Wo kein Eignungsgebiet ist, kann auch kein grosses Windrad stehen – und umgekehrt: Wo ein solches Gebiet ist, werden nicht zwingend Windräder stehen. (Bild: Ondrej Supitar / Unsplash)

Gemischte Reaktionen auf Windenergie-Eignungsgebiete

Was halten Windkraftgegner:innen und Landschaftsschützer:innen von den Vorschlägen zu Änderungen im Richtplan und im Energiegesetz, die bis Ende Oktober auflagen? Ein Überblick.

Vom 2 Juli bis am 31. Oktober dauerte die Anhörung, die öffentliche Auflage der Teilrevision Energie des kantonalen Richtplans sowie die Vernehmlassung der Änderung des Energiegesetzes. Die federführende Baudirektion hielt im Einladungsschreiben zur öffentlichen Auflage der Richtplanvorlage fest, dass die Revision nicht zuletzt die Nutzung von erneuerbaren Energien stärken soll: «Besonders hervorzuheben sind die Karteneinträge zu Gebieten, welche sich für die Gewinnung von Strom aus Windenergie und Wasserkraft eignen.» 20 Eignungsgebiete für Windkraft sollen im Kapitel Energie des Richtplans eingetragen werden (siehe auch P.S. vom 5. Juli). Eignungsgebiete sind die zwingende rechtliche Voraussetzung für den Bau von grossen Windenergieanlagen: Wo kein Eignungsgebiet ist, kann auch kein Windrad gebaut werden. Gleichzeitig stehen diese Eignungsgebiete, wie es der Name schon sagt, auch für jene Gebiete, die für die Windstromproduktion am besten geeignet sind. Das bedeutet, dass dort ein hoher Windertrag möglich ist bei gleichzeitig guter Natur- und Siedlungsverträglichkeit. Ob aber in einem Eignungsgebiet tatsächlich Windräder aufgestellt werden, entscheidet weder der Regierungs- noch der Kantonsrat und die kantonale Verwaltung schon gar nicht. Dieser Aufgabe nehmen sich dereinst beispielsweise Elektrizitätswerke oder Dorfgemeinschaften an.

Neues Verfahren wie bei Staatsstrassen

Die Windkraftgegner:innen von Freie Landschaft Zürich schreiben in ihrer Medienmitteilung vom 30. Oktober nichtsdestotrotz von der «vorgeschlagenen Festsetzung von 35 Windindustriegebieten auf Kantonsgebiet» und der «Änderung des Energiegesetzes, welches die Gemeinden entmachten und Landenteignungen für den Bau von Windturbinen ermöglichen würde». Daraufhin hätten sich «einige Dutzend besorgte Bürgerinnen und Bürger aus allen Kantonsteilen sowie aus Aargauer und Thurgauer Nachbargemeinden in der Stadt Zürich eingefunden, um je knapp 500 Einwendungen gegen die beiden Vorlagen einzureichen».

Die geplante Änderung des Energiegesetzes beinhaltet auch eine Verfahrensbeschleunigung: Heute können sowohl der kantonale Gestaltungsplan als auch die Baubewilligung je vor drei In­stanzen gebracht werden, nämlich vor das Baurekursgericht, das Verwaltungsgericht und das Bundesgericht. Das führt dazu, dass unter Umständen nach einem Rechtsmittelverfahren, das zwanzig Jahre gedauert hat, ein längst veralteter Windturbinentyp aufgestellt werden muss – wollte man einen neueren aufstellen, würde das ganze Verfahren von vorne losgehen. Neu soll deshalb ein Verfahren zur Anwendung kommen, das jenem sehr ähnlich ist, das jeweils gemäss Strassengesetz für den Bau von Staatsstrassen zur Anwendung kommt: Es gäbe statt sechs Rekursmöglichkeiten nur noch deren zwei, einmal vor Verwaltungsgericht und einmal vor Bundesgericht. Der Einbezug der Gemeinden ist mittels Stellungnahme zu den Plänen, einem Anhörungs- und Mitwirkungsverfahren sowie der Einsprachemöglichkeit gewährleistet. Zusätzlich wurde eine mögliche wirtschaftliche Beteiligung der Bevölkerung und der Gemeinde vorgeschlagen. Auch dazu konnten alle Interessierten in der nun abgeschlossenen Vernehmlassung Stellung nehmen.

