Gas, Gösgen, Geflüchtete

Der Zürcher Gemeinderat beschäftigte sich mit aktuellen Themen – vom Gasgeschäft bis zu den geflüchteten Menschen aus der Ukraine war alles drin.

 

Wie im Interview mit P.S. angekündigt (siehe Ausgabe vom 14. April), reicht der neue Fraktionspräsident der SVP, Samuel Balsiger, fleissig Postulate ein, und eines davon, das zudem für dringlich erklärt worden war, behandelte der Zürcher Gemeinderat an seiner Sitzung vom Mittwochabend ausführlich. Samuel Balsiger und sein Fraktionskollege Walter Anken forderten damit, dass ukrainische Flüchtlinge «an den Grenzen zu ihren Nachbarländern zusätzlich unterstützt werden sollen». Zur Begründung des Postulats sagte Samuel Balsiger erst, «was soll ich begründen – schauen Sie in die Welt…», um dann ausgiebig von den Russen verübte Greueltaten zu schildern. Es gehe um einen Angriff einer Diktatur auf eine Demokratie, betonte er.

 

Dominique Zygmont (FDP) begründete den Ablehnungsantrag seiner Fraktion: Der Postulant habe mit vielem Recht, und es gehe keineswegs um eine Ablehnung «wegen ein paar Fränkli», wie Samuel Balsiger allen anderen Fraktionen schon mal prophylaktisch unterstellt hatte. Doch man müsse auch den Menschen helfen, die flüchteten, und ihnen Sicherheit und eine Perspektive bieten. Zudem habe der Stadtrat für Hilfe «vor Ort» beziehungsweise an der Grenze bereits Geld bewilligt, und obendrein lasse das Postulat offen, was die SVP damit genau erreichen wolle. Nadina Diday (SP) erinnerte an die 5,6 Millionen Menschen, die bereits in die Nachbarländer geflüchtet seien, und an die über acht Millionen intern Vertriebenen: Sie alle bräuchten sichere Unterkünfte, Nahrung, Strom etc. – und deshalb schlage die SP eine Textänderung vor: Der Stadtrat solle prüfen, wie die Geflüchteten aus der Ukraine «sowohl in den Nachbarländern als auch in der Ukraine mit zusätzlichem Budgetkredit unterstützt werden können». Die AL unterstütze den SP-Textänderungsantrag, sei aber gegen das SVP-Postulat, gab Tanja Maag bekannt: Die Formulierung des Postulats, in dem von Männern die Rede sei, die sich kurzfristig ins Ausland zurückgezogen hätten und jetzt wieder für ihr Heimatland kämpften, schliesse Frauen und Kinder aus, die auf der Flucht seien. Die Postulanten wollten die Leute offenbar vor allem in Ukraine-Nähe behalten und dafür sorgen, dass sie nicht flüchteten – und schon gar nicht in die Schweiz. Christian Monn (GLP) sah den Zweck des Postulats ebenfalls nicht, befand aber, mit der Textänderung der SP könnte konkret geholfen und damit auch zugestimmt werden. Karin Weyermann (Mitte) hingegen erklärte, die Mitte-/EVP-Fraktion stimme dem Postulat zu: Selbstverständlich sollten Flüchtlinge in die Schweiz kommen, aber das schliesse ja nicht aus, auch vor Ort zu helfen. Sie äusserte die Vermutung, die Ablehnung der anderen Fraktionen rühre daher, dass das Postulat «den falschen Absender» habe.

