewinn für die Lebensqualität. Das findet ja mittlerweile sogar die NZZ.

 

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