Die Menge machts – nicht

Unabhängig davon, ob man der Darstellung der Windkraftgegner:innen und ihrer Warnung vor der «Entmachtung der Gemeinden» glaubt oder dem, was der Kanton effektiv in die Vernehmlassung geschickt hat: Grundsätzlich ging es wie üblich darum, erst alle Antworten zu sammeln und sie in einem nächsten Schritt auszuwerten. Die Windkraftgegner:innen waren gemäss ihrer eingangs erwähnten Medienmitteilung nichtsdestotrotz irritiert darüber, dass Baudirektor Martin Neukom ihre «je knapp 500 Einwendungen» nicht persönlich entgegennahm. Doch es handelte sich ja nicht etwa darum, dass zum Beispiel eine Petition hätte übergeben werden sollen, wie Wolfgang Bollack, Mediensprecher der Baudirektion, auf Anfrage ausführt: «Vernehmlassungsantworten sind schlicht Rückmeldungen in einem Mitwirkungsverfahren, die Hinweise, Ergänzungen, Anregungen etc. enthalten können.» Wieviele es seien, spiele eine untergeordnete Rolle, zumal wenn es «viele gleichlautende» habe. Will heissen: wenn offensichtlich vorgedruckte Formulare abgegeben worden sind, um eine möglichst hohe Zahl an Eingaben zu erreichen.

«Das ändert umgekehrt aber auch nichts daran, dass jede einzelne Rückmeldung angeschaut und kommentiert werden muss», betont Wolfgang Bollack. Denn anhand solcher Rückmeldungen liessen sich mögliche Probleme erkennen und Lösungsmöglichkeiten ableiten. Nun folgt der nächste Schritt, die Auswertung: «Grundsätzlich geht es dabei darum, die Vorlage zu überarbeiten, die der Regierungsrat dereinst zuhanden des Kantonsrats verabschieden wird. Dieser entscheidet dann abschliessend über die Richtplanrevision.» Bis alle Rückmeldungen abgearbeitet sind und der für solche Verfahren übliche Mitwirkungsbericht fertig ist, kann es dauern: Wolfgang Bollack schätzt, dass er zusammen mit dem regierungsrätlichen Antrag an den Kantonsrat im dritten Quartal 2025 vorliegen dürfte.

Zwei Grundlagenberichte

Ein erster Bericht zu den planerischen Grundlagen zur Richtplananpassung im Hinblick auf die Windenergienutzung im Kanton Zürich stammt vom Dezember 2022. Dabei ging es unter anderem um eine Vorauswahl der Windpotenzialgebiete anhand der Windgeschwindigkeit und der Geländekomplexität. Im Bericht heisst es aber auch, «Windpotenzialgebiete nach Machbarkeit» würden «im Nachgang zu dieser Studie mit Projektentwicklern, Suisse Eole, den Natur- und Landschaftsschutzverbänden sowie den Regionen und Gemeinden an Gesprächen und Workshops diskutiert». Weiter wird darauf verwiesen, dass die Windeignungsgebiete anhand einer Schutz-/Nutzungsmatrix bewertet werden sollten, «um die Natur- und Landschaftsschutzinteressen mit dem Interesse der Windenergienutzung abzuwägen». Dazu wurde ein Bewertungsraster vorgestellt, das «aktuell als Vorschlag zu verstehen ist und den Natur- und Landschaftsschutzverbänden mit diesem Bericht zur Konsultation vorgelegt wird». Es handelte sich um die 46 Windpotenzialgebiete, die den Prüf- und Aussortierprozess ‹überlebt› hatten.

Im Juni 2024 folgte sodann der Grundlagenbericht zur Phase 2, untertitelt mit «Bewertung und Interessenabwägung». Als Ergebnis der Phase 2 würden verschiedene Gebiete zur Weiterverfolgung in der kantonalen Richtplanung «mit Koordinationsstand Festsetzung vorgeschlagen, andere Gebiete (…) als Zwischenergebnisse vorgemerkt». Gestützt auf die «Rangierung und die detaillierte Prüfung» der Gebiete würden aber auch «zahlreiche Gebiete nicht zur Weiterverfolgung vorgeschlagen». Aus dem Kapitel «Positivplanung geht sodann hervor, dass es durchaus auch private Initiant:innen gibt, die neue Potenzialgebiete vorschlugen, die dann ebenfalls geprüft wurden. Ausführlich wird auf die «Vernehmlassung zu den Windpotenzialgebieten aus Phase 1» eingegangen, und der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (SL) ist ein eigenes Unterkapitel gewidmet: «Die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz wurde ebenfalls zur Stellungnahme zu den 46 Potenzialgebieten eingeladen und hat eine fachliche Beurteilung des Konfliktpotenzials mit Landschaftsschutzinteressen abgegeben. Diese Beurteilung wurde mit der kantonalen Fachstelle Landschaft geprüft und abgestimmt und bildete eine substanzielle Grundlage für die Bewertung der Landschaftsschutzinteressen in den Potenzialgebieten.»

Positive und negative Reaktionen

Damit zurück zur Vernehmlassung: Wie unterschiedlich die Reaktionen ausgefallen sein dürften, lässt sich anhand der Stellungnahmen des Vereins Pro Wind Zürich und der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz illustrieren. Rahel Marti, Co-Geschäftsleiterin der SL, betont in Bezug auf die Vernehmlassung, die Aufforderung am sogenannten Wind-Dialog habe klar gelautet, eine «Einschätzung zu den Potenzialgebieten» abzugeben, was die SL auch gemacht habe. Täuscht also der beim Lesen entstandene Eindruck, die SL nehme hauptsächlich ablehnend Stellung? Ja, findet Rahel Marti: «Die SL hat in ihrer Stellungnahme die neun Gebiete aufgelistet, die unserer Einschätzung nach auszuschliessen sind. Mit der Klassierung der übrigen Gebiete sind wir einverstanden oder können sie akzeptieren.» Aber in anderen Kantonen wie etwa Graubünden oder Uri sei das Verfahren transparenter, fügt sie an: «Im Richtplanverfahren geht es grundsätzlich darum, ob ein Gebiet geeignet ist oder nicht. Ob mit der Landschaft genügend sorgfältig umgegangen wird, zeigt sich aber erst später, wenn es um konkrete Projekte geht. In anderen Kantonen, zum Beispiel Graubünden oder Uri, gibt es zusätzlich eine fundierte Beurteilung von Landschaftsfragen, die auch das Konzept Windenergie des Bundes empfiehlt.»

Aus Sicht der SL würden elf statt zwanzig Gebiete zudem reichen, folgt man ihrer Argumentation zum Ausbauziel: Dieses sei viel zu hoch.Gemäss Konzept Windenergie 2020 des Bundes müsste der Kanton Zürich nur zwischen 40 und 180 Gigawattstunden pro Jahr (GWh/a) beitragen. 250 GWh/a bis 2050 würden reichen, schreibt die SL in ihrer Stellungnahme. Dies nicht zuletzt, weil aufgrund der Zivil- und Militäraviatik etwa zwei Drittel der Kantonsfläche zum Vornherein wegfielen. Im Grundlagenbericht Phase 2 ist das kantonale Ausbauziel von 735 GWh/a erwähnt, was sieben Prozent des Stromverbrauchs bis 2050 entspricht. In den 20 Eignungsgebieten sind nun jedoch nur noch 530 GWh möglich (siehe auch P.S. vom 5. Juli). Gemäss Erläuterungsbericht Kantonaler Richtplan, Teilrevision Energie hat das Bundesamt für Energie 2022 das Windpotenzial des Kantons Zürich auf einen Jahresertrag von 883 GWh geschätzt.

Doch ist die Landschaft wirklich nur in Gefahr, wenn es um den Bau von Windturbinen geht? Den Hinweis, dass die SL zum Autobahnausbau, über den wir am 24. November abstimmen, nicht Stellung nehme, obwohl davon die Landschaft auch stark betroffen sei, kontert Rahel Marti mit Verweis auf das starke Engagement der SL zur Biodiversitätsinitiative: «Damals waren wir sehr präsent, doch die SL ist schlicht zu klein, um regelmässig einen derart grossen Einsatz leisten zu können.»

20 mal Ja

Auf der anderen Seite schlägt der Verein Pro Wind Zürich alle 20 Gebiete zur Festsetzung vor. Zudem hat er in den Eignungsgebieten jeweils auch den Wald angeschaut und hält zum Beispiel zum Gebiet Nr. 12 «Berg» fest, das Waldgebiet habe eine Fläche von 163 Hektaren. Fünf Windenergieanlagen würden 41 Gigawattstunden (GWh) Strom pro Jahr produzieren und die Energiewende für 10 000 Menschen ermöglichen, also mehr Menschen, als in der Umgebung – Andelfingen, Dägerlen, Dinhard und Thalheim – wohnen. Der Flächenverbrauch für die Anlagen würde inklusive Zufahrtswege maximal 2,5 Hektaren betragen, was 1,5 Prozent der Fläche des Waldgebietes entspricht. Und während der Wald Energieholz für Wärme von 1,7 GWh pro Jahr liefert, könnte der künftige Windstrom Wärmepumpen betreiben, die 73 mal mehr Wärme lieferten. Im Gebiet  Nr. 31 «Hombergchropf» wären es gar 182 mal mehr Wärme. «Der Druck auf eine maximale Holznutzung des Waldes könnte also zugunsten wichtiger Massnahmen zum Schutz von Wald, Flora und Fauna etwas zurück gestellt werden – im Hinblick auf die Transition des Waldes hin zu mehr Artenvielfalt und Klimaresistenz ist dies eine ausserordentlich gute Ausgangslage», erklärt Vereinspräsident Philipp Huber. Pro Wind Zürich denkt aber auch schon einen Schritt weiter. In seiner Stellungnahme zum Energiegesetz beantragt der Verein – gleich wie übrigens auch der Branchenverband Suisse Eole – einen zusätzlichen Artikel «§16s typenunabhängige Baubewilligung»: «Im Energiegesetz soll ein Artikel eingeführt werden, der eine typenunabhängige Baubewilligung ermöglicht. Für die Definition der Windenergieanlagen sind auf Stufe Projekt (Plangenehmigung bzw. Nutzungsplanung und Baubewilligung) maximale Dimensionierung und Immissionswerte zu definieren, welche bei der Realisierung nicht übertroffen werden dürfen. Das exakte Modell und der Hersteller der Anlage ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht festzulegen.» Dies begründet Pro Wind Zürich unter anderem damit, dass die Windenergiebranche zu den innovativsten Branchen «mit weiterhin grossen Fortschritten bei den Anlagen, deren Bau und Betrieb» gehöre: «Es wäre ein grosser Nachteil für alle Interessengruppen, wenn aus gesetzgeberischen Gründen und nach langen Bewilligungsverfahren technologisch 10 bis 20 Jahre alte Anlagen errichtet werden müssten oder wenn im Laufe der Betriebszeit aufgrund grosser Hürden auf naheliegende technische Verbesserungen für Ertrag, Schutz, Emissionen und Wartung verzichtet werden müsste.»

Auf der Webseite von Pro Wind Zürich findet sich übrigens auch eine Auflistung von Argumenten von Windkraftgegner:innen, samt Entkräftung, versteht sich: Infraschall von Windrädern soll die Menschen in der Umgebung angeblich krank machen. Als Infraschall bezeichnet man gemäss Wikipedia «Schall, dessen Frequenz unterhalb der menschlichen Hörfläche, also unterhalb von 16 Hz liegt. Infraschall kommt überall in der natürlichen Umgebung vor, wird aber auch künstlich erzeugt, beispielsweise im Verkehrswesen oder durch technische Geräte». Auf pro-wind-zh.ch findet sich denn auch der Link zu einem Versuch aus dem Bayreuther Zentrum für Ökologie und Umweltforschung (www.bayceer.uni-bayreuth.de/infraschall/). Resultat: Eine dreieinhalbstündige Autofahrt in einem Ford Fokus Turnier TDCi (Dieselmotor 116PS, Bj 2011) setzte die Menschen im Auto genauso viel Infraschallenergie aus wie «10 000 Tage (über 27 Jahre!) Aufenthalt im 300m-Abstand zum Harsdorfer Windrad».