 

Nach mehreren weiteren Wortmeldungen gab Samuel Balsiger bekannt, den Änderungsantrag der SP abzulehnen. Stattdessen las er Namen von Mitgliedern der SP-Fraktion vor und verkündete, im Protokoll könne man dann nachlesen, dass all diese GemeinderätInnen Nein sagten zu Hilfe für Flüchtlinge. Er wiederholte mehrmals, wie «schäbig» es sei, dass die anderen nur übers Geld redeten (im Postulat wurde keine Summe genannt, und niemand hatte die Ablehnung mit den Kosten begründet…). Doch wegen ihres Textänderungsantrags schloss er, die Mitglieder der SP-Fraktion handelten wie «kaltherzige Kapitalisten». Immerhin deutschte er damit auch noch aus, was von Anfang an klar gewesen war: Es ging seiner Fraktion offensichtlich darum, mit einem maximal schwammig formulierten Postulat maximal Wirbel zu machen und so zu tun, als sei – ausgerechnet! –, die SVP die einzige Partei, die sich um Flüchtlinge kümmere. Spätestens wenn es im Rat das nächste Mal einen konkreten Geldbetrag zugunsten von geflüchteten Menschen zu bewilligen gibt, dürfte sich die SVP daran erinnern, was sie bei entsprechenden Vorstössen der anderen Fraktionen jeweils sagt: dass nämlich «Auslandshilfe eine Bundesaufgabe» sei. Mit 94:24 Stimmen lehnte der Rat das Postulat ab. Ein weiteres dringliches Postulat hingegen, eingereicht von der Grüne-Fraktion, das ebenfalls einen Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine hatte, kam (mit einem Textänderungsantrag der SVP-Fraktion) einstimmig durch: Es ging um den Unterricht in Deutsch als Zweitsprache und darum, dass alle Kinder, also auch jene, die jüngst aus der Ukraine hierhin geflüchtet waren, an diesem Unterricht «im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben» teilhaben können.

 

Raus aus dem Gas-Verband

In einem Postulat von Michael Kraft (SP) und Markus Kunz (Grüne, beide nicht mehr im Rat) ging es darum, dass die Energie 360° AG aus dem Verband der Schweizerischen Gasindustrie (VSG) austreten solle. Barbara Wiesmann (SP) führte zur Begründung an, mit dem Mitgliederbeitrag von jährlich 438 000 Franken an den VSG, die «Interessenvertretung der Gasindustrie in der Schweiz», unterstütze man auch eine Haltung, die sich nicht mit den städtischen Ideen decke. Dies nicht zuletzt, weil die Stadt Netto-Null 2040 beschlossen habe, der VSG jedoch erst 2050 aussteigen wolle. Deshalb gelte es die Mitgliedschaft dort auf den nächstmöglichen Termin zu kündigen. Der Vorsteher des Departements der Industriellen Betriebe, Stadtrat Michael Baumer, sah das anders: Der Vorstoss sei «aus der Zeit gefallen», denn die Zielsetzung des VSG habe sich gewandelt, und zudem handle es sich bei dem Verband nicht um einen politischen Inte­ressensvertreter, sondern um eine Branchenorganisation. Das wiederum sah Dominik Waser (Grüne) ganz anders: Der Bundesrat schüre seit Monaten die Angst vor einem Blackout, doch in Tat und Wahrheit gehe es darum, die Gaskraft «wieder salonfähig zu machen». Die Stadt Zürich habe eben erst das Netto-Null-Ziel 2040 beschlossen, und der VSG sei sehr wohl eine politische Organisation, deshalb sei es richtig, dort auszutreten. Mit 74:38 Stimmen wurde dieses Postulat überwiesen.

 

Schliesslich ging es, wieder einmal, darum, dass der Gemeinderat die städtische Beteiligung am AKW Gösgen gern loswäre. Weil Versuche, diese zu verkaufen, nichts fruchteten, schlugen die SP- und Grüne-Fraktion in einem Postulat vor, eine Gesellschaft zu gründen, «die die Beteiligungen an der Kernkraftwerk Gösgen-Däniken AG und an der Aktiengesellschaft für Kernenergiebeteiligungen Luzern hält». Stadtrat Michael Baumer sagte, mit dieser Forderung renne der Rat «grosse offene Scheunentore ein», konnte sich aber den Seitenhieb nicht verkneifen, der Rat hätte ja seinerzeit das EWZ ausgliedern können, dann hätte man jetzt nicht ein AKW direkt bei der Stadt… Mit 103:12 Stimmen (der SVP) überwies der Rat auch dieses Postulat.

 